»Aber?« Elvid sah mit entzücktem Eifer zu ihm auf. Streeter spürte, wie seine Fingernägel sich in die Handflächen gruben. Statt nachzulassen, verstärkte er den Druck Scheißkerl hat sie mir gestohlen !« Das nagte seit Jahren an ihm, und es war ein gutes Gefühl, diese Tatsache hinauszuschreien.
»Das hat er in der Tat, und wir hören nie auf, das Gewünschte zu begehren, ob das nun gut für uns ist oder nicht. Finden Sie nicht auch, Mr. Streeter?«
Streeter gab keine Antwort. Er atmete keuchend wie ein Mann, der gerade einen Fünfzigmeterspurt hingelegt hatte oder in eine Rangelei auf der Straße verwickelt gewesen war. Auf seinen zuvor blassen Wangen waren kleine rote hektische Flecken erschienen.
»Und ist das alles?« Elvid sprach im Tonfall eines gütigen Gemeindepfarrers.
»Nein.«
»Dann heraus damit. Drücken Sie dieses Geschwür aus.«
»Er ist Millionär. Er sollte keiner sein, aber er ist einer. Ende der Achtzigerjahre - nicht lange nach der Flut, die diese Stadt fast weggeschwemmt hat - hat er ein Müllabfuhrunternehmen gegründet … nur hat er es Abfallentsorgung und Recycling genannt. Ein netterer Name, wissen Sie.«
»Keimfreier.«
»Er ist zu mir gekommen, um ein Darlehen zu beantragen, und obwohl sein Geschäftsmodell niemanden in der Bank überzeugt hat, habe ich durchgesetzt, dass er den Kredit bekam. Wissen Sie, weshalb ich ihn durchgedrückt habe, Elvid?«
»Natürlich! Weil er Ihr Freund ist!«
»Raten Sie noch mal.«
»Weil Sie hofften, er würde abstürzen und verbrennen.«
»Richtig. Er hat seine gesamten Ersparnisse in vier Müllwagen gesteckt und eine Hypothek auf sein Haus aufgenommen, um ein Stück Land an der Stadtgrenze von Newport
»Sagen Sie’s mir!«
»Mount Trashmore! Sie ist riesig! Mich würde es nicht wundern, wenn sie radioaktiv verseucht wäre! Sie ist mit Rasen abgedeckt, aber überall stehen BETRETEN VERBOTEN-Schilder, und wahrscheinlich gibt es unter all dem hübschen grünen Gras ein Ratten-Manhattan! Wahrscheinlich sind die auch radioaktiv!«
Er verstummte, weil er merkte, wie lächerlich das klang, machte sich jedoch nichts daraus. Elvid war verrückt, aber … welch Überraschung! Auch Streeter hatte sich als verrückt erwiesen! Zumindest in Bezug auf seinen alten Freund. Und …
In cancer veritas, dachte Streeter.
»Rekapitulieren wir also.« Elvid begann die Punkte an seinen Fingern abzuzählen, die überhaupt nicht lang, sondern so kurz, pummelig und harmlos waren wie seine ganze Erscheinung. »Tom Goodhugh hat schon als kleiner Junge besser ausgesehen als Sie. Er war in einem Maß sportlich begabt, von dem Sie nur träumen konnten. Das Mädchen, das seine glatten weißen Schenkel auf dem Rücksitz Ihres Autos geschlossen gehalten hat, hat sie für Tom geöffnet. Er hat es geheiratet. Sie lieben sich noch immer. Mit den Kindern alles okay?«
»Gesund und ansehnlich!«, knurrte Streeter. »Die Tochter heiratet bald, ein Junge studiert, der andere ist auf der Highschool! Und ist Kapitän des Footballteams! Ganz der gottverdammte Vater!«
»Richtig. Und - die Kirsche auf dem Sahnehäubchen - er ist reich, und Sie müssen sich mit einem Jahresgehalt von sechzigtausend oder so ähnlich durchschlagen.«
»Für die Kreditgewährung an ihn habe ich einen Bonus bekommen«, murmelte Streeter. »Weil ich Weitblick bewiesen habe.«
»Aber was Sie wirklich wollten, war eine Beförderung.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin jetzt Geschäftsmann, aber früher war ich ein bescheidener Gehaltsempfänger. Bin rausgeflogen, bevor ich mich selbstständig gemacht habe. Das Beste, was mir je passiert ist. Ich weiß genau, wie so etwas läuft. Sonst noch was? Am besten reden Sie sich gleich alles von der Seele.«
»Er trinkt Spotted Hen Microbrew!«, rief Streeter aus. »Kein Mensch in Derry trinkt dieses Angeberbier! Nur er! Nur Tom Goodhugh, der Müllkönig!«
»Hat er einen Sportwagen?« Elvid sprach ruhig; seine Worte klangen wie mit Seide ausgeschlagen.
»Nein. Hätte er einen, könnten Janet und ich wenigstens Witze über seine Sportwagen-Menopause machen. Er fährt einen gottverdammten Range Rover .«
»Ich vermute, es könnte noch etwas geben«, sagte Elvid. »Dann sollten Sie sich das auch gleich von der Seele reden.«
»Er hat keinen Krebs«, flüsterte Streeter. »Er ist einundfünfzig, genau wie ich, und gesund wie … wie ein gottverdammtes … Pferd .«
»Das sind Sie auch«, sagte Elvid.
»Was?«
»Die Sache ist erledigt, Mr. Streeter. Oder darf ich Dave zu Ihnen sagen, nachdem ich Ihren Krebs zumindest vorübergehend geheilt habe?«
»Sie sind total verrückt«, sagte Streeter - nicht ohne Bewunderung.
»Nein, Sir. Ich bin so normal wie eine Gerade. Aber beachten Sie, dass ich vorübergehend gesagt habe. Wir befinden uns jetzt in der ›Kauf auf Probe‹-Phase unserer Beziehung. Sie dauert eine Woche, vielleicht zehn Tage. Ich rate Ihnen dringend, Ihren Arzt aufzusuchen. Ich denke, er wird feststellen, dass Ihr Zustand sich erstaunlich gebessert hat. Aber die Besserung ist nicht von Dauer. Es sei denn …«
»Es sei denn?«
Elvid beugte sich nach vorn und lächelte kumpelhaft. Seine Zähne schienen wieder zu zahlreich (und zu groß) für seinen harmlosen Mund zu sein. »Ich komme gelegentlich hierher«, sagte er. »Meistens um diese Tageszeit.«
»Kurz vor Sonnenuntergang.«
»Genau. Die meisten Leute bemerken mich nicht - sie sehen durch mich hindurch, als wäre ich nicht da -, aber Sie halten Ausschau nach mir. Nicht wahr?«
»Wenn es mir bessergeht, bestimmt«, sagte Streeter.
»Und Sie bringen mir etwas mit.«
Elvids Lächeln wurde breiter, und Streeter sah etwas erschreckend Wunderbares: Seine Zähne waren nicht nur zu groß oder zu zahlreich. Sie waren spitz .
Als er zurückkam, legte Janet im Hauswirtschaftsraum Wäsche zusammen. »Da bist du ja«, sagte sie. »Ich hab schon angefangen, mir Sorgen zu machen. War deine Ausfahrt schön?«
»Ja«, sagte er. Er betrachtete seine Küche. Sie sah verändert aus. Sie sah wie eine Küche in einem Traum aus. Dann machte er Licht, und das war besser. Elvid war der Traum.
Sie kam zu ihm und küsste ihn auf die Wange. Sie war vom Bügeln erhitzt und sehr hübsch. Sie war selbst fünfzig, sah aber Jahre jünger aus. Streeter glaubte, sie werde nach seinem Tod ein gutes Leben führen. Er vermutete, May und Justin könnten in Zukunft einen Stiefpapa bekommen.
»Du siehst gut aus«, sagte sie. »Du hast tatsächlich etwas Farbe bekommen.«
»Wirklich?«
»Aber sicher.« Sie bedachte ihn mit einem aufmunternden Lächeln, das dicht unter der Oberfläche sorgenvoll war. »Komm und unterhalte mich, während ich den Rest zusammenlege. Das ist so langweilig.«
Er folgte ihr und blieb in der Tür des Hauswirtschaftsraums stehen. Wohlweislich erbot er sich nicht, ihr zu helfen; sie behauptete immer, er lege sogar Geschirrtücher falsch zusammen.
»Justin hat angerufen«, erzählte sie. »Carl und er sind in Venedig. In der Jugendherberge. Mit Englisch kommen sie überall gut durch. Sie haben eine Menge Spaß.«
»Großartig.«
»Es war richtig, dass du die Diagnose für dich behalten hast«, sagte sie. »Du hattest recht, und ich hatte unrecht.«
»Zum ersten Mal in unserer Ehe.«
Sie rümpfte die Nase. »Jus hat sich so auf diese Reise gefreut. Aber wenn er zurückkommt, wirst du den Kindern reinen Wein einschenken müssen. May kommt aus Searsport zu Gracies Hochzeit, und das wäre ein guter Zeitpunkt.« Gracie war Gracie Goodhugh, Toms und Normas Älteste. Carl Goodhugh, Justins Reisegefährte, war der Mittlere.
»Mal sehen«, sagte Streeter. Er hatte eine Spucktüte in der Hüfttasche, aber ihm war noch nie weniger nach Erbrechen Appetit . Erstmals seit Tagen.
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