Pilazinool, der alle vierundzwanzig Stunden nur eine Stunde Schlaf braucht, erfüllte weitaus mehr als nur seinen Anteil an dieser Arbeit. Was bedauerlich war, denn seine Talente wurden woanders dringender gebraucht.
Es gelang uns, den größten Teil der Daten zu übermitteln. Es war keine reine Freude, Marge im Laboratorium zu haben, und es machte noch weitaus weniger Spaß, sie zwischen der Stadt und unserem Lager hin und her zu fahren — ich gab mir alle Mühe, solchen Aufträgen aus dem Weg zu gehen —, aber ich muß ihr auch einen Punkt zugute halten: Sie besitzt eine ausgezeichnete TP-Vitalität. Sie kam her, nahm die Datenblätter, begann mit der Übertragung und erledigte die eintönige Arbeit noch schneller als Ron in seinen besten Zeiten — und ganz offensichtlich auch müheloser. Ich vermute, sie hätte ohne weiteres Überstunden machen können, ohne sich dadurch zu erschöpfen. Aber das kam ihr natürlich nie in den Sinn.
Ben-Dov ist ein eigenartiger Mensch: etwa fünfzig Jahre alt, ergrauendes Haar, dickbäuchig, ein Gesicht, das dauernd rasiert werden müßte. Und er hat überhaupt nicht diesen Eroberer-der-Wüste-Ausdruck, den die meisten Israelis hervorzubringen versuchen. Hinter seinem schlampigen Äußeren aber ist er eisenhart. Wir unterhielten uns ein wenig. Er sagte mir, daß er bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr Israel nie verlassen habe, dafür aber weit im Landesinnern herumgekommen sei. Er ist in Kairo aufgewachsen, hat in Tel-Aviv und Damaskus studiert und auch Amman, Jerusalem, Haifa, Alexandria, Bagdad und die anderen bedeutenden israelischen Städte besucht. Dann verspürte er das Verlangen, auf Reisen zu gehen, und er verpflichtete sich zum TP-Dienst für den Ben-Gurion-Kibbutz auf dem Mars. Wie viele andere Telepathen blieb er auf der Wanderschaft, entfernte sich mit jedem Stellungswechsel immer weiter von der Erde und bevorzugte immer so öde und trostlose Planeten wie Higby V.
Mirrik, der sich sehr für Religionen interessiert — ich glaube, ich habe dir das bereits gesagt —, wurde ganz aufgeregt, als er herausfand, daß Ben-Dov Israeli ist. „Erzählen Sie mir etwas über die ethischen Werte des Judentums!“ dröhnte der gewaltige Dinamonianer ungeduldig. „Ich selbst bin Paradoxist; ich habe viele der irdischen Glaubensbekenntnisse studiert, aber einem richtigen Juden bin ich noch nie begegnet. Die Lehren von Moses über…“
„Es tut mir leid“, sagte Nachman Ben-Dov sanft. „Ich bin kein Jude.“
„Aber Israeli, nicht wahr? Ist das nicht die jüdische Nation der Erde?“
„Es gibt eine ganze Menge Juden in Israel“, sagte Ben-Dov. „Meine Religion aber ist der Authentische Buddhismus. Vielleicht haben Sie von meinem Vater gehört, dem Führer der Israelischen Buddhisten-Gemeinde: Mordecai Ben-Dov?“
Das hatte Mirrik nicht. Aber er wußte bereits einiges über den Authentischen Buddhismus, und seine Stoßzähne sanken enttäuscht herab, als seine Chance verblaßte, etwas über die ethisch-moralisch-philosophischen Strukturen der Lehren von Moses zu erfahren. Das ist das Problem mit der Ausbreitung einer globalen Kommunikation: Stammesgefüge fallen auseinander. Plötzlich hat man Authentische Buddhisten in Israel, Mormonen in Tibet, Reformierte Methodisten-Baptisten am Kongo und so weiter. Ich muß zugeben, daß mich Ben-Dovs Buddhismus dennoch stutzig machte.
Ob Jude oder nicht, er war ein ausgezeichneter TP-Operateur. Er und Marge arbeiteten sich prächtig durch den Berg aus Datenblättern. Als seine Ruhewoche vorbei war, kehrte Ron Santangelo an seine Arbeit zurück — die er sich jetzt mit den beiden anderen teilte —, und die Kopf-zu-Kopf-Übertragung unseres ersten Fotos wurde beendet. Von Luna City kam eine Bestätigung zurück: Sie hatten die Übertragung entschlüsselt und versuchten nun, den dargestellten Raumsektor zu lokalisieren.
Zu diesem Zeitpunkt etwa versuchte ich, etwas Zweifelhaftes und Anrüchiges in die Wege zu leiten.
Nachdem er seine Tagesschicht beendet hatte, nahm ich Ben-Dov beiseite und sagte: „Ergab sich während der Übermittlung der Daten ein Anlaß, mit einem auf der Erde als Relaisstation arbeitenden Mädchen namens Lorie Rice Kontakt aufzunehmen?“
„Nein“, gab er zurück. „Wir haben nicht ein Bit über die Erde durchgegeben.“
„Kennen Sie sie? Es ist meine Schwester.“
Er dachte einen Augenblick nach. „Nein, ich glaube nicht. Wissen Sie, der Weltraum ist ziemlich groß, und es gibt eine ganze Menge Mitglieder des Kommunikationsnetzes…“
„Nun, Sie könnten etwas durch sie übertragen, nicht wahr? Indem Sie die anderen Relaisstationen eine Pause machen lassen. Und wenn Sie das tun, dann könnten Sie vielleicht einen oder zwei Extragedanken erübrigen, nur um ihr ein Hallo von Tom zu bestellen und ihr zu sagen, daß es ihm gutgeht und er sie ziemlich vermißt…“
So wie Nachman Ben Dov mich ansah, hätte man glauben können, ich hätte gerade vorgeschlagen, Israel solle Ägypten, Syrien und den Irak an die Araber zurückgeben.
„Völlig ausgeschlossen. Die grundlegende Regel des TP-Dienstes lautet: Keine Schwarz-Übertragungen. Ich würde dadurch meinen Eid brechen. Und ich könnte darüber hinaus in erhebliche Schwierigkeiten geraten. Es gibt Mithör-Kontrolleure, wissen Sie.“
Ich vergaß den Einfall schnell wieder. Ich kann Ben-Dov für seine Ablehnung keinen Vorwurf machen: Er hatte recht und ich unrecht. Aber es wäre nett gewesen, wenn ich dir eine kurze Nachricht hätte senden können. Ich versuche mir vorzustellen, daß dich diese Hörbriefe eines Tages wirklich erreichen, aber wenn ich mir den ganzen Stapel Nachrichtenwürfel ansehe, die ich bisher für dich besprochen habe, dann kommen mir Zweifel. Seit Juni hast du nichts von mir oder über mich gehört, und ich wünschte, ich könnte es mir leisten, dich anzurufen und dir zu sagen, was ich hier mache.
Nun, wie dem auch sei: Letzten Dienstag waren unsere TPs mit der Übertragung der Daten der ersten Fotografie fertig. Unmittelbar darauf begannen sie mit der Übermittlung der stellaren Nahaufnahme. Damit sind sie noch immer beschäftigt.
In der Zwischenzeit haben wir unsere Ausgrabungen fortgesetzt, doch unsere Funde sind ganz gewöhnlich und somit langweilig. Normalerweise — wenn wir die Kugel nicht hätten — wären wir über die Fülle der Erhabenen-Artefakte entzückt gewesen, die wir bis heute aus dem Hügel herausgeholt haben. Aber jetzt sind wir alle, selbst unsere drei Chefs, wie besessen von dem bohrenden Verlangen, spektakuläre Entdeckungen sofort zu machen, anstatt die Scherben-und-Krümel-Routine der gewöhnlichen Archäologie weiterzuverfolgen. Gute Wissenschaft kennt keine Ungeduld, ich weiß, aber wir brennen darauf, uns auf die Suche nach dem Roboter in der Felsgruft zu machen und den Rest dieser einstmals vielversprechenden Fundstelle unwichtigeren Plackerern zu überlassen.
Und gestern erhielten wir die Bestätigung dafür, daß unsere Erwartung, spektakuläre Entdeckungen zu machen, nicht zu hochgegriffen waren. Gestern war nämlich der letzte Tag des Monats, und das TP-Netz legte uns seine Rechnung vor.
Niemand hatte viel über die Kosten all der harten TP-Arbeit verlauten lassen. Es war nur wichtig gewesen, die Daten zu übertragen — über so schmutzige Dinge wie Geld konnte man irgendwann später reden. Nun, dieses Später hatte uns eingeholt. Ich weiß nicht einmal, wie hoch die Rechnung wirklich war. Aber das kann man sich auch so vorstellen: Über etwa fünfzehn Tage hinweg und für acht Übertragungsstunden täglich beschäftigten wir eine ganze TP-Gruppe mit einer permanenten Kopf-zu-Kopf-Verbindung zur Erde.
Es ist schlicht und einfach so, daß wir das ganze für das zweite Jahr vorgesehene Budget für die zweiwöchige TP-Kommunikation ausgegeben haben.
Wie es mit den Finanzen einer Expedition in der Regel der Fall ist, so hat auch diese einen ziemlich großen Daumen. Die Einzelheiten kenne ich nicht, aber wir erhalten Zuschüsse von einem halben Dutzend Universitäten, von einigen privaten Stiftungen und den Regierungen von sechs Planeten. Das ganze Geld war dafür vorgesehen, den Flug nach Higby V und zurück möglich zu machen, (bescheidene) Gehälter an das Expeditionspersonal auszuzahlen und die Kosten der Ausgrabungsarbeiten selbst und die der Veröffentlichung unserer Resultate abzudecken. All die Gelder zusammen sollten es uns ermöglichen, die Fundstelle zwei Jahre lang zu untersuchen. Rücklagen für die Begleichung horrender TP-Rechnungen waren nicht gebildet worden.
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