Paul Martin kam auf die beiden zu. »Hallo, Lara. Wie ich höre, geht's dir geschäftlich nicht besonders.« Sein Blick verriet nicht, was er dachte. »Das tut mir aufrichtig leid.«
Lara erinnerte sich an Howard Kellers Warnung:Er ist ein Sizilianer. Die vergessen nichts und verzeihen nichts. Paul war von Rachedurst erfüllt gewesen, und sie hatte nichts davon geahnt.
Paul Martin wollte weitergehen.
»Paul .«
Er blieb stehen, »ja?«
»Ich muß mit dir reden.«
Er zögerte kaum merklich. »Gut, meinetwegen.« Paul nickte zum Warteraum für Zeugen hinüber. »Dort drinnen sind wir ungestört.«
Terry Hill beobachtete, wie die beiden in dem leeren Raum verschwanden. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Er hätte viel dafür gegeben, bei ihrem Gespräch dabeizusein.
Sie wußte nicht, wie sie anfangen sollte.
»Was willst du von mir, Lara?«
Alles war noch viel schwieriger, als sie befürchtet hatte. Als sie endlich sprach, klang ihre Stimme heiser. »Ich möchte, daß du mich gehen läßt.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Wie könnte ich das? Glaubst du wirklich, ich hielte dich fest?« Sein Tonfall klang spöttisch.
Sie bekam kaum noch Luft.
»Findest du nicht, daß du mich schon genug bestraft hast?«
Paul Martin stand mit ausdrucksloser Miene vor ihr.
»Unsere gemeinsame Zeit ist wundervoll gewesen, Paul. Von Philip abgesehen hast du mir mehr bedeutet als jeder andere Mensch in meinem Leben. Ich schulde dir mehr, als ich jemals zurückzahlen könnte. Und ich habe dich niemals verletzen wollen. Das mußt du mir glauben!«
Es fiel ihr schwer, jetzt weiterzusprechen.
»Es liegt in deiner Macht, mich zu vernichten. Willst du das wirklich? Bist du glücklich, wenn du mich hinter Gitter bringst?« Sie kämpfte gegen Tränen an. »Ich flehe dich an, Paul: Gib mir mein Leben zurück! Hör bitte auf, mich wie eine Feindin zu behandeln .«
Paul Martin schwieg weiterhin. Auch seine unergründlichen schwarzen Augen verrieten nicht, was er dachte.
»Ich bitte dich um Verzeihung. Ich . ich bin zu müde, um
weiterzukämpfen, Paul. Du hast gesiegt ...« Ihre Stimme versagte.
Im nächsten Augenblick wurde an die Tür geklopft, und der Gerichtsdiener streckte den Kopf herein. »Das Gericht wartet auf Sie, Mr. Martin.«
Paul sah Lara sekundenlang an, bevor er sich abwandte und wortlos den Raum verließ.
Jetzt ist alles aus! dachte Lara. Ich bin erledigt.
Terry Hill kam hastig herein. »Gott, wenn ich nur wüßte, was er dort drinnen aussagen wird! Aber jetzt können wir nur noch abwarten.«
Sie warteten - Lara kam es wie eine Ewigkeit vor. Als Paul Martin endlich aus dem Saal kam, wirkte er müde und ausgelaugt. Er ist alt geworden, dachte Lara. Daran gibt er mir die Schuld. Paul beachtete sie zunächst gar nicht. Aber dann gab er sich einen Ruck und ging zu ihr hinüber.
»Verzeihen kann ich dir niemals. Du hast mich zum Narren gehalten. Aber die Zeit mit dir ist die schönste Zeit meines Lebens geworden. Dafür bin ich dir ewig dankbar. Ich habe dort drinnen nichts erzählt, Lara.«
In ihren Augen standen Tränen. »Oh, Paul! Ich weiß nicht, wie ich dir .«
»Nimm es als Geburtstagsgeschenk von mir. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Baby.«
Erst als er sich abwandte und davonging, begriff Lara, was Paul eben gesagt hatte. Heute war ihr Geburtstag! In letzter Zeit hatten die Ereignisse sich so sehr überschlagen, daß sie ihren Geburtstag ganz vergessen hatte. Und die große Geburtstagsparty mit zweihundert Gästen im Manhattan Cameron Plaza!
Lara wandte sich aufgeregt an Terry Hill. »Ich muß sofort nach New York zurück. Heute abend findet eine große Party für mich statt. Glaubst du, daß das Gericht mich gehen läßt?«
»Augenblick«, sagte der Anwalt und verschwand im Gerichtssaal. Als er nach fünf Minuten zurückkam, nickte er Lara zu. »Du kannst nach New York zurückfliegen. Das Gericht gibt seine Entscheidung morgen um elf Uhr bekannt, aber das ist bloß noch eine Formalität. Du mußt nur dafür sorgen, daß du rechtzeitig wieder zurück bist. Dein Freund hat übrigens die Wahrheit gesagt. Er hat dich mit keinem Wort belastet.«
Eine halbe Stunde später war Lara nach New York unterwegs.
»Alles in Ordnung, Lara?« fragte Terry Hill besorgt, als sie sich verabschiedeten.
»Natürlich!« sagte sie. An diesem Abend würden über zweihundert prominente Leute zusammenkommen, um ihren Geburtstag zu feiern. Sie würde ihnen hocherhobenen Hauptes gegenübertreten. Schließlich war sie Lara Cameron.
Sie stand in der Mitte des großen Ballsaals und sah sich um. Dies alles hatte sie geschaffen. Sie hatte Monumente errichtet, die zum Himmel aufragten, die das Leben von Tausenden von Menschen in ganz Amerika verändert hatten. Und nun ging das alles in den Besitz anonymer Banken über. Sie glaubte, ihren Vater ganz deutlich sagen zu hören:Das Schicksal ist immer gegen mich gewesen.
Sie dachte an Glace Bay und das kleine Fremdenheim, in dem sie aufgewachsen war. Sie erinnerte sich daran, wie verängstigt sie an ihrem ersten Schultag gewesen war:Fällt jemandem ein Wort ein, das mit F anfängt? Sie dachte an die Mieter, die ihr geholfen hatten.
Bill Rogers ...Anderer Leute Geld ... Und Charles Cohn ...»Ich esse nur koschere Speisen ... Würden Sie einen Mietvertrag für fünf Jahre mit mir abschließen, wenn es mir gelingt, dieses Grundstück zu erwerben? ... Nein, Lara. Es müßte ein Zehnjahresvertrag sein ...
Und Sean MacAllister ...für die Gewährung dieses Darle-hens müßte schon ein ganz besonderer Grund vorliegen ... Für dich ist's also das erste Mal, was?
Und Howard Keller ...Als erstes muß ich Ihnen sagen, daß Sie die Sache völlig falsch anpacken ... Ich möchte, daß du in Zukunft für mich arbeitest.
Und dann ihre Erfolge. Die herrlichen, glänzenden Erfolge. Und Philip. Ihr Ritter Lochinvar. Der Mann, den sie über alles liebte. Dieser Verlust schmerzte am meisten.
Eine Stimme rief ihren Namen. »Lara ...«
Sie drehte sich um.
Hinter ihr stand Jerry Townsend. »Carlos hat mir gesagt, daß Sie hier sind.« Er kam auf sie zu. »Tut mir leid, daß die Geburtstagsparty ausfallen mußte.«
Sie starrte ihn an. »Was ... was ist passiert?«
Er machte große Augen. »Hat Howard Ihnen das nicht gesagt?«
»Was hätte er mir sagen sollen?«
»Wegen der schlechten Publicity sind so viele Absagen gekommen, daß wir's für besser gehalten haben, die Party abzusagen. Ich hatte Howard gebeten, es Ihnen zu sagen.«
Mein Arzt hat mir geraten, Urlaub zu machen, Lara. Um es ganz ehrlich zu sagen: Ich habe in letzter Zeit Probleme mit meinem Gedächtnis.
»Macht nichts, Jerry«, sagte Lara leise. Sie sah sich ein letztes Mal in dem großen Ballsaal um. »Ich habe meine Viertelstunde gehabt, nicht wahr?«
»Wie bitte?«
»Nichts.« Sie bewegte sich in Richtung Ausgang.
»Kommen Sie bitte noch kurz mit nach oben ins Büro, Lara? Dort sind noch ein paar Sachen zu erledigen.«
»Gut, bringen wir's hinter uns.« Wahrscheinlich werde ich dieses Gebäude nie wieder betreten, dachte Lara.
Im Aufzug sagte Jerry: »Ich habe erfahren, daß Howard Keller ein umfassendes Geständnis abgelegt hat. Kaum zu glauben, daß er an allem schuld gewesen ist.«
Lara schüttelte den Kopf.»Ich bin an allem schuld gewesen, Jerry. Das werde ich mir nie verzeihen.«
»Nein, es ist nicht Ihre Schuld gewesen.«
Einsamkeit schlug wie eine Woge über ihr zusammen. »Jerry, falls Sie noch nicht zu Abend gegessen haben ...«
»Ich kann leider nicht, Lara. Ich bin noch verabredet.«
»Oh ... schon gut, Jerry.«
Die Aufzugtüren öffneten sich, und die beiden stiegen aus.
»Die Papiere, die Sie unterschreiben müssen, liegen im Konferenzraum«, sagte Jerry Townsend.
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