Es macht mir ein wenig. Angst, daran zu denken, daß es in ein paar hundert Jahren vielleicht zu Heiraten zwischen Menschen und Androiden kommt und Kinder gezeugt werden. Ich frage mich, warum mich diese Vorstellung so erschreckt. Weil wir von einem Spritzer Androidenblut in unser Gen-Reservoir vielleicht verändert werden? Verbessert werden? Dieser Gedanke schmerzt dort, wo meine Vorurteile ihren Ursprung haben.
Aber dann werde ich nicht mehr da sein, um es zu erleben. Das ist tröstlich. Oder?
Nach dieser unklaren Bemerkung, die jetzt zehn Tage zurückliegt, habe ich keine weiteren Aufzeichnungen gesprochen. Der November geht nun allmählich seinem Ende entgegen, und ich habe diesen Würfel nur wieder zur Hand genommen, um den Nachtrag hinzuzufügen, daß wir GGC 1145591 in fünf weiteren Tagen erreichen. Ich bezweifle, ob bis dahin etwas Wichtiges geschieht, und deshalb schließe ich den Würfel jetzt ab.
Es ist alles beim alten geblieben, in jeder Hinsicht. Wann immer ich Jan sehe, ist sie mit Saul zusammen, und sie sind ganz vertieft in die Diskussion über die selbstentwertenden französischen Briefmarken von 2115 oder was auch immer. Kelly hat vorgeschlagen, ich solle zum Gegenangriff übergehen und eine Münzsammlung anlegen. Dieser Vorschlag scheint mir kaum durchführbar. Zum Teufel auch, ich glaube, Saul ist einfach der bessere Mann. Doch ich würde zu gern wissen, warum.
Beiseite mit diesen Nebensächlichkeiten. Die Dunkelsonne erwartet uns.
12. Dezember 2375
Dritter Planet von GGC 1145591
Wir sind hier ziemlich auf uns allein gestellt. Und alles ist außerordentlich seltsam. Als ich einen so gesetzten Beruf wie Archäologie ergriff, habe ich nicht im Traum daran gedacht, daß ich dadurch einmal so etwas erleben würde.
Wir befinden uns in einem Sonnensystem, in dem es kein Tageslicht gibt. Wir scheinen verzaubert zu sein, in Gnome verwandelt, dazu verurteilt, durch finstere Tunnel zu laufen, die nur von einem trüben, purpurnen Glühen beleuchtet werden, einem matten Schimmer, der von irgendwo weit über uns herabsickert. Aber hier gibt es keine Tunnel. Wir befinden uns auf der Oberfläche eines Planeten. Das ganze Universum ist auf einen Faktor reduziert: immerwährende Finsternis.
Selbst auf Pluto bewirkt die Sonne noch eine Art Tageslicht.
Hier nicht. Die Sonne dieses Systems ist ein toter Stern oder besser gesagt: ein Stern, der in den letzten Zügen liegt, so daß wir die Heftigkeit des Todeskampfes spüren können. Unsere Stimmung ist gedrückt. Wir sprechen kaum miteinander. Es kommt nicht mehr zu den kleinen Streitereien, die manchmal unter uns ausbrachen. Dieser Ort bewirkt eine mysteriöse Faszination. Ich fühle mich, als sei ich im Innern eines Käfigs aus Träumen gefangen.
Die Besatzung des Ultraraumkreuzers, der uns hierherbrachte, hatte es ziemlich eilig damit, wieder zu verschwinden. Der Kreuzer kam in diesem Sonnensystem aus dem Ultraraum und landete auf dem dritten Planeten, der keinen Namen hat. (Wir versuchen, einen zu finden.) Die Besatzung lud unsere Ausrüstung aus. Dann flog sie wieder ab, rasch.
Unsere gemietete Planetenfähre hat uns bereits erwartet. Sie ist ein bißchen klein, aber sie wird ausreichen. Beförderungskapazität: fünfundzwanzig Personen, Passagiere und Besatzung. Aufgrund von Mirriks Übertonnage werden wir elf zu Lastberechnungszwecken als zusammen zwanzig Personen eingestuft. Die Fähre hat eine Besatzung von zwei Mann. Der Captain ist der personifizierte Held eines kitschig-naiven Weltraumwestern: der Typ des erfahrenen Sternen- und Planeten-Veteranen, mit trüb gewordenen blauen Augen und einer Haut, die von der kosmischen Strahlung gebräunt wurde. Er kaut ein leicht berauschend wirkendes Kraut von einem Planeten der Sonne Deneb, und wohin er auch geht, er spuckt überall herum. Dieses Kraut verleiht ihm einen Geruch, der dem eines widerlich süßen Parfüms ähnelt, was seinem Draufgänger-Image ein wenig abträglich ist. Er heißt Nick Ludwig und behauptet, schon seit dreißig Jahren Mietschiffe zu fliegen. Er habe schon eine Menge Charterflüge für Millionäre durchgeführt, aber noch nie für Archäologen. Der Copilot ist ein Androide namens Webber Registrator, und sein äußeres Erscheinungsbild ist wie üblich hinreißend. Ein seltsames Team.
Die Planetenfähre dient uns einerseits als Transportmittel und andererseits auch als Unterkunft, denn wir haben hier nicht die Möglichkeit, Aufblashütten aufzupumpen. Wann immer wir nach draußen gehen, müssen wir uns einem kompletten Luftschleusen-Zyklus unterziehen und zudem Druckanzüge anlegen, was eine zeitraubende Plage ist. Diese Welt besitzt keine Atmosphäre. Genauer gesagt: Es gibt zwar eine, aber sie ist steinhart gefroren. Die Temperatur hier liegt rund fünf Grad über dem absoluten Nullpunkt, und unter solchen Bedingungen gefriert alles: Wasserstoff, Sauerstoff, die ganze Tabelle des periodischen Systems. Unsere Anzüge sind natürlich isoliert, doch wenn eine Naht platzte, wäre es ein schneller Tod.
Vielleicht war dies einmal eine recht freundliche Erdnorm-Welt. Sie ist ein wenig größer als die Erde, und die Gravitation beträgt 1,25 g. Das reicht völlig aus, um alle Bewegungen zu verlangsamen, doch wirklich unangenehm ist es nicht. Die Atmosphäre, die hier in Eisklumpen herumliegt, war offenbar unsere nette Sauerstoff-Stickstoff-Mischung. Eine Terraforming-Mannschaft könnte diese Welt wahrscheinlich in einen anständigen Urlaubsplaneten verwandeln, indem sie den thermonuklearen Reaktionen der hiesigen Sonne so lange Dampf macht, bis die Sachen hier wieder aufgetaut sind.
Die hiesige Sonne…
Wir sind wie besessen von dieser Sonne. Ich träume von ihr, und da bin ich nicht der einzige. Wenn wir die Fähre verlassen, vergessen wir, was wir eigentlich wollten, und starren sie einige lange Minuten an.
Wir setzen Teleskopgläser auf, um sie besser erkennen zu können. Mit dem bloßen Auge ist nicht sonderlich viel zu sehen. Wir sind zwar nur 110 Millionen Kilometer von ihr entfernt und somit ein ganzes Stück näher als die Erde unserer Sonne, aber dafür ist dieser Stern sehr klein. Und dunkel. Die sichtbare Scheibe ist nur etwa ein Zehntel so groß wie die unserer Sonne von der Erde aus gesehen. Kraftlos flackert sie vor dem Hintergrund des Alls, und wir müssen den ganzen Himmel absuchen, um sie ausfindig zu machen.
Wahrscheinlich hat GGC 1145591 noch eine Lebensspanne von einer Million Jahren vor sich, aber auch Sterne sterben einmal, und dieser liegt im Totenbett. Der Todeskampf einer Sonne dauert lange. Wenn sie ihren Treibstoff, den Wasserstoff, verbrannt hat, beginnt sie sich zusammenzuziehen, erhöht damit ihre Dichte und verwandelt die potentielle Energie der Gravitation in Hitze. Das ist hier geschehen, vor vielen Milliarden Jahren, vor so langer Zeit, daß der Verstand ausklinkt bei dem Versuch, sie sich vorstellen zu wollen. Diese Sonne ist in grauer Vorzeit, Äonen selbst vor der Entwicklung der Erhabenen, in sich selbst zusammengestürzt und zu einem Weißen Zwerg mit einer Dichte von vielen Tonnen pro Kubikzentimeter geworden. Und sie verbrannte weiter und immer weiter, kühlte dabei allmählich ab und wurde dunkel.
Als Schwarzer Zwerg jetzt erscheint sie durch das Teleskop wie ein ausgedehnter Lavateich. Man kann das Leuchten geschmolzenen Metalls beobachten — oder um was es sich auch handeln mag —, und Inseln aus Asche und Schlacke treiben in diesem Glutmeer umher. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur der Sonne liegt bei 980 Grad, und deshalb wird wahrscheinlich selbst jetzt niemand auf ihr landen. Die Aschemassen sind etwa 300 Grad warm. Im Innern des Sterns ist es viel heißer, dort, wo die zusammengepreßten Nukleonen ein noch immer beträchtliches Bewegungsmoment besitzen. Selbst eine Dunkelsonne erzeugt Wärme, aber die ganze Zeit über weniger und immer weniger. In einer Million Jahren wird dieser Schwarze Zwerg tot sein, nur noch ein großer Ball aus Asche, der durchs All treibt, kalt, ausgebrannt. Dann ist der letzte Lichtschimmer aus diesem Sonnensystem verschwunden und der Sieg der Nacht vollständig.
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