Er hatte eine Nachricht für sie unter die Zuckerdose geklemmt.
Darce,
ich werde die Dokumente beseitigen, wie
Du’s verlangt hast. Ich liebe Dich, Schatz.
Bob
Um seinen Namen hatte er ein kleines Valentinsherz gemalt, was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Sie fühlte eine Woge der Liebe für ihn, sämig und süßlich wie der Duft verwelkender Blumen. Sie hätte am liebsten wie die Klageweiber des Alten Testaments laut geschrien, erstickte diesen Laut aber mit einer Serviette. Der Kühlschrank schaltete sich ein und begann sein herzloses Summen. Wasser tropfte in den Ausguss und zählte die Sekunden auf Geschirr platschend ab. Ihre Zunge füllte ihren Mund wie ein mit Essig getränkter Schwamm aus. Sie spürte, wie die Zeit -
Der Kühlschrank summte, das Wasser tropfte in den Ausguss, und die grausamen ersten Sekunden verstrichen. Dies war das Dunklere Leben, in dem jede Wahrheit rückwärts geschrieben wurde.
12
In den Jahren, in denen Donnie im Cavendish Hardware Team Baseball gespielt hatte, hatte ihr Mann auch die Little League trainiert (ebenfalls mit Vinnie Eschler, diesem Meister polnischer Witze und bärenhaft tollpatschiger Umarmungen), und Darcy wusste noch gut, was Bob zu den Jungen - von denen viele weinten - gesagt hatte, nachdem sie das Endspiel des Jahresturniers im Bezirk 19 verloren hatten. Das musste 1997 gewesen sein, wahrscheinlich nur einen Monat bevor er Stacey Moore ermordete und sie mit dem Kopf voraus in ihren eigenen Maiskasten stopfte. Seine Ansprache vor dieser Horde enttäuscht schniefender Jungen war kurz, klug und (das hatte sie damals gefunden und dachte es heute noch) unglaublich gütig gewesen.
Ich weiß, wie schlecht ihr euch fühlt, Jungs, aber trotzdem geht die Sonne morgen wieder auf. Und wenn sie es tut, dann werdet ihr euch wieder besser fühlen. Wenn sie übermorgen aufgeht, noch ein bisschen besser. Was heute passiert ist, war nur ein Teil eures Lebens, der jetzt vorbei ist. Ein Sieg wäre besser gewesen, aber so oder so ist es vorbei. Das Leben geht weiter.
Wie ihr eigenes nach dem verhängnisvollen Trip in die Garage, um Batterien zu holen. Als Bob nach ihrem ersten langen Tag zu Hause (sie konnte den Gedanken, selbst auszugehen, nicht ertragen, weil sie befürchtete, ihr Wissen müsse in Großbuchstaben auf ihrer Stirn zu lesen sein) aus dem Büro heimkam, sagte er: »Schatz, wegen letzter Nacht …«
»Letzte Nacht ist nichts passiert. Du bist vorzeitig zurückgekommen, das war alles.«
Er senkte auf seine jungenhafte Art den Kopf, und als er ihn langsam wieder hob, leuchtete auf seinem Gesicht ein breites dankbares Lächeln. »Also gut«, sagte er. »Fall abgeschlossen?«
»Zu den Akten gelegt.«
Er breitete die Arme aus. »Gib uns einen Kuss, Schatz.«
Das tat Darcy - und fragte sich dabei, ob er auch die Frauen geküsst hatte.
Gib dir richtig Mühe, lass deine flinke Zunge spielen, dann steche ich nicht zu, glaubte sie ihn sagen zu hören. Leg dein hochnäsiges kleines Herz rein.
Er legte ihr die Hände auf die Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich weg. »Weiter Freunde?«
»Weiter Freunde.«
»Bestimmt?«
» Ja. Ich habe nicht gekocht, will aber auch nicht ausgehen. Hast du nicht Lust, schnell deine Freizeitklamotten anzuziehen und uns eine Pizza zu holen?«
»Klar doch.«
»Und vergiss nicht, dein Prilosec zu nehmen.«
Er strahlte sie an. »Wird gemacht.«
Sie beobachtete, wie er die Treppe hinaufstürmte, und war kurz davor, ihm nachzurufen: Tu das nicht, Bobby, das belastet dein Herz.
Aber nein.
Nein.
Sollte er es doch belasten, so viel er wollte.
13
Die Sonne ging am nächsten Tag auf. Und am übernächsten. Eine Woche verstrich, dann zwei, dann ein Monat. Langsam und allmählich kehrten sie zu ihren alten Gewohnheiten zurück, den kleinen Angewohnheiten einer langen Ehe. Darcy putzte sich die Zähne, während er unter der Dusche stand (und meistens irgendeinen Hit aus den Achtzigern sang - tonartgetreu, aber mit nicht sonderlich melodischer Stimme), aber sie tat es nicht mehr nackt, weil sie sofort nach ihm unter die Dusche gehen wollte; sie duschte jetzt, nachdem er zu B, B & A abgefahren war. Falls ihm diese kleine Veränderung ihres Modus operandi auffiel, äußerte er sich nicht dazu. Sie ging wieder in ihren Literaturzirkel und erklärte den übrigen Ladys und den beiden pensionierten Gentlemen, die ihn bildeten, sie sei nicht ganz gesund gewesen und habe außer ihrer Meinung zur neuen Barbara Kingsolver nicht noch ein Virus weitergeben wollen. Darüber schmunzelten alle höflich. Eine Woche später ging sie wieder in ihren Strickkreis »Die neueste Masche«. Manchmal ertappte sie sich dabei, dass sie auf der Rückfahrt von der Post oder dem Lebensmittelgeschäft mit dem Autoradio mitsang. Bob und sie sahen jeden Abend fern - immer Komödien, nie Krimiserien. Er kam jetzt meistens früh nach Hause; seit der Reise nach Montpelier hatte er keine mehr unternommen. Er installierte etwas namens Skype auf seinem PC und sagte, damit könne er Münzsammlungen ebenso leicht begutachten und noch dazu Benzin sparen. Er sagte nicht, dass das auch die Oft, dachte sie, sterben sie erst mit uns.
Tagsüber, während er fort war, stellte sie jetzt nur noch selten den Fernseher an. Ohne ihn war es leichter, dem Kühlschrank zuzuhören und auf das leise Knacken und Knarren zu lauschen, mit dem ihr hübsches Haus in Yarmouth sich auf einen weiteren strengen Winter in Maine einrichtete. Zudem konnte sie besser nachdenken. Und es war leichter, der Wahrheit ins Auge zu sehen: Er würde es wieder tun. Er würde sich so lange wie irgend möglich beherrschen, das gestand sie ihm gern zu, aber früher oder später würde Beadie die Oberhand gewinnen. Die Ausweiskarten seines nächsten Opfers würde er nicht einschicken, weil er glaubte, sie damit täuschen zu können; andererseits würde er sich nicht viel daraus machen, wenn sie diesen Trick durchschaute. Weil, so würde er argumentieren, sie jetzt darin verwickelt ist. Sie würde zugeben müssen, dass sie es gewusst hat. Das bekämen die Cops aus ihr heraus, auch wenn sie es verheimlichen wollte.
Donnie rief aus Ohio an. Die Agentur lief großartig; sie hatten einen weiteren Kunden: einen Büroartikelhersteller, der vielleicht landesweit expandieren würde. Darcy beglückwünschte ihn (und das tat auch Bob, der unbekümmert zugab, Donnies Chancen auf beruflichen Erfolg in so jungen Jahren falsch eingeschätzt zu haben). Petra rief an,
Wenn ihr Mann seinen Aktenkoffer gepackt hatte und ins Büro gefahren war, ging Darcy in ihrem Haus durch die Zimmer, blieb zwischendurch stehen und sah in die verschiedenen Spiegel. Oft sehr lange. Um die Frau in jener anderen Welt zu fragen, was sie tun solle.
Die Antwort schien zusehends zu lauten, sie werde nichts tun.
14
Zwei Wochen vor Weihnachten kam Bob an einem für die Jahreszeit zu warmen Tag schon am frühen Nachmittag nach Hause und rief laut ihren Namen. Darcy war oben, hatte sich hingelegt und las ein Buch. Sie warf es auf den Nachttisch (neben den Handspiegel, der jetzt ständig dort lag), sprang auf und stürmte den Flur entlang zur Treppe. Ihr erster Gedanke (voller Entsetzen, in das sich Erleichterung mischte) war, dass endlich alles vorbei sei. Er war enttarnt
Nur lag in seiner Stimme keine Angst; was es war, wusste sie schon, bevor er unten an der Treppe stand und zu ihr hochsah. Es war Aufregung. Vielleicht sogar Jubel.
»Bob? Was …«
»Das glaubst du nie!« Sein Mantel stand offen, das Gesicht war bis zur Stirn hinauf gerötet, und das zerzauste schüttere Haar stand nach allen Richtungen ab. Als hätte er auf der Nachhausefahrt alle Autofenster offen gehabt. Weil es draußen so frühlingshaft warm war, traute Darcy ihm das sogar zu.
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