„Aber es könnte möglich sein! Wir haben einen Ausweis. Ein Beglaubigungsschreiben. Wir haben uns nur dazu entschlossen, es nicht mitzunehmen.“
„Da komme ich nicht ganz mit, Tom“
„Ich meine die Kugel, Sir!“
Dr. Schein runzelte die Stirn. Schürzte die Lippen. Dachte nach. Strahlte.
„Natürlich! Natürlich, die Kugel, die Kugel!“
Und er eilte davon, um sich mit Dr. Horkkk und Pilazinool zu beraten.
Die Konferenz dauerte eine Stunde. Dann bestellten sie uns alle zu einer für die Mittagszeit angesetzten allgemeinen Besprechung ins Laboratorium. Dr. Horkkk führte den Vorsitz. Dr. Schein saß neben ihm und schenkte mir liebevolles Lächeln. Ich war erneut der Lieblingsschüler des Lehrers.
Dr. Horkkk verflocht seine Arme, öffnete und schloß in rascher Folge seine drei vorstehenden Augen, schob einige seiner langen und vielgelenkigen Finger in den Eßmund und zeigte auf noch andere Art und Weise das ganze Spektrum der Verhaltensmuster, die die thhhianischen Äquivalente eines einleitenden Räusperns darstellen. Dann sagte er mit seiner aufgeregten und aufbrausenden und dünnen Stimme: „Ich möchte eine Planänderung vorschlagen. Sie wird einmütiges Einverständnis erfordern, denn die Konsequenzen sind möglicherweise ernsthafter Natur. Wie Sie wissen, haben wir uns einverstanden erklärt, die Kugel unverzüglich zur Analyse und Konservierung an Zentralgalaxis zu schicken. Heute wurde jedoch der Vorschlag gemacht, wir sollten die Kugel hierbehalten, als Kommunikationsmittel für den Fall, daß wir den Roboter der Erhabenen finden. Sie könnte uns sozusagen als Beglaubigungsschreiben dienen und unseren Ausweis darüber darstellen, daß wir Archäologen einer weit in der Zukunft liegenden Ära sind.“
Ich bewunderte die geschickte Übernahme meiner eigenen Worte.
„Das bedeutet“, fuhr Dr. Horkkk fort, „wir könnten dem Roboter damit demonstrieren, daß wir durch den Fund der Kugel zu ihm gelangt sind und ziemlich viel Zeit verstrichen ist, seit er auf dem Asteroiden zurückgelassen wurde. Ich kann mir vorstellen, die Kugel als Vermittler zu verwenden, so daß eine Kommunikation möglich wird. Wenn wir sie allerdings mit uns nehmen, dann begeben wir uns in direkten Gegensatz zu unserer Übereinkunft mit Zentralgalaxis. Und deshalb…“
Er rief uns zur Abstimmung auf.
Alle dafür, Zentralgalaxis zu sagen, sie könnten sich zum Teufel scheren? Elf Hände oben.
Dagegen? Niemand.
Einmütige Zustimmung. „Natürlich besteht nunmehr für keinen von uns ein Anlaß, nach Zentralgalaxis zu fliegen“, sagte Dr. Schein daraufhin. „Die ursprüngliche Anordnung wird hiermit widerrufen. Wir fliegen alle gemeinsam zum Asteroiden.“
Verdammt. Ich hatte geglaubt, ich wäre Leroy Chang für eine Zeitlang losgewesen.
16. (?), 17. (?), 18. (?) November 2375
Irgendwo im Ultraraum
Seit einem Monat habe ich keinen Nachrichtenwürfel mehr in die Hand genommen, ich weiß. An diesen Reisen durch den Ultraraum ist irgend etwas, das mir den Schwung nimmt, Mitteilungen zu sprechen. Ich weiß nicht einmal genau, welches Datum wir haben. Irgendwo an Bord des Schiffes gibt es einen Erdnorm-Kalender, aber ich bringe es nicht über mich, ihn zu suchen.
Wir haben den Laden auf Higby V ganz planmäßig dichtgemacht und die Fundstelle verschlossen zurückgelassen, so daß die nächsten Archäologen, die sich damit befassen — hoffentlich handelt es sich bei ihnen um eine weniger launische Gruppe, als die wir uns erwiesen haben —, alles intakt vorfinden. Der Kreuzer kam am fünfundzwanzigsten an und nahm uns auf. Zentralgalaxis ist von uns nicht davon unterrichtet worden, daß wir die Kugel mitgenommen haben. Dadurch sind wir zu so etwas wie Renegaten geworden, aber es wird noch Monate dauern, bis die Bürokraten zu Hause dahinterkommen, und bis dahin können wir vielleicht mit einem neuen, prächtigen Fund aufwarten, um sie zu beruhigen. Mirrik hat es nach seinem besoffenen Tanz durch das Laboratorium am eigenen Leib erfahren: Jeder Sünder kann Erlösung finden, wenn die Rendite seiner Sünde nur spektakulär genug ist.
Bei unserem Raumschiff handelt es sich um einen gewöhnlichen Interstellar-Kreuzer, der auf einer Route durch den oberen Quadranten verkehrt, zwischen Rigel und Aldebaran. GGC 1145591 liegt ein bißchen abseits dieser Strecke, aber nicht allzu viel, und einen dortigen Zwischenstop zu arrangieren, war nicht weiter schwierig. Es kostete nur Geld. Altes irdisches Sprichwort: Geld regiert die Welt. Am Ziel wird uns eine gemietete Planetenfähre zur Verfügung stehen, so daß wir das Planetensystem von GGC 1145591 nach unserem Asteroiden durchsuchen können. Sie ist bereits von Aldebaran aus auf dem Weg, um uns dort zu erwarten. Auch das kostete Geld. Dr. Schein hat unser Daumenkonto bereits vor langer Zeit überzogen, aber er ist sehr geschickt in Verhandlungen mit Computern und hat uns einen Kredit besorgt. Diese neue finanzielle Decke wird uns so lange wärmen, bis uns Zentralgalaxis auf die Schliche kommt. Das Allmächtige Proton möge uns beschützen, wenn wir auf dieser Expedition Pech haben — wenn wir eine Niete ziehen, dann werden wir bei unserer Rückkehr, um einen alten, aber treffenden Ausdruck zu benutzen, in einen ziemlich sauren Apfel beißen müssen.
Unsere Unterkünfte hier sind so gemütlich und komfortabel wie an Bord des Schiffes, das uns nach Higby V brachte. Geräumige Kabinen, eine gut ausgestattete Bibliothek, Unterhaltungsmöglichkeiten, ordentliches Essen. Die Besatzung bleibt unter sich, wir bleiben unter uns. Während einer Reise im Ultraraum verschiebt sich das Zeitgefühl auf sonderbare Weise: Manchmal stelle ich fest, daß ich über einen Zeitraum, der etwa zwei oder drei Tage umfassen mag, ohne Schlaf ausgekommen bin, und dann wiederum schlafe ich mehrere Tage — glaube ich jedenfalls.
Alle sind ganz außer sich, besonders aber Dr. Schein und Dr. Horkkk. Sie wandern dauernd umher, davon überrascht, daß sie jemals den Mut aufgebracht haben, Higby V zu verlassen und sich auf diese Suche zu begeben. Weißt du, Dr. Horkkk ist kaum der Typ des entzückten, romantischen, schwärmerischen Abenteurers, und soweit ich seinen Gesichtsausdruck zu interpretieren vermag, scheint er zu denken: „Das kann ich doch nicht sein!“ Dr. Schein macht einen ebenso verwirrten Eindruck. Pilazinool andererseits ist vollkommen selbstsicher, schraubt nur noch selten seine Glieder ab und glaubt offenbar, wir seien vom Schicksal Auserwählte. Nun, das wird sich noch herausstellen.
Bisher bestand meine hauptsächliche soziale Leistung auf dieser Reise darin, Jan wieder zu ihrer Fixierung auf Saul zu verhelfen.
Ich weiß nicht genau, wie ich das zustande gebracht habe. Ich hatte geglaubt, Jan und ich sendeten und empfingen auf der gleichen Wellenlänge.
Ich will damit nicht sagen, daß sich irgend etwas sehr Leidenschaftliches zwischen uns abgespielt hätte oder daß wir sogar kurz davor standen, den Status einer zeitlich begrenzten Ehe zu beantragen oder etwas ähnlich Absurdes. Unsere Beziehungen sind erstaunlich keusch gewesen. Wir haben uns ein bißchen eingehender mit den Aspekten körperlicher Annäherung befaßt, ja, aber es ist nichts zwischen uns geschehen, was man uns selbst in einer völlig puritanischen Ära hätte ankreiden können. Vielleicht war es dumm und einfältig von mir, mich so zurückhaltend verhalten zu haben. Wir sind erwachsen. Gerade was diesen Punkt betrifft.
Trotz aller Keuschheit schienen Jan und ich eine Art Team gebildet zu haben, und ich glaube kaum, daß irgend jemand etwas dagegen einzuwenden hatte — Leroy Chang ausgenommen. Als jüngsten und attraktivsten Vertreter der Erde in dieser Expedition wurde Jan und mir von den anderen eine Art von väterlicher Billigung zuteil. Sie strahlten uns reichlich an, jedoch komme mir dabei immer herabgesetzt vor.
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