Ich wusste, dass es keine gute Idee war, so viel Bargeld im Haus zu haben. Es gehörte wieder auf die Bank, wo es ein bisschen Zinsen verdienen konnte (wenn auch bei weitem nicht genug, um die Hypothekenzinsen auszugleichen), während ich mir überlegte, wie es sich am zweckmäßigsten verwenden ließ. Aber bis dahin sollte ich es an einem sicheren Ort aufbewahren.
Als Erstes fiel mir die Schachtel mit dem roten Nuttenhut ein - und wieso auch nicht? Dort hatte sie selbst ihr Geld gebunkert, und es hatte dort weiß Gott wie lange sicher gelegen. Mein Packen Dollarscheine war zu dick, um unter das Band zu passen, also würde ich ihn einfach in
Ich ging splitternackt ins Schlafzimmer und öffnete dort die Schranktür. Ich schob die Schachtel mit ihrem weißen Kirchenhut beiseite, dann griff ich nach der anderen. Ich hatte sie im Fach so weit nach hinten geschoben, dass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um sie zu erreichen. Um die Schachtel führte ein Gummiband herum. Ich hakte einen Finger darunter, um sie nach vorn zu ziehen, nahm flüchtig wahr, dass die Schachtel viel zu schwer zu sein schien - als enthielte sie keinen Hut, sondern einen Ziegelstein -, und spürte dann einen seltsamen Kälteschock , als wäre meine Hand mit Eiswasser übergossen worden. Im nächsten Augenblick wurde die Kälte zu Feuer. Der Schmerz war so stark, dass alle meine Armmuskeln gelähmt waren. Ich stolperte vor Schock und Schmerzen brüllend rückwärts und verstreute überall Geld. Mein Finger blieb unter das Gummiband gehakt, und die Hutschachtel wurde aus dem Fach gerissen. Auf ihr hockte eine riesige Wanderratte, die mir nur allzu vertraut erschien.
Sie könnten jetzt sagen: »Wilf, eine Ratte sieht wie die andere aus«, und normalerweise hätten Sie recht, aber diese hier kannte ich. Hatte ich sie nicht mit der Zitze eines Kuheuters wie einen Zigarrenstummel in der Schnauze vor mir weglaufen gesehen?
Die Schachtel löste sich von meiner blutenden Hand, und die Ratte fiel sich überschlagend zu Boden. Hätte ich erst nachgedacht, hätte sie wieder entkommen können, aber bewusstes Denken war durch Schmerzen, Schock und das Entsetzen blockiert, das wohl fast jeder Mensch empfindet, der einen Körperteil, der vor Sekunden noch ganz heil war, stark bluten sieht. Ich dachte nicht einmal daran,
Ich blieb lange mit einem Fuß auf der verendenden Ratte stehen. Sie war innerlich zerquetscht, ihre Organe zu Brei gestampft, aber trotzdem zappelte sie noch und schnappte nach mir. Schließlich hörte sie auf, sich zu bewegen. Ich blieb noch eine Minute auf ihr stehen, um mich zu vergewissern, dass sie sich nicht nur tot stellte, und als ich sicher sein konnte, dass sie krepiert war, humpelte ich in die Küche, hinterließ rechts blutige Fußabdrücke und dachte leicht verwirrt an das Orakel, das Pelias gewarnt hatte, sich vor einem Mann zu hüten, der nur eine Sandale trage. Aber ich war kein Jason; ich war nur ein Farmer, der vor Schock und Schmerzen halb verrückt war, ein Farmer, der dazu verdammt zu sein schien, seinen Schlafplatz mit Blut zu verunreinigen.
Als ich die Hand unter die Pumpe hielt und mit kaltem Wasser betäubte, konnte ich jemanden sagen hören: »Schluss damit, Schluss damit, Schluss damit.« Das war meine Stimme, ich wusste, dass sie es war, aber sie klang wie die eines
Ich kann mich an den Rest jener Nacht erinnern, aber das ist kaum anders, als betrachtete man Photos in einem schimmeligen Album. Die Ratte hatte das Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger meiner linken Hand ganz durchgebissen - ein schrecklicher Biss, bei dem ich aber noch Glück gehabt hatte. Hätte sie den unter das Gummiband gehakten Finger erwischt, hätte sie ihn vielleicht ganz abgebissen. Das wurde mir klar, als ich ins Schlafzimmer zurückging und meinen Gegner am Schwanz hochhob (mit der rechten Hand; die schmerzende linke war zu steif, als dass ich die Finger hätte biegen können). Sie war mit Schwanz fast einen halben Meter lang und wog gut ein Pfund.
Dann war es nicht dieselbe Ratte, die in das Eisenrohr geflüchtet ist, höre ich Sie sagen. Sie kann es nicht gewesen sein. Aber sie war es, ich versichere Ihnen, dass sie es war. Sie trug kein Erkennungszeichen - keinen weißen Fleck im Fell, kein praktischerweise angebissenes Ohr, das eine Identifizierung ermöglicht hätte -, aber ich wusste, dass es die war, die Achelois verstümmelt hatte. Genau wie ich wusste, dass sie nicht zufällig dort oben gehockt hatte.
Ich trug sie am Schwanz in die Küche und ließ sie in den Ascheneimer fallen. Mit dem Eimer ging ich zu unserer Versitzgrube hinaus. Ich war in strömendem Regen nackt unterwegs, ohne es recht wahrzunehmen. Mich beschäftigte vor allem meine linke Hand, die vor Schmerzen pochte, die so intensiv waren, dass sie mein ganzes Leben zu beherrschen drohten.
Ich nahm meinen Staubmantel vom Haken im Vorraum für Gummistiefel und Arbeitskleidung (mehr schaffte ich nicht), schlüpfte hinein und ging wieder hinaus, diesmal in den Stall. Ich beschmierte die verletzte Hand mit Rawleigh . Sie hatte verhindert, dass Achelois’ Euter sich entzündete, und konnte vielleicht dasselbe bei meiner Hand bewirken. Als ich schon gehen wollte, fiel mir ein, wie die Ratte das letzte Mal entkommen war. Das Rohr! Ich trat davor, bückte mich und erwartete, dass der Mörtelpfropfen teilweise demoliert war oder ganz fehlte, aber er war intakt. Natürlich war er das. Selbst derartige Ratten mit übergroßen Zähnen können sich nicht durch Zement nagen, sobald er abgebunden hat. Dass ich das überhaupt in Erwägung gezogen hatte, zeigt den Geisteszustand, in dem ich mich befand. Einen Augenblick lang schien ich mich wie von außen zu betrachten: ein bis auf einen offenen Staubmantel nackter Mann, seine Körperbehaarung bis zum Schritt hinunter mit Blut verklebt, die linke Hand von einer schleimigen Schicht Eutersalbe glänzend, die Augen aus den Höhlen quellend. Wie die Augen der Ratte hervorgequollen waren, als ich sie zerstampft hatte.
Es war nicht dieselbe Ratte, sagte ich mir. Die eine, die Achelois verstümmelt hat, liegt tot in dem Rohr oder in Arlettes Schoß.
Aber ich wusste, dass sie es gewesen war. Ich wusste es damals, und ich weiß es heute.
Sie war es.
Wieder im Haus, wieder im Schlafzimmer, kniete ich mich hin und sammelte das blutbefleckte Geld ein. Mit nur einer Hand ging die Arbeit langsam voran. Einmal stieß ich mit der verletzten Hand ans Bett und heulte vor Schmerzen auf. Ich konnte sehen, wie frisches Blut die Salbe färbte, sie rosa werden ließ. Ich warf das Geld auf die Kommode und machte mir nicht einmal die Mühe, es mit einem Buch oder einem von Arlettes verdammten Ziertellern zu bedecken. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, weshalb es mir ursprünglich so wichtig gewesen war, die Scheine zu verstecken. Die Schachtel mit dem roten Hut beförderte ich mit
Wer jemals eine Farm besessen oder auf einer gearbeitet hat, kann bestätigen, dass Arbeitsunfälle häufig passieren und entsprechende Vorsorgemaßnahmen erfordern. In dem Erste-Hilfe-Schränkchen neben der Küchenpumpe - den Arlette immer den »Schmerzensschrank« genannt hatte - lag auch eine dicke Mullbinde. Als ich sie herausnehmen wollte, fiel mein Blick auf den großen Wassertopf, der auf dem Herd dampfte. Das Wasser hatte ich für ein Bad aufgesetzt, als ich noch heil gewesen war und solch monströse Schmerzen, die mich jetzt zu verzehren schienen, nur theoretisch denkbar gewesen waren. Mir kam der Gedanke, heißes Seifenwasser könnte das beste Mittel für meine Hand sein. Die Wunde konnte nicht noch mehr schmerzen, sagte ich mir, und ein heißes Seifenbad würde sie reinigen. Beide Annahmen waren falsch, aber woher hätte ich das wissen sollen? Auch nach so vielen Jahren erscheint mir diese Idee vernünftig. Vielleicht hätte es sogar funktioniert, wenn ich von einer gewöhnlichen Ratte gebissen worden wäre.
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