Tom verdrehte die Augen. »Oh, ooooh! Du klingst ja richtig verliebt! Verliebt in ein glubschäugiges Scheusal!«
»Blööööödsünn!« Hugo gab Tom einen ärgerlichen Stubs vor die Brust. »Sohooo oin Blööödsünnn!«
Tom kicherte so sehr, daß ihm die Brille von der Nase rutschte. »O Mann, das wird ja 'ne heiße Liebe, wenn ihr zwei euch die Eisfinger drückt. Weißt du was, Hugo, mach ihr doch einfach ein paar Gespensterkomplimente, wenn sie auftaucht. Vielleicht vergißt sie dann, daß sie uns in Pfützen verwandeln und aufschlürfen will, okay?«
»Söhör wützüg!« säuselte Hugo und blies Tom seinen Moderatem ins Gesicht. »Wohonsünnüg wützüg!«
»Oh, hört jetzt auf, ihr beiden«, sagte Frau Kümmelsaft. »Wir haben wirklich keine Zeit für so etwas. Herr Wurm, haben Sie den Schlüssel für die Kapelle und die Gruft?«
»Aber natürlich.« Herr Wurm zog einen großen Schlüsselbund aus der Tasche. »Der da ist es, der lange, verschnörkelte.«
Frau Kümmelsaft steckte ihn ein und gab Herrn Wurm den GEMEG-Seismographen. »Hier«, sagte sie, »für alle Fälle. Auf Hugo in seinem romantisch verwirrten Zustand verlassen Sie sich wohl besser nicht. Komm, Tom.«
»Tschüs, Hugo!« kicherte Tom. »Und sehn dich nicht zu sehr nach deiner Angebeteten, ja? Sonst kommt sie noch wirklich.«
»Hohoooo!« säuselte Hugo und warf ihm einen Schneeball an den Kopf. Dann verschwand er mit den Wurms in den alten Pferdeställen.
Hedwig Kümmelsaft und Tom überquerten den Hof, um sich die Gruft der von Dusterbergs zu Krötenstein anzusehen.
Der Schnee lag schon so hoch, daß ihre Füße bis an die Knöchel darin versanken. Schweigend gingen sie nebenein' ander her. Außer ihren knirschenden Schritten war nichts zu hören. Tom ließ seinen Blick über die dunklen Fenster ringsum wandern. Aber diesmal spürte er keine Augen, die ihn an starrten, wie bei ihrer Ankunft.
»Na, ein Glück«, murmelte er.
»Was?« fragte Hedwig Kümmelsaft.
»Och, nichts.« Tom wischte sich ein paar Schneeflocken von der Brille. »Ich glaub', die Tür unter dem Wappen da ist es.«
Hedwig Kümmelsaft steckte den Schlüssel ins Schloß. Ächzend schwang die Tür auf, und sie standen in der Kapelle der von Dusterbergs. Es roch nach feuchtem Stein, nach Kerzenwachs - und nach Schlamm.
»Sieh dir das an«, flüsterte Hedwig Kümmelsaft.
Dunkle Schlammspuren führten den Gang zwischen den geschnitzten Chorstuhlreihen entlang und verschwanden im Dunkel hinter dem Altar.
Tom bückte sich. »Die Spuren scheinen schon älter zu sein«, flüsterte er.
Vorsichtig gingen sie weiter. Hinter dem Altar öffnete sich ein zweiter Raum, ein Raum mit mehreren großen Steinplatten an den Wänden.
Vor einigen kauerten weinende Engel mit steinernen Tränen in den Marmoraugen.
Langsam ließ Tom das Licht seiner Taschenlampe über die Inschriften der Platten gleiten.
»Giselbert, Ethelgar, Miesgunde«, las Tom. »Du meine Güte, hatten die komische Namen. Ich frage mich.« Weiter kam er nicht.
Im Funkgerät knackte es.
»Hallo, hallo!« flüsterte Herr Wurms aufgeregte Stimme. »Bitte melden!«
»Was gibt's?« fragte Frau Kümmelsaft.
»Sie war vor uns hier. Die Batterien sind ausgeschlürft!« rief Herr Wurm. »Alle. Es sieht hier furchtbar aus. Was sollen wir jetzt tun?«
»Kommen Sie sofort zu uns rüber!« sagte Frau Kümmelsaft. »So schnell Sie können.«
»Schlimme Nachrichten!« murmelte Tom.
Er leuchtete den nächsten Grabstein an, vor dem zwei Marmorhunde Wache hielten. Die Inschrift war über und über mit Schlamm bedeckt. Tom zog sein Taschenmesser heraus und kratzte den Dreck vorsichtig ab.
»Jaspara, Baronin von Dusterberg zu Krötenstein«, las er. »Meuchlings gemordet am 12. Mai 1658 bei Morgengrauen. Geboren am selbigen Tag des Herrn 1623.«
»Mai.« Frau Kümmelsaft rieb sich die Nasenspitze. »Wann geht die Sonne im Mai auf?«
»Moment.« Tom zog einen kleinen Kalender aus der Hosentasche. »Sonnenaufgang im Mai - hier. Vier Uhr vierzig.« Er sah auf seine Uhr. »Jetzt ist es kurz nach Mitternacht. Na,
das gibt uns ja noch etwas Zeit zu entscheiden, was wir machen.«
»Viel zu entscheiden gibt es da nicht, fürchte ich«, sagte Frau Kümmelsaft. Nachdenklich betrachtete sie den alten Grabstein. »Mir sind nur zwei Methoden bekannt, wie man einem so spukstarken SPUMIDUV zur ewigen Ruhe verhelfen kann.«
»Eine kenn' ich auch«, sagte Tom. »Man schreibt den Namen des Gespensts rückwärts auf einen Spiegel und bringt es irgendwie dazu hineinzusehen. Dann verdampft es.«
»Hmm!« Frau Kümmelsaft nickte. »Aber diese Methode habe ich vor vielen Jahren mal bei einem Geist angewandt, der ertrunken war - genau wie unsere Baronin hier. Der Spiegel ist zerplatzt, und der Geist hat mich dreimal um sein Schloß gejagt. Mich hat nur gerettet, daß ich es irgendwie in mein spukgesichertes Auto geschafft habe. Eine scheußliche Erfahrung. Ganz abgesehen davon, daß ich von oben bis unten mit Spiegelsplittern gespickt war wie ein Glasigel.«
»Und der Geist?« fragte Tom. »Was ist mit dem Geist passiert?«
»Der hat noch drei Kollegen verflüssigt«, sagte Frau Kümmelsaft, »bis ihn der berühmte italienische Geisterjäger Professor Boccabella vernichtet hat.«
»Und womit?« fragte Tom. »Wie hat er das geschafft?«
»Mit einer unglaublich gefährlichen Methode«, sagte Frau Kümmelsaft. »Er.«
Wieder knackte das Funkgerät.
»Zu Hilfe!« schrie Herr Wurm mit sich überschlagender Stimme. »Zu Hilfeeeee! Sie kommt. Sie koo- oommt!«
Tom und Frau Kümmelsaft rannten los.
In letzter Sekunde

Auf dem Burghof bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick. Blau leuchtete der Schnee im Geisterlicht der Baronin. Riesengroß war sie geworden nach ihrer Batteriemahlzeit, so groß, daß ihr scheußlicher Kopf über die Burgmauer ragte. Kreischend und johlend preschte sie auf ihrem Pferd hinter den armen Wurms her, die wie aufgescheuchte Kaninchen im Zickzack durch den Schnee rannten. Von Hugo war weit und breit nichts zu sehen.
»Schnell, Tom, die Pfeife!« rief Frau Kümmelsaft, während sie hastig den Stromwärmewandler von der Schulter zerrte. Die Baronin streckte gerade eine bleiche Hand nach Frau Wurm aus, aber die konnte den eisigen Fingern in letzter Sekunde ausweichen.
»Verflixt«, murmelte Frau Kümmelsaft. »Der Eisendorn findet keinen Halt. Na, was soll's? Hey!« rief sie. »Hey, Jaspara, du Scheusal, komm doch hierher! Oder traust du dich etwa nicht?«
Die Blutige Baronin riß ihr Pferd herum und starrte mit roten Augen auf die beiden Gespensterjäger herab.
Erschöpft und dankbar für die Atempause plumpsten die Wurms in den Schnee.
»Waaaas?« heulte Jaspara, während ihr Pferd schnaubend näher tänzelte. »Waaas hat diiie da gesa- aaagt?«
»Seit wann bist du schwerhörig?« rief Tom. Todesmutig machte er ein paar Schritte auf das riesige Geisterpferd zu. »Sie hat dich ein Scheusal genannt. Und das bist du ja wohl auch, oder?«
Endlich hatten seine Finger die kleine Pfeife in seiner Jackentasche gefunden.
»Hör dir das mal an, Jaspara!« rief er und blies mit aller Kraft in die Geisterpfeife.
Nichts war zu hören, nicht für menschliche Ohren. Jasparas Geisterpferd aber bäumte sich so wild auf, daß die Baronin den Halt verlor und rücklings in den Schnee plumpste. Tom blies noch mal, und das Geisterpferd galoppierte mit wehender Mähne davon.
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