Ich klemmte die Zeitung unter den Arm, um sie später genauer anzugucken, und wandte mich zum Wagen zurück. Da glitt gerade lautlos ein Polizeifahrzeug heran und stellte sich meinem quer vor die Nase. Um ein Polizeiauto scheint sich stets, wie aus der Luft gezaubert, eine Menschenmenge zu sammeln. Einen Augenblick zuvor war die Straßenecke noch verlassen gewesen, jetzt wimmelte es ringsum von Leuten, und der Schutzmann kam auf mich zu. Verstohlen tastete ich mit der Hand nach meiner Waffe. Wäre ich nicht überzeugt gewesen, daß die Umstehenden genauso gefährlich waren, hätte ich den Mann erschossen. Er blieb vor mir stehen. »Zeigen Sie mir Ihren Führerschein«, sagte er freundlich.
»Gewiß«, erwiderte ich bereitwillig. »Er ist am Schaltbrett meines Wagens festgeklemmt.« Ich ging an ihm vorbei, als nähme ich an, daß er mir folgen würde. Er zögerte sichtlich, dann biß er auf den Köder an. Ich führte ihn zwischen meinem und seinem Wagen herum. Dabei stellte ich fest, daß er keinen Kollegen im Auto hatte, ein ungewöhnlicher Umstand, der mir höchst willkommen war. Noch wichtiger schien mir, daß nun mein Wagen zwischen mir und den allzu harmlosen Zuschauern stand.
»Dort ist der Führerschein«, sagte ich und wies in das Wageninnere. Wiederum zauderte er, dann blickte er näher hin - es genügte gerade, um die Technik anzuwenden, die ich mir notwendigerweise angeeignet hatte. Mit der linken Hand schlug ich ihm auf die Schultern und packte mit meiner ganzen Kraft zu.
Sein Körper schien zu explodieren, so heftig waren die Zuckungen. Noch ehe er im Fall das Pflaster streifte, saß ich im Wagen und brauste mit Vollgas davon.
Ich reihte mich abwechselnd in den Straßenverkehr ein und wich ihm aus, stets bereit, in die Luft aufzusteigen, sowie ich nur genügend Raum dazu fand.
Allmählich hielt mein Denken wieder mit den Ereignissen Schritt, und ich merkte, daß keinerlei Anzeichen auf Verfolgung hindeuteten. Seinerzeit hatte ich die Parasiten gründlich kennengelernt, und das kam mir zustatten. Abgesehen von der >unmittelba-ren Fühlungnahme< lebt ein Schmarotzer auch eng verbunden mit seinem Wirt. Er sieht, was sein Opfer sieht, nur mit den Organen und den Hilfsmitteln, über die sein Träger verfügt. Wahrscheinlich hatte kein anderer Parasit außer dem des Polizisten nach meinem Wagen gefahndet, und diesen Spürhund hatte ich erledigt. Natürlich hielten jetzt auch die anderen Titanier nach mir Ausschau, aber auch sie bedienten sich nur der körperlichen und geistigen Fähigkeiten ihrer Sklaven. Ich durfte sie nicht wichtiger nehmen als irgendwelche anderen Augenzeugen, das heißt: ich mußte nur in einen anderen Bezirk hinüberwechseln und nicht mehr an den Vorfall denken.
Denn mir blieben nur noch knapp dreißig Minuten, und ich hatte mir überlegt, was ich als Beweis benötigte - einen Gefangenen, einen Menschen, der befallen war und erzählen konnte, was sich in der Stadt ereignet hatte. Ich mußte ein Opfer der Feinde befreien. Dabei galt es, die betreffende Person zu fangen,
ohne sie zu verwunden oder ihren Parasiten zu töten oder zu entfernen und sie selbst nach Washington zu entführen. Einzelheiten zu planen, hatte ich keine Zeit, ich mußte umgehend handeln. Ich beschleunigte mein Tempo und suchte nach einem Opfer.
Es war ein Mann mittleren Alters, der den Rasen sprengte und so normal aussah, daß ich schon halb entschlossen war, an ihm vorüberzufahren. Aber ich hatte keine Minute zu verlieren und - er trug eine Wolljacke, die sich verdächtig wölbte. Hätte ich seine Frau auf der Veranda eher bemerkt, wäre ich weitergefahren, denn sie trug nur einen Büstenhalter und einen Rock, sie konnte also nicht befallen sein.
Als ich stehenblieb, blickte er auf. »Ich komme eben vom Rathaus«, sagte ich. »Wir müssen uns sofort verständigen. Steigen Sie ein.«
Ruhig entgegnete er: »Kommen Sie ins Haus. In den Wagen kann man zu leicht hineinsehen.« Ich wollte schon ablehnen, aber er ging bereits auf das Gebäude zu. Als ich ihn eingeholt hatte, flüsterte er: »Vorsicht. Die Frau gehört nicht zu uns.«
»Ihre Gattin?«
»Ja.«
Wir blieben auf der Veranda stehen, und er stellte mich vor. »Meine Liebe, dies ist Herr O’Keefe. Wir haben geschäftlich miteinander zu reden und gehen in mein Arbeitszimmer.«
Sie lächelte und strickte weiter. Wir traten ein, und der Mann führte mich in sein Zimmer. Da wir den Schein wahrten, ging ich zuerst hinein, wie es sich für einen Besucher gehört. Ich drehte ihm nicht gern den Rücken zu. Daher war ich schon halb auf das gefaßt, was nun geschah. Er versetzte mir einen Schlag ins Genick. Getroffen sank ich zu Boden, aber ohne ernstlich Schaden gelitten zu haben. Ich rollte mich herum, damit ich auf den Rücken zu liegen kam.
Ich blieb auf dem Boden und bearbeitete den Gegner mit den Absätzen. Er hüpfte außer Reichweite. Eine Waffe besaß er offensichtlich nicht, und ich konnte meine nicht erreichen. Doch im Raum befand sich ein echter Kamin mit Schürhaken, Schaufel und Zange; der Mann umkreiste mich und steuerte dorthin. Unweit von mir stand ein kleines Tischchen, aber ich konnte es nicht erwischen. So schob ich mich mit einem Ruck darauf zu, packte es bei einem Bein und schleuderte es gegen den Mann. Gerade als er den Schürhaken ergriff, traf ihn das Möbelstück. Dann stürzte ich mich auf ihn.
Sein Parasit verendete unter meinen Fingern, und er selbst krümmte sich unter dem letzten fürchterlichen Befehl seines Parasiten. Doch plötzlich stand die Frau auf der Schwelle und schrie gellend. Ich sprang auf und versetzte ihr einen Hieb. Der Laut blieb ihr in der Kehle stecken, sie sank um, und ich wandte mich wieder dem Mann zu.
Ein schlaffes Menschenbündel ist erstaunlich schwer hochzuheben, und mein Gegner wog allerhand. Glücklicherweise bin ich jedoch groß und kräftig; und so schaffte ich ihn zum Wagen. Unser Kampf wäre wahrscheinlich niemandem außer seiner Frau aufgefallen, aber ihr Gebrüll mußte das halbe Stadtviertel auf die Beine gebracht haben. Zu beiden Seiten der Straße stürzten Leute aus den Türen. Vorläufig war noch keiner von ihnen nah, aber ich war froh, daß ich die Wagentür offen gelassen hatte.
Doch bald bedauerte ich es. Ein Lausejunge, ähnlich dem, der mich zuvor geärgert hatte, saß drinnen und fingerte an den Schalthebeln herum. Ich fluchte, verstaute meinen Gefangenen auf dem Rücksitz und zerrte den Buben heraus. Der wehrte sich, aber ich riß ihn los und warf ihn geradewegs in die Arme meines ersten Verfolgers. Während dieser sich noch bemühte, den Knaben abzuschütteln, ließ ich mich auf den Führersitz fallen und schoß wie ein Pfeil davon. Scharf schnitt ich die nächste Kurve, rammte beinahe ein gewöhnliches Auto und sauste dann weiter. Ich wartete nicht, bis die Maschine hochgeklettert war, sondern brachte sie mit einiger Mühe auf Ostkurs und ließ sie dabei weiter steigen. Über dem Missouri steuerte ich eigenhändig und setzte alle vorhandenen Antriebsdüsen ein, um schneller voranzukommen. Dieses bedenkenlos ungesetzliche Verhalten hat mir vielleicht das Leben gerettet. Als ich gerade irgendwo über Columbia das Äußerste aus dem Fahrzeug herausholte, fühlte ich, wie es unter einem Anprall in allen Fugen krachte. Irgendwer hatte mir eine geballte Ladung nachgeschickt, um mich aufzuhalten, und das verdammte Ding hatte genau dort gezündet, wo ich eben geflogen war.
Weitere Geschosse folgten nicht, und das war gut, denn von nun an wäre ich so leicht wie eine Ente auf dem Wasser abzuschießen gewesen. Mein Steuerbordantrieb war allmählich heißgelaufen. Ich ließ ihn laufen und betete, daß er in den nächsten zehn Minuten nicht in die Luft fliegen möge. Als der Mississippi hinter mir lag und die Signale nun nicht mehr auf > Gefahr im Verzuge< standen, stellte ich die Düse ab und ließ das Flugauto mit dem Backbordantrieb weiterzockeln. Fünfhundert Stundenkilometer war das Höchste, was die Maschine noch leistete, aber ich war bereits außerhalb der roten Zone.
Читать дальше