„Meditation und Konzentration führen zu Verständnis, mein Freund. Vielleicht erweist sich dieser Kummer als hilfreich für dich.“
„Davon bin ich überzeugt“, gab ich zurück.
Dann kam Jan zu mir: ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch, eine überkritische Masse unmittelbar vor der Explosion. „Weißt du, was ich gerade herausgefunden habe?“ fragte sie mich herausfordernd.
„Natürlich“, sagte ich bitter. „Da ich ein TP bin, macht es mir überhaupt keine Schwierigkeiten, deine Gedanken zu lesen und…“
„Sei still, Tom. Ich habe gerade erfahren, wer die Liste aufgestellt und festgelegt hat, wer nach 1145591 und wer nach Zentralgalaxis fliegt. Es war Leroy Chang.“
„Leroy Chang“, sagte ich. „Das ist eigenartig. Warum hat er sie angefertigt?“
„Dr. Schein hat ihn darum gebeten“, antwortete Jan. „Unsere drei Chefs waren zu beschäftigt. Er hat die Notiz runtergetippt und dann vervielfältigt. Aber begreifst du denn nicht, Tom? Leroy Chang! Leroy Chang!“
„Leroy Chang“, sagte ich noch einmal. „Ja, ich habe dich verstanden.“
„Aber du denkst nicht nach! Die Liste legt fest, daß du nach Zentralgalaxis fliegst und ich nach 1145591… und daß Professor Chang ebenfalls nach 1145591 fliegt! Leroy hat das mit Absicht so arrangiert…“
„Jetzt funktioniert die Übertragung, Jan. Ich habe alles empfangen!“
„Ist das nicht wirklich alles?“
„Wo hält sich Leroy jetzt auf?“
„Im Laboratorium; er packt Inschriftsknoten zusammen.“
Ich sprintete zum Laboratorium. „Das Universum ist ein umkehrbares Wunder, Tom!“ rief Mirrik mir nach. „Paradoxistisches Sprichwort!“
„Danke!“ rief ich zurück.
Seit einigen Wochen nun schon — seit Leroy Jan nachgestellt hatte — gebe ich mir alle Mühe, die Gegenwart Professor Changs zu meiden. Und Leroy hat mich seinerseits ebenfalls nicht angesprochen, aus gutem Grund. In der letzten Zeit ist er eine Art zwielichtige, umherschleichende Gestalt gewesen, hat irgendwo am Rande meines Blickfeldes herumgeschnüffelt und gelegentlich einen verlangenden Blick auf Jan oder Kelly geworfen. Ich hatte eher Mitleid mit ihm, als daß ich ihn haßte: nur ein finsterer Typ von jener Art, der man in heruntergekommenen Sensikinos großer Städte begegnet. Jetzt aber war ich drauf und dran, ihn auseinanderzunehmen.
Ich sah ins Laboratorium hinein und entdeckte ihn im Hintergrund; er war tatsächlich damit beschäftigt, Inschriftsknoten zusammenzupacken. Dr. Schein und Pilazinool waren ebenfalls anwesend, und in ihrer Gegenwart wollte ich keine Szene machen. „Professor Chang“, sagte ich deshalb ganz ruhig. „Könnte ich Sie kurz sprechen?“
„Hat es noch etwas Zeit?“
„Ich fürchte, nein.“
„In Ordnung. Um was geht’s?“
„Wir haben drüben bei der Fundstelle etwas entdeckt, das Sie vielleicht untersuchen sollten. Wir wissen nicht so recht, was wir damit anfangen sollen, und bevor wir alles wieder zuschütten, hielten wir es für besser, wenn Sie es sich einmal ansähen.“
Er fiel darauf herein.
Schweigend gingen wir zur Fundstelle. Aber wir betraten die Grube nicht. Vor einem Hügel aus Ausgrabungsschutt, den wir bisher noch nicht wieder abgetragen hatten, hielt ich an. Es begann zu nieseln. „Bleiben wir hier stehen, Leroy“, sagte ich. „Laß uns ein bißchen plaudern.“
„Ich verstehe nicht.“
„Das wirst du. Man hat mir erzählt, du hättest die Liste aufgestellt, in der festgelegt wird, wer die Kugel nach Zentralgalaxis begleitet.“
„Ja.“ Wachsam.
„Wieso?“
„Weil mich Dr. Schein darum gebeten hat. Es war nur eine Routineangelegenheit.“
„Dann hast du mich also ganz routinemäßig von den anderen Expeditionsmitgliedern getrennt“, sagte ich. „Und gleichzeitig dafür gesorgt, daß du beim Flug zum Asteroiden mit von der Partie bist. Und Jan ebenfalls.“
„Du hast die Kugel entdeckt, Tom“, antwortete Leroy. „Ich habe einfach angenommen, daß du sie begleiten und dich persönlich um ihre Sicherheit kümmern möchtest.“
Diese Art von Begründung beeindruckte mich nicht. „Was würdest du davon halten, wenn ich dich in die Ausgrabungsgrube schmeiße?“ fragte ich.
Leroy trat von mir zurück. „Was sind das für Worte? Was ist das für ein Ton?“
„Primitives und altmodisches Kriegsgeheul. Du dreckiger Schweinehund! Ich sollte wohl ruhig zusehen und gute Miene zum bösen Spiel machen, während du mich ganz elegant in eine Flugbahn schießt, die geradewegs zur Sonne führt?“
„Ich verstehe nicht.“
„Das sagtest du bereits. Ich werde dir ein altes paradoxistisches Sprichwort nennen: Das Universum ist ein umkehrbares Wunder. Weißt du, was du für mich tun sollst?“
„Ich mag die Art und Weise nicht, in der du mit mir sprichst, Tom“.
„Halt die Klappe, Mensch! Ich will, daß du dich der Gruppe zuteilst, die nach Zentralgalaxis fliegen soll. An meiner Stelle.“
„Aber…“
„Ich fliege mit zum Asteroiden. Und du wanderst mit dem Kopf voran in die Grube, wenn du nicht mitspielst.“
Ich trat einen Schritt auf ihn zu. Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich und wurde blaß. Ich verabscheue Brutalität und brutale Kerle, aber in jenem Augenblick hatte ich kein Mitleid mit ihm — vor allem, als ich daran dachte, wie er Jan belästigt hatte.
Chang setzte an: „Diese Androhung physischer Gewaltanwendung…“
„… wird in die Tat umgesetzt…“
„… ist widerlich, Tom.“
„In die Grube!“ schrie ich und führte einen Scheinangriff auf ihn aus. Er quiekte ängstlich. Ich packte ihn bei den Schultern, warf ihn aber nicht hinein. Statt dessen beugte ich mich vor und sagte nahe seinem Ohr: „Was würde Dr. Schein von dir halten, Leroy, wenn sich Jan bei ihm über deinen Versuch, sie zu vergewaltigen, beschwerte?“
Leroy schauderte. Er ließ die Schultern hängen.
Ich bezweifle sehr, ob die Beschwerde über eine versuchte Vergewaltigung, Wochen nach dem Vorfall eingereicht und unter solchen Umständen, vor Gericht viel hergegeben hätte. Aber Leute mit ausgeprägtem Schuldbewußtsein sind leicht zu erpressen. Leroy starrte mich an, tobte ein wenig, murmelte, ich würde ihn quälen und verleumden, und kapitulierte bedingungslos. „Was genau soll ich für dich tun?“
Ich sagte es ihm.
Er tat es.
Heute abend wurde eine überarbeitete Einteilungsliste ausgehängt. Mein Name steht nun bei denen, die sich auf die Suche nach dem Asteroiden machen werden. Professor Leroy Chang ersetzt mich in der Gruppe, die nach Zentralgalaxis zurückkehrt. Ich werde ihn nicht vermissen. Und Jan auch nicht.
17. Oktober
Es geht noch weiter mit diesem Marathonbrief. Die heutige Neuigkeit besteht darin, daß ich mich selbst aufs Kreuz gelegt habe. Aber ich hatte keine andere Wahl.
Weißt du, wie es ist, wenn man so auf eine Nebensache fixiert ist, daß man etwas von wirklicher Bedeutung einfach übersieht? Altes paradoxistisches Sprichwort: Wer die Hauptsache aus den Augen verliert, wird den Beginn des Goldenen Zeitalters verschlafen. Ich war ganz damit beschäftigt, mich aus dieser Zentralgalaxis-Angelegenheit herauszumanövrieren, und habe übersehen, was mir sofort hätte auffallen müssen. Was uns allen sofort hätte auffallen müssen.
Nach meinem morgendlichen Lichtblick stöberte ich Dr. Schein auf. „Sir“, sagte ich in meinem demütigen Lehrlings-Tonfall, „ich habe eine hypothetische Frage. Was ist, wenn wir den Asteroiden gefunden haben und sich herausstellt, daß der Roboter noch immer funktionsfähig ist und so? Wie können wir uns mit ihm in Verbindung setzen? Wie können wir ihm mitteilen, wer wir sind und wieviel Zeit vergangen ist?“
„Das wird wahrscheinlich nicht möglich sein, Tom.“
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