»Schluss damit, lass sie aus dem Spiel, wenn du von dieser Sache redest, tu das nie wieder !«
Er nickte demütig, hielt sie aber weiter leicht an den Oberarmen gefasst. »Ich habe BD schon mal besiegt … ich habe ihn zwanzig Jahre lang besiegt …«
Sechzehn, dachte sie wieder. Sechzehn, das weißt du genau.
»… und ich kann ihn wieder besiegen. Mit deiner Hilfe, Darce. Mit deiner Hilfe kann ich alles schaffen. Und was wäre, wenn er in zwanzig Jahren zurückkäme? Na und? Dann wäre ich dreiundsiebzig. Schwierig, Jagd auf hochnäsige Weiber zu machen, wenn man mit einem Gehwägelchen umherschlurft.« Er lachte herzhaft über diese absurde Vorstellung, dann wurde er wieder ernst. »Aber - hör mir jetzt gut zu - wenn ich jemals rückfällig würde, auch nur ein einziges Mal, dann würde ich Selbstmord verüben. Die Stigma … leiden müssen, weil ich dafür sorgen würde, dass alles wie ein Unfall aussieht … aber du würdest es wissen. Und du würdest wissen, weshalb. Was sagst du also? Können wir das alles hinter uns lassen?«
Sie schien darüber nachzudenken. Sie überlegte tatsächlich, obwohl die Denkprozesse, zu denen sie jetzt imstande war, vermutlich in keine Richtung gingen, die er ohne weiteres verstanden hätte.
In Wirklichkeit dachte sie: Das ist das Gleiche, was Drogensüchtige sagen. »Ich nehme dieses Zeug nie wieder. Ich habe schon mal damit aufgehört, und diesmal höre ich endgültig auf. Das ist mein Ernst!« Aber sie meinen es nicht ernst, auch wenn sie glauben, dass sie es ernst meinen, tun sie’s nicht, und er tut es auch nicht.
In Wirklichkeit dachte sie: Was soll ich nur tun? Täuschen kann ich ihn nicht; dazu sind wir zu lange verheiratet.
Darauf antwortete eine kalte Stimme, die sie niemals in ihrem Inneren vermutet hätte - vielleicht mit der BD-Stimme verwandt, die Bob flüsternd auf die hochnäsigen Weibsbilder aufmerksam machte, die er in Restaurants, an Straßenecken lachen, teure Sportwagen mit offenem Verdeck fahren, auf den Balkonen von Apartmentgebäuden miteinander flüstern und lächeln sah.
Möglicherweise war es auch die Stimme des Dunkleren Mädchens.
Wieso nicht?, fragte die Stimme. Schließlich hat er auch dich reingelegt.
Und was dann? Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste nur, dass jetzt jetzt war - und jetzt bewältigt werden musste.
»Du müsstest versprechen, damit aufzuhören«, sagte sie sehr langsam und widerstrebend. »Dein feierlichstes Versprechen ablegen, das du niemals brechen würdest.«
Die auf seinem Gesicht erscheinende Erleichterung war so total - so jungenhaft irgendwie -, dass sie gerührt war. Er hatte in der letzen Zeit nur selten so wie der Junge ausgesehen, der er einst gewesen war. Aber natürlich war das auch der Junge gewesen, der damals mit Waffen in die Schule hatte gehen wollen. »Das täte ich, Darce. Das tue ich. Ich versprech’s dir. Wie ich dir schon gesagt habe.«
»Und wir könnten nie wieder über diese Sache reden.«
»Das verstehe ich.«
»Und du darfst Marjorie Duvalls Ausweiskarten nicht der Polizei schicken.«
Sie sah sein enttäuschtes Gesicht (ebenfalls unheimlich jungenhaft), als sie das sagte, aber sie würde darauf beharren. Er musste das Gefühl haben, bestraft worden zu sein, wenn auch nur ein wenig. So würde er glauben, sie überzeugt zu haben.
Tut er das? Oh, Darcellen, tut er das?
»Ich brauche mehr als nur Versprechungen, Bobby. Taten sprechen lauter als Worte. Ich will, dass du die Ausweiskarten der Frau irgendwo im Wald vergräbst.«
»Und sobald ich das getan habe, sind wir …«
Sie streckte den Arm aus und hielt ihm den Mund mit der Hand zu. Sie bemühte sich, streng zu sprechen. »Still! Kein Wort mehr.«
»Okay. Danke, Darcy. Innigen Dank.«
»Ich weiß nicht, wofür du dich bedankst. Nichts ist passiert, außer dass du diesmal früher heimgekommen bist.« Und obwohl die Vorstellung, ihn neben sich liegen zu haben, sie mit Abscheu und Entsetzen erfüllte, zwang sie sich dazu, den Rest zu sagen.
»Jetzt zieh dich aus und komm ins Bett. Wir brauchen beide etwas Schlaf.«
10
Er war praktisch in dem Augenblick weg, in dem sein Kopf das Kissen berührte, aber lange nachdem sein leises, zurückhaltendes Schnarchen eingesetzt hatte, lag Darcy noch wach, weil sie befürchtete, von seinen Händen um den Hals aufzuwachen, wenn sie zuließ, dass sie eindöste. Schließlich teilte sie sich das Bett mit einem Wahnsinnigen. Wenn er sie mit dazunahm, hatte er genau ein Dutzend Morde verübt.
Aber er meint es ernst, dachte sie. Das war um die Zeit, als der Himmel im Osten hell zu werden begann. Er hat gesagt, dass er mich liebt, und meinte es ernst. Und als ich versprochen habe, sein Geheimnis zu bewahren - darum geht’s nämlich, sein Geheimnis soll bewahrt werden -, hat er mir geglaubt. Wieso auch nicht? Ich hab es beinahe selbst geglaubt.
War es nicht vorstellbar, dass er sein Versprechen halten würde? Schließlich misslang es nicht allen Drogenabhängigen, clean zu werden. Und war es nicht möglich, sein Geheimnis vor den Kindern zu bewahren, wenn sie es schon nicht für sich behalten konnte?
Das kann ich nicht. Das will ich nicht. Aber welche Wahl bleibt mir denn?
Welche gottverdammte Wahl?
Während sie über diese Frage nachdachte, gab ihr verwirrter, übermüdeter Verstand endlich auf, und sie schlief ein.
Sie träumte davon, ins Esszimmer zu kommen, in dem auf dem langen Ethan-Allen-Tisch eine Frau angekettet war. Die Frau war bis auf eine schwarze Lederkapuze, die ihre obere Kopfhälfte bedeckte, nackt. Ich kenne diese Frau nicht, diese Frau ist eine Fremde, dachte sie im Traum, und dann fragte Petra unter der Kapuze hervor: »Mama, bist du’s?«
Darcy wollte schreien, aber in Albträumen kann man das manchmal nicht.
11
Als sie mühsam zu sich kam - mit Kopfschmerzen, elend, irgendwie verkatert -, war die andere Betthälfte leer. Bob hatte seinen Wecker wieder umgedreht, und sie sah, dass es Viertel nach zehn war. So lange hatte sie seit Jahren nicht mehr geschlafen, aber sie war natürlich auch erst in der Dämmerung eingedöst, und ihr unruhiger, oft unterbrochener Schlaf war mit Schrecken bevölkert gewesen.
Sie ging auf die Toilette, nahm ihren Hausmantel vom Haken an der Badezimmertür und putzte sich dann die Zähne. Sie hatte einen scheußlichen Geschmack im Mund. Wie der Boden eines Vogelkäfigs, hatte Bob an den seltenen Morgen gesagt, nachdem er beim Abendessen ein zusätzliches Glas Wein oder bei einem Baseballspiel eine zweite Flasche Bier getrunken hatte. Sie spuckte aus, wollte ihre Zahnbürste schon ins Glas zurückstellen, erstarrte in der Bewegung und betrachtete ihr Spiegelbild. Heute Morgen sah sie eine Frau in mittleren Jahren, die alt aussah: fahle Haut, tiefe Falten auf beiden Seiten des Mundes, dunkle Ringe unter den Augen, das völlig zerzauste Haar, das man nur bekam, wenn man sich ruhelos im Bett wälzte. Aber das alles interessierte sie nur am Rande; ihr Aussehen beschäftigte sie am wenigsten. Sie spähte über die Schulter ihres Spiegelbilds und durch die offene Badezimmertür in ihr Schlafzimmer. Nur war es nicht ihr eigenes; es war das Dunklere Schlafzimmer. Sie konnte seine Pantoffeln sehen, die aber nicht seine waren. Sie waren eindeutig zu groß für Bob, fast die eines Riesen. Und das Doppelbett mit den verknitterten
Darcy beugte sich nach vorn, bis sie mit der Nasenspitze das Glas berührte. Sie hielt den Atem an und legte beide Hände seitlich ans Gesicht, wie sie es als Mädchen in grasfleckigen Shorts und rutschenden weißen Socken getan hatte. Sie sah in den Spiegel, bis sie die Luft nicht länger anhalten konnte, und atmete schließlich prustend aus, so dass der Spiegel beschlug. Sie wischte ihn mit einem Handtuch ab und ging dann unten, um sich ihrem ersten Tag als Frau des Ungeheuers zu stellen.
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