»Kann ich zur Sache kommen, Mr. Streeter?«
»Bitte.«
»Sie müssen die Last verlagern. Ganz einfach gesagt: Sie müssen jemanden ins Unglück stürzen, wenn das Unglück
von Ihnen genommen werden soll.«
»Ich verstehe.« Und das tat er. Elvid sprach wieder verständlich, und seine Botschaft war ein Klassiker.
»Aber es kann nicht einfach irgendwer sein. Das alte anonyme Opfer ist versucht worden, aber es funktioniert nicht. Es muss jemand sein, den Sie hassen. Gibt es jemanden, den Sie hassen, Mr. Streeter?«
»Ich bin nicht allzu begeistert von Kim Jong-il«, sagte Streeter. »Und ich finde, dass für die Schweine, die den Anschlag auf die USS Cole verübt haben, eine Haftstrafe viel zu gut ist, aber sie werden wohl nie …«
»Ernsthaft oder fort mit Ihnen«, sagte Elvid und wirkte wieder größer. Streeter fragte sich, ob das irgendeine verrückte Nebenwirkung seiner Medikamente sein konnte.
»Wenn Sie mein Privatleben meinen, da hasse ich niemanden. Es gibt Leute, die ich nicht besonders mag - Mrs. Denbrough von nebenan stellt ihre Mülltonne immer
»Wenn ich den verstorbenen Dino Martino mal falsch zitieren darf, Mr. Streter, hasst jedermann irgendwann einmal jemanden.«
»Will Rogers hat gesagt …«
»Er war ein Lasso schwingender Hochstapler, der seinen Hut tief in die Stirn gedrückt getragen hat wie ein kleiner Junge, der Cowboy spielt. Aber wenn sie wirklich niemanden hassen, können wir nicht ins Geschäft kommen.«
Streeter dachte darüber nach. Er starrte seine Schuhspitzen an und sprach mit dünner Stimme, die er kaum als seine eigene erkannte. »Vermutlich hasse ich Tom Goodhugh.« Obwohl es dabei in Wirklichkeit kein vermutlich gab.
»Wer ist er in Ihrem Leben?«
Streeter seufzte. »Seit der Grundschule mein bester Freund.«
Nun folgte kurzes Schweigen, bevor Elvid schallend laut zu lachen begann. Er stürzte hinter dem Kartentisch hervor, klopfte Streeter auf den Rücken (mit einer Hand, die sich kalt anfühlte, und Fingern, die lang und dünn statt kurz und pummelig zu sein schienen), dann ging er mit großen Schritten zu seinem Klappstuhl zurück. Er ließ sich hineinfallen, prustete und grölte weiter. Sein Gesicht war puterrot, und auch die Lachtränen, die ihm übers Gesicht liefen, sahen im Licht der untergehenden Sonne rot - tatsächlich blutig - aus.
»Seit der Grund… Ihr bester … Oh, das ist …«
Elvid konnte sich nicht länger beherrschen. Er brach in Lachsalven und Freudengeheul und Lachkrämpfe aus, die seinen Wanst beben ließen, wobei sein Kinn (eigenartig spitz für ein so rundliches Gesicht) vor dem unschuldigen (aber dunkler werdenden) Sommerhimmel auf und ab wippte. Schließlich gewann er die Selbstbeherrschung wieder.
»Das ist ausgezeichnet, Mr. Streeter«, sagte er. »Wir können ins Geschäft kommen.«
»He, das ist großartig«, sagte Streeter und machte einen weiteren Schritt rückwärts. »Ich genieße meine fünfzehn zusätzlichen Jahre schon jetzt. Aber ich parke auf dem Radweg, und das ist strafbar. Dafür könnte ich einen Strafzettel bekommen.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, sagte Elvid. »Wie Sie vielleicht gemerkt haben, ist hier kein einziges ziviles Fahrzeug vorbeigekommen, seit wir zu feilschen begonnen haben - von einem Gesetzeshüter ganz zu schweigen. Der Verkehr stört nie, wenn ich mit einem ernsthaften Menschen ernstlich zu verhandeln beginne; dafür sorge ich.«
Streeter sah sich unbehaglich um. Es stimmte. Er konnte drüben auf der Witcham Street zwar den Verkehr hören, der zum Upmile Hill unterwegs war, aber hier war Derry völlig verlassen. Natürlich, sagte er sich, ist der hiesige Verkehr nach Büroschluss immer schwach.
Aber abwesend ? Völlig abwesend ? Das würde man um Mitternacht erwarten, aber nicht um halb acht Uhr abends.
»Erzählen Sie mir, weshalb Sie Ihren besten Freund hassen«, forderte Elvid ihn auf.
Streeter erinnerte sich daran, dass dieser Mann verrückt war. Was Elvid vielleicht weitererzählte, würde kein Mensch glauben. Das war ein befreiender Gedanke.
»Tom hat besser ausgesehen, als wir Jungen waren, und er sieht jetzt viel besser aus. Er war in drei Schulmannschaften; der einzige Sport, in dem ich auch nur einigermaßen gut bin, ist Minigolf.«
»Ich glaube nicht, dass es dafür Cheerleaderformationen gibt«, sagte Elvid.
Streeter lächelte grimmig und erwärmte sich allmählich für sein Thema. »Tom ist echt clever, aber er war in der Derry High stinkfaul. Seine Ambitionen, aufs College zu gehen, waren gleich null. Aber wenn seine Noten so schlecht wurden, dass ihm der Ausschluss aus Schulmannschaften drohte, ist er in Panik geraten. Und wer sollte ihm dann helfen?«
»Sie!«, rief Elvid aus. In seiner Stimme schwang joviales Bedauern mit. »Der alte Mr. Zuverlässig. Sie haben ihm Nachhilfe gegeben, was? Vielleicht ein paar Arbeiten selbst geschrieben? Darauf geachtet, die Wörter falsch zu schreiben, die Toms Lehrer bei ihm falsch geschrieben zu sehen erwarteten?«
»Schuldig im Sinne der Anklage. In der Abschlussklasse - in dem Jahr, in dem Tom in Maine als Sportler des Jahres ausgezeichnet wurde - war ich in Wirklichkeit zwei Schüler: Dave Streeter und Tom Goodhugh.«
»Schlimm.«
»Wissen Sie, was noch schlimmer war? Ich hatte damals eine Freundin. Eine Schönheit namens Norma Witten. Dunkelbraunes Haar, ebensolche Augen, makelloser Teint, wundervolle Backenknochen …«
»Traumhafter Busen …«
»In der Tat. Aber vom Sex-Appeal abgesehen …«
»Nicht dass Sie jemals dagegen immun gewesen wären.«
»… habe ich dieses Mädchen geliebt. Wissen Sie, was Tom getan hat?«
»Sie Ihnen gestohlen!«, sagte Elvid empört.
»Korrekt. Die beiden sind sogar zu mir gekommen und haben mir alles gestanden, stellen Sie sich das mal vor.«
»Wie edel!«
»Haben behauptet, sie wären machtlos dagegen gewesen.«
»Haben behauptet, es wäre Liebe , L-I-E-B-E.«
»Ja. Naturgewalt. Diese Sache ist stärker als wir. Und so weiter.«
»Lassen Sie mich raten. Er hat ihr ein Kind gemacht.«
»Ja, das hat er.« Streeter betrachtete wieder seine Schuhe und erinnerte sich an einen bestimmten Rock, den Norma im vorletzten Schuljahr getragen hatte. Er war so geschnitten gewesen, dass er ein kleines Stück des Slips darunter hatte sehen lassen. Das war fast dreißig Jahre her, aber wenn Janet und er sich liebten, rief er sich manchmal dieses Bild ins Gedächtnis zurück. Norma hatte er nie richtig geliebt - jedenfalls nicht bis zum Letzten; das hatte sie ihm verweigert. Aber für Tom Goodhugh war sie gern bereit gewesen, ihr Höschen auszuziehen. Bestimmt gleich beim ersten Mal, als er es verlangt hat.
»Und hat sie schwanger sitzenlassen.«
»Nein.« Streeter seufzte. »Er hat sie geheiratet.«
»Und sich dann scheiden lassen! Vielleicht nachdem er sie grün und blau geschlagen hatte?«
»Noch schlimmer. Sie sind weiterhin verheiratet. Drei Kinder. Wenn man sie im Bassey Park spazieren gehen sieht, halten sie meistens Händchen.«
»Das ist ungefähr die beschissenste Story, die ich je gehört habe. Schlimmer könnte es kaum kommen. Es sei denn…« Elvid sah unter buschigen Augenbrauen hervor scharfsinnig zu Streeter auf. »Es sei denn, Sie müssten feststellen, dass Sie im Eisberg einer lieblosen Ehe eingefroren sind.«
»Durchaus nicht«, sagte Streeter, den diese Vorstellung überraschte. »Ich liebe Janet sehr, und sie liebt mich. Wie sie mir bei dieser Krebssache beigestanden hat, ist ganz außergewöhnlich. Falls es im Universum so etwas wie Harmonie gibt, haben Tom und ich die richtigen Partnerinnen gefunden. Unbedingt. Aber …«
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