Oder Blaubarts Frau, dachte Darcy. Die Frau, die einen Blick in den abgesperrten Raum warf und darin die abgeschlagenen Köpfe aller ihrer Vorgängerinnen entdeckte.
»Bob, ich schwöre dir, dass ich keine Ahnung habe, wovon du re…«
»Also habe ich nach meiner Ankunft als Erstes deinen Computer hochgefahren, Firefox geöffnet - das ist der Browser, den du immer benutzt - und mir den Verlauf angesehen.«
»Den was?«
Er schmunzelte, als wäre ihm eine besonders witzige Pointe gelungen. »Du weißt nicht einmal, was ich meine. Das habe ich mir gedacht, denn bei jeder Kontrolle war immer alles da. Du löschst ihn nie !« Und er schmunzelte erneut, so wie es ein Mann tat, wenn eine Frau eine Eigenschaft bewies, die er besonders liebenswert fand.
Darcy spürte die ersten schwachen Zornregungen. Unter diesen Umständen vielleicht absurd, aber trotzdem deutlich spürbar.
»Du kontrollierst meinen Computer ? Du Schnüffler! Dreckiger Schnüffler!«
»Natürlich kontrolliere ich ihn. Ich habe einen sehr bösen Freund, der sehr schlimme Dinge tut. Ein Mann in meiner Lage muss auf dem Laufenden bleiben, was seine private Umgebung betrifft. Seit die Kinder aus dem Haus sind, besteht sie nur noch aus dir.«
Ein böser Freund? Ein böser Freund, der schlimme Dinge tat? Ihr schwindelte, aber eines war ihr nur allzu klar: Weiteres Leugnen wäre zwecklos gewesen. Sie wusste Bescheid, und er wusste, dass sie es wusste.
»Du hast dich nicht nur über Marjorie Duvall informiert.« In seiner Stimme hörte sie weder Schuldbewusstsein noch Rechtfertigungsversuche, sondern nur ein grausiges Bedauern darüber, dass es so weit gekommen war. »Du hast dich über alle informiert.« Dann lachte er und sagte: »Hoppla!«
Sie setzte sich auf und lehnte sich ans Kopfende des Betts, wodurch sich der Abstand zu ihm leicht vergrößerte. Das war gut. Abstand war gut. In all diesen Jahren hatte sie Hüfte an Hüfte, Schenkel an Schenkel mit ihm gelegen, aber jetzt war Abstand gut.
»Welcher böse Freund? Von wem redest du überhaupt?«
Er legte den Kopf schräg, Bobs Körpersprache für: Du bist begriffsstutzig, aber auf niedliche Weise. »Brian.«
Anfangs hatte sie keine Ahnung, von wem er sprach, und vermutete, das müsse ein Arbeitskollege sein. Vielleicht ein Komplize? Auf den ersten Blick erschien das kaum wahrscheinlich, denn sie hätte behauptet, Bob habe so wenig Talent dafür, Freunde zu gewinnen, wie sie selbst, aber Männer, die solche Verbrechen begingen, hatten manchmal Komplizen. Schließlich jagten auch Wölfe in Rudeln.
»Brian Delahanty«, sagte er. »Erzähl mir bloß nicht, dass du Brian vergessen hast. Ich habe dir alles über ihn erzählt, nachdem du mir erzählt hast, was Brandolyn zugestoßen ist.«
Ihr stand der Mund offen. »Dein Freund aus der Highschool? Bob, der ist tot! Er ist unter einen Lastwagen geraten, als er einen Baseball fangen wollte, und jetzt ist er tot !«
»Nun …« Bobs Lächeln wurde zaghaft. »Ja … und nein. Ich habe ihn fast ausschließlich Brian genannt, als ich dir von ihm erzählt habe, aber in der Schule habe ich ihn anders angesprochen, weil er seinen Vornamen gehasst hat. Ich habe ihn mit seinen Anfangsbuchstaben angesprochen. Ich habe ihn BD genannt.«
Sie wollte ihn fragen, was das mit dem bisherigen Thema zu tun habe, aber dann wusste sie es. Natürlich wusste sie das. BD.
Beadie.
9
Er sprach lange, und je länger er sprach, desto mehr steigerte sich ihr Entsetzen. In all diesen Jahren hatte sie mit einem Verrückten zusammengelebt, aber woher hätte sie das wissen sollen? Seine Geistesgestörtheit glich einem unterirdischen See, über dem eine Felsschicht und eine Humusdecke lagen, auf der Blumen wuchsen. Man konnte zwischen den Blumen umherspazieren, ohne jemals zu ahnen, dass die Verrücktheit da war … aber das war sie. Sie war schon immer da gewesen. Bob machte BD (der erst Jahre später, in seinen Mitteilungen an die Polizei, zu Beadie geworden war) für alles verantwortlich, aber Darcy ahnte, dass er das wider besseres Wissen tat; indem er Brian Delahanty alle Schuld zuschob, konnte er seine beiden Leben leichter auseinanderhalten und so die notwendige Maskerade beibehalten.
Zum Beispiel sei es BDs Idee gewesen, Waffen in die Schule mitzunehmen und dort Randale zu machen. Wie fasziniert waren - und sie mit in die Schule zu nehmen. Damals hat es natürlich noch keine Leibesvisitation, keine Metalldetektoren gegeben.
Wir hatten vor, uns im Laborflügel zu verbarrikadieren. Wir würden die Türen mit Ketten sichern, ein paar Leute erschießen - hauptsächlich Lehrer, aber auch ein paar Mitschüler, die wir nicht mochten - und die anderen Schüler dann durch den Notausgang am Ende des Flurs ins Freie treiben. Na ja … die meisten halt. Die Mädchen, die uns hochnäsig behandelt hatten, wollten wir als Geiseln zurückbehalten. Das alles wollten wir natürlich tun - BD wollte es tun -, bevor die Cops eintreffen konnten. Er hat Pläne gezeichnet und hatte eine Liste mit allen erforderlichen Schritten in seinem Geometrieheft. Ich glaube, dass es von ›Feueralarm auslösen, um Verwirrung zu erzeugen‹ insgesamt etwa zwanzig Schritte waren.« Er lachte glucksend. »Und sobald wir alle Zugänge gesichert hatten …«
Er bedachte sie mit leicht verschämtem Lächeln, aber sie glaubte zu wissen, dass er sich vor allem dafür genierte, wie dumm ihr ganzer Plan gewesen war.
»Na, das kannst du dir vermutlich denken. Zwei Teenager mit einem so hohen Hormonspiegel, dass wir geil
Er nickte bedächtig.
»Sie hätten gefickt, um zu leben. Da hatte BD recht.«
Er ging ganz in seiner Erzählung auf. Seine Augen waren von (grotesker, aber echter) Nostalgie getrübt. Wonach? Nach diesen verrückten Jugendträumen? Darcy befürchtete, es könnte tatsächlich so sein.
»Wir hatten auch nicht vor, wie diese Heavy-Metal-Blödmänner in Colorado Selbstmord zu verüben. Niemals! Der Laborflügel war unterkellert, und Brian meinte, dass es dort unten einen Tunnel gab. Er hat gesagt, er würde vom Lagerraum bis zu der alten Feuerwache jenseits der Route 119 führen. Brian hat gesagt, als die Schule in den Fünfzigerjahren nur vom Kindergarten bis zur achten Klasse gereicht hat, hätte dort drüben ein Park gelegen, in dem die Kinder in der Pause gespielt hätten. Der Tunnel wäre gebaut worden, damit sie auf dem Hin- und Rückweg nicht über die Straße mussten.«
Bob lachte, was sie zusammenfahren ließ.
»Ich habe ihm alles geglaubt, aber in Wirklichkeit hat er lauter Scheiß erzählt. Im folgenden Herbst war ich selbst unten, um mich umzusehen. Der Lagerraum war voller Papier und hat nach der Vervielfältigertinte gestunken, die man damals benutzt hat, aber selbst ich konnte keinen Tunnel finden, obwohl ich schon damals sehr gründlich war. Ich weiß nicht, ob er uns beide oder nur sich selbst belügen wollte; ich weiß nur, dass es keinen Tunnel gab. Wir hätten oben festgesessen - und wer weiß, vielleicht hätten wir doch Selbstmord verübt. Was Vierzehnjährige tun werden, weiß man nie, oder? Sie rollen herum wie Bombenblindgänger.«
Aber du bist schon explodiert, dachte sie. Hab ich recht, Bob?
»Vermutlich wären wir ohnehin zu feige dafür gewesen. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hätten wir versucht, die Sache durchzuziehen. BD hat mich ganz aufgeregt gemacht, indem er davon gesprochen hat, wie wir sie erst befummeln und dann dazu zwingen würden, sich gegenseitig auszuziehen …« Er betrachtete sie ernst. »Ja, ich weiß, wie das klingt, bloß pubertäre Wichsphantasien, aber diese Mädchen waren wirklich hochnäsig. Wenn man mit ihnen reden wollte, haben sie gelacht und sind weggegangen. Dann haben sie an der Ecke der Mensa gestanden, die ganze Gänseherde, haben uns angestarrt und noch mehr gelacht. Also konnte man uns eigentlich keinen Vorwurf machen, oder?«
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