»Na, du hast gut reden«, knurrte Tom. »Du flatterst ja ständig in so 'nem Schlabberdings durch die Gegend.«
»Tja«, sagte Frau Kümmelsaft, »was dann? Wir haben noch eine halbe Stunde, um uns etwas einfallen zu lassen. Wenn unsere Freundin nicht früher zurückkommt. Und sie wird ziemlich ärgerlich sein, das ist sicher.«
Alle schwiegen bedrückt.
Tom fühlte sich scheußlich. Absolut scheußlich.
»Ja, ja, schon gut!« sagte er schließlich. »Ich mach' es. Ich
zieh' das Ding an. Aber ich muß nicht noch 'ne Perücke oder so was aufsetzen, oder?«
»Oin Schloiör wärö nücht schlöcht«, säuselte Hugo. »Dos würdö dür wundörbor stöhön.«
»Hugo, laß ihn in Ruhe«, sagte Frau Kümmelsaft und stand auf. »Machen wir uns an die Vorbereitungen. Frau Wurm, können Sie das Kleid so verändern, daß die Baronin es nicht erkennt?«
»Kein - icks - Problem«, sagte Frau Wurm.
»Gut«, sagte Frau Kümmelsaft. »Dann fangen Sie am besten gleich an. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Duell auf der Zugbrücke

Es war kurz vor vier, als Tom mit Frau Kümmelsaft auf die Zugbrücke hinaustrat. Pechschwarz hing die Nacht über der alten Burg, nur der Schnee schimmerte in der Dunkelheit. Es schneite nicht mehr, aber ein eisiger Wind strich um die Mauern und fuhr in den Glockenturm der Kapelle. Unheimlich wehte ihr Läuten herüber, das war das einzige Geräusch in der nächtlichen Stille.
Tom schauderte.
Er fühlte sich gräßlich. Das Kleid der Baronin flatterte ihm um die Glieder, und obwohl er Jeans und Pullover drunter trug, fror er erbärmlich. Auf dem Kopf hatte er einen Schleier, damit die Baronin nicht gleich merkte, mit wem sie es zu tun hatte.
»Mannomann!« murmelte Tom. »Nur gut, daß mich keiner so sieht.«
»Ach, komm!« sagte Hedwig Kümmelsaft. »In anderen Ländern tragen Männer ständig Kleider, oder? Mach bitte den Spukenergie-Visualisator an.«
»Okay!« Tom knipste ein Ding an, das haargenau wie eine Taschenlampe aussah. Nur daß es eine seltsam geformte blaue Birne hatte. Langsam ließ er den blauen Strahl über die Brücke wandern.
»Da!« flüsterte er. »Da muß es passiert sein.« Ganz rechts, am Rand der Brücke, begann der Schnee zu leuchten, als das blaue Licht auf ihn fiel. Er wirbelte hoch und rieselte bläulich schimmernd auf das dunkle Wasser des Burggrabens hinab. Ein leiser Seufzer strich durch die Nacht.
»Haben Sie etwas gefunden?« rief Herr Wurm.
Zusammen mit seiner Frau saß er in einem Ruderboot unter der Brücke. Die beiden hatten darauf bestanden, nun auch bis zum bitteren Ende mit dabeizusein.
»Ja, wir haben die Stelle!« antwortete Frau Kümmelsaft.
»Aber nun keinen Laut mehr da unten, verstanden?
Sonst greift die Baronin womöglich nach Ihnen und nicht nach unserem Gutgekleideten Freund hier.«
Tom schluckte. Er sah plötzlich bleiche, lange Finger vor sich, die nach ihm griffen. Entschlossen schüttelte er den Kopf.
»Irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Frau Kümmelsaft besorgt.
»Nein, nein«, antwortete Tom. Erste Regel der Gespensterjägerei: Stell dir nie zu genau vor, was auf dich zukommen könnte, rief er sich ins Gedächtnis.
Entschlossen raffte er das lange Kleid zusammen und stellte sich genau auf die Stelle, an der vorhin der Schnee aufgewirbelt war.
Sie leuchtete immer noch, aber als Tom den Spuk- energie-Visualisator ausknipste, verschwand das blaue Licht, als hätte es jemand weggewischt.
»Komisches Gefühl«, dachte Tom. »Genau da zu stehen, wo der Tod die Baronin geschnappt hat.« Für einen kurzen Augenblick fühlten seine Füße sich ganz heiß an.
Frau Kümmelsaft sah auf die Uhr. »Vier Uhr. Zeit, daß sie kommt. Bist du bereit? Deine Zähne klappern.«
»Das ist bloß die Kälte«, brummte Tom.
»Gut, dann geb' ich Hugo das Zeichen!« Mit einem weißen
Taschentuch winkte Frau Kümmelsaft zum Glockenturm hinauf. Dort wartete Hugo auf seinen Einsatz.
»Hör mal, mein Lieber.« Frau Kümmelsaft legte Tom den Arm um die Schultern. »Versprich mir, nicht den Helden zu spielen. Wenn dir irgendwas komisch vorkommt, renn weg. Oder spring in den Wassergraben. Versprochen?«
Tom nickte und blickte hinunter auf das schwarze
Wasser. An den Rändern des Grabens bildete sich schon eine Eisschicht.
»Na, da muß es aber schon sehr schlimm kommen, daß ich da reinspring«, sagte er. »Mit dem Kleid würde ich doch untergehen wie 'ne Bleiente. Kein Wunder, daß die Baronin mit dem schweren Fummel ertrunken ist.«
»Nun, notfalls können die Wurms dich ja rausfischen«, sagte Frau Kümmelsaft. »Aber ich hoffe, daß solche Maßnahmen nicht nötig sein werden. Boccabella hat mir übrigens berichtet, daß die Stelle, an der der Geist ihn berührt hat, sofort zu prickeln begann. So, als hätte ihn eine Brennessel berührt. Solltest du irgendwas anderes spüren, dann renn, verstanden? Ich warte mit dem Auto am Ende der Brücke. Du mußt also nur ein paar Meter zurücklegen, klar?«
»Ja, klar«, sagte Tom.
»Gut!« Frau Kümmelsaft klopfte ihm noch mal auf die Schulter. »Ich wünschte wirklich, ich könnte statt deiner hier stehen, aber meine verflixte Länge...«
»Booooohhhhh!« klang es vom Burghof herüber. »Dooos üst jötzt moiiinö Buuuuurg. Joooooo, dos üst jötzt moiiiinö, altös Mööödchön. Ooooch, nun guck doch nücht so bööösö. Komm schohoon, hol ühn dür, hoool dür dön Kohopf, Jospoooro!«
»Es hat geklappt!« flüsterte Frau Kümmelsaft. »Hugo hat sie rausgelockt. Also, viel Glück!«
Dann rannte sie hastig über die Brücke zu ihrem Auto.
Tom blieb allein zurück.
Der Wind fuhr ihm in das gräfliche Gewand und riß an dem langen Schleier. Tom hörte, wie Hugo näher kam, immer näher. Und er wußte, wer dem MUG folgte, wütend und mächtig von der langen Nacht: die Blutige Baronin.
»Trölöööööh!« flötete Hugo und schwabbelte hastig aus dem dunklen Portal in Richtung Burggraben. »Ho- hoool ühn dür, Gröööfün!«
Unter seinem bleichen Arm klemmte wieder der Kopf des Burggespensts. Mit einem fiesen Grinsen schwebte Hugo hinauf zu den Zinnen der Burgmauer und zwinkerte Tom von oben zu. Seine giftgrünen Augen leuchteten wie die einer Eule in der Dunkelheit.
Hugos Verfolgerin ließ nicht lange auf sich warten.
Mit einem gräßlichen Kreischen kam die kopflose Baronin auf die Brücke geschwebt. In ihrer Wut flackerte sie so hell, daß das Wasser des Burggrabens silbern schimmerte. Suchend tasteten ihre Arme durch die kalte Luft. Hugo schwebte lautlos zu ihr hinab und setzte ihr den Kopf wieder auf den Hals. Verkehrt herum. Dann schwebte er schleunigst zurück auf die Burgmauer.
»Aaaaahhhh!« heulte die Baronin. »Du wunderlicher Witzbold!« Wütend nahm sie ihren Kopf ab und setzte ihn richtig herum wieder auf. »Veeeerschwinde endlii- iich! Hier ist kein Platz für zweiiiii Geister, hiiier.«
In dem Moment erblickte sie Tom.
Wie erstarrt hielt sie in ihrer Bewegung inne. Ihre Augen traten fast aus den dunklen Höhlen. Wahrhaft furchterregend sah das aus.
»Duuuuuuuuuuu!« hauchte sie drohend. »Weeheer bist duuu denn?«
Toms Zähne klapperten wie eine alte Schreibmaschine. Ärgerlich biß er sie zusammen.
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