Sie drehte sich nach ihm um. Keller erschrak über ihr Aussehen. Ihr Gesicht war blaß, und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie wirkte benommen und schien all ihre Energie verloren zu haben.
»Lara . hast du gehört, was ich gesagt habe? Die Cameron Towers sind verloren.«
Als sie antwortete, klang ihre Stimme unnatürlich ruhig. »Ja, ich hab's gehört. Mach' dir deswegen keine Sorgen, Howard. Wir beleihen ein paar unserer anderen Gebäude und zahlen alles zurück.«
Ihre Reaktion ängstigte ihn. »Lara, wir haben nichts mehr zu beleihen. Du mußt Konkurs anmelden und ...«
»Howard ...?«
»Ja.«
»Kann eine Frau einen Mann zu sehr lieben?«
»Wie bitte?«
Ihre Stimme klang leblos. »Philip hat mich verlassen.«
Das erklärte plötzlich vieles. »Ich . das tut mir sehr leid für dich, Lara.«
Auf ihrem Gesicht stand ein seltsames Lächeln. »Merkwürdig, nicht wahr? Ich verliere alles gleichzeitig. Erst Philip, jetzt meine Immobilien. Weißt du, woran das liegt, Howard? Das Schicksal ist gegen mich. Und dagegen kann man nicht ankämpfen, nicht wahr?«
So deprimiert und mutlos hatte er sie noch nie erlebt.
»Dabei steht mir noch einiges bevor. Heute nachmittag muß ich nach Reno fliegen. Und wenn das Schwurgericht dort ...«
Die Gegensprechanlage auf dem Schreibtisch summte. »Lieutenant Mancini ist hier.«
»Schicken Sie ihn herein.«
Howard Keller warf Lara einen fragenden Blick zu. »Mancini? Was will er?«
Lara holte tief Luft. »Er will mich verhaften, Howard.«
»Dichverhaften? Was soll das heißen?«
Ihre Stimme klang erstaunlich gefaßt. »Er glaubt, daß ich den Überfall auf Philip inszeniert habe.«
»Das ist doch lächerlich! Wie kann er .«
Die Tür öffnete sich, und Lieutenant Mancini kam herein. Er
blieb kurz stehen, sah die beiden an und trat dann einige Schritte vor. »Ich habe hier einen Haftbefehl.«
Howard Keller war blaß geworden. Er stellte sich schützend vor Lara und sagte heiser: »Sie können sie nicht festnehmen. Sie hat nichts getan.«
»Sie haben recht, Mr. Keller. Ich verhafte auch nicht Miss Cameron. Der Haftbefehl ist gegen Sie ausgestellt.«
Protokoll der Vernehmung Howard Kellers durch Detective Lieutenant Sal Mancini.
M: Sie sind über Ihre Rechte belehrt worden, Mr. Keller? K: Ja.
M: Und Sie haben freiwillig darauf verzichtet, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen?
K: Ich brauche keinen Anwalt. Ich wollte mich ohnehin stellen. Ich hätte nicht zulassen können, daß Lara etwas passiert.
M: Sie haben Jesse Shaw fünfzigtausend Dollar für den Überfall auf Philip Adler gezahlt? K: Ja.
M: Weshalb?
K: Er hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Sie hat ihn geradezu angefleht, bei ihr zu bleiben, aber er war ständig unterwegs.
M: Deshalb haben Sie dafür gesorgt, daß seine Karriere als Pianist beendet wurde.
K: Nein, das stimmt nicht. So weit sollte Jesse nicht gehen. Er hat sich nur nicht beherrschen können. M: Erzählen Sie mir von Bill Whitman. K: Dieses Schwein hat versucht, sie zu erpressen. Das konnte ich nicht zulassen. Er hätte Lara ruinieren können. M: Deshalb haben Sie ihn umbringen lassen? K: Um Lara zu helfen, ja. M: Hat sie gewußt, was Sie vorhatten? K: Selbstverständlich nicht! Sie hätte das niemals zugelassen. Nein. Wissen Sie, ich bin dagewesen, um sie zu beschützen.
Was ich getan habe, habe ich für sie getan. Ich wäre für sie gestorben.
M: Statt dessen haben Sie für sie gemordet.
K: Darf ich Sie etwas fragen, Lieutenant? Woher wußten
Sie, dass ich mit dieser Sache zu tun habe?
Schluß der Vernehmung.
Im Polizeipräsidium fragte Captain Bronson, der Chef der Abteilung, Mancini: »Und washat Sie auf seine Spur gebracht?«
»Keller hat einen Hinweis geliefert, den ich beinahe übersehen hätte. Laut Jesse Shaws Vorstrafenregister ist er als Siebzehnjähriger wegen Diebstahls einer Baseballausrüstung der Jugendmannschaft der Chicago Cubs zu einer Arreststrafe verurteilt worden. Ich habe nachgefragt und herausbekommen, daß Keller und Shaw Mannschaftskameraden gewesen sind. Aber Keller hat einen entscheidenden Fehler gemacht: Er hat auf meine Frage behauptet, Jesse Shaw nicht zu kennen. Ich habe einen Freund angerufen, der früher Sportredakteur derChicago Sun Times gewesen ist. Er hat sich an beide erinnert und mir bestätigt, daß sie befreundet gewesen sind. Natürlich hatte Shaw seinen Job bei Cameron Enterprises seinem alten Kumpel zu verdanken. Lara Cameron hat ihn eingestellt, weil Keller sie darum gebeten hatte. Sie hat Jesse Shaw vermutlich nie selbst zu Gesicht bekommen.«
Mancini schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, was das Verrückteste ist? Letzten Endes hätte ich mir die ganze Arbeit sparen können. Hätte ich ihn nicht geschnappt, sondern mich auf Lara Cameron konzentriert, hätte Howard Keller sich freiwillig gestellt.«
Um Lara herum brach alles zusammen. Sie konnte nicht fassen, daß ausgerechnet Howard Keller für all die schrecklichen Dinge, die passiert waren, verantwortlich gewesen sein sollte.
Er hat es für mich getan, dachte Lara. Ich muß versuchen, ihm zu helfen.
Die Gegensprechanlage auf ihrem Schreibtisch summte. »Der Wagen ist da, Miss Cameron«, meldete Kathy. »Sind Sie reisefertig?«
»Ja.« Lara mußte nach Reno, um vor dem Schwurgericht auszusagen.
Fünf Minuten nach Laras Abfahrt rief Philip im Büro an.
»Tut mir leid, Mr. Adler, aber Sie haben sie gerade verpaßt. Sie ist schon unterwegs nach Reno.«
Philip war maßlos enttäuscht. Er hatte Lara unbedingt sehen, sie um Verzeihung bitten wollen. »Falls Sie mit ihr telefonieren, sagen Sie ihr bitte, daß ich auf sie warte.«
»Das richte ich gern aus.«
Er wählte eine weitere Nummer, sprach ungefähr zehn Minuten lang und rief dann William Ellerbee an.
»Bill ... ich bleibe hier in New York. Ich unterrichte in Zukunft an der Juilliard School of Music.«
»Was können sie mir anhaben?« fragte Lara.
»Kommt ganz drauf an«, sagte Terry Hill. »Erst mal mußt du aussagen. Danach kann das Gericht beschließen, daß du unschuldig bist, was bedeuten würde, daß du das Kasino zurückbekommst, oder daß die Beweise für eine Anklageerhebung ausreichen. Sollte dieser Beschluß ergehen, folgt ein Strafverfahren, das mit deiner Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe enden könnte.«
Lara murmelte etwas.
»Wie bitte?«
»Papa hat recht gehabt, habe ich gesagt. Gegen das Schicksal kommt niemand an.«
Laras Vernehmung vor dem Schwurgericht dauerte vier Stunden. Sie mußte detailliert schildern, wie sie das Cameron Palace Hotel und das Kasino erworben hatte. Als sie den Gerichtssaal verließen, drückte Terry Hill ihr aufmunternd die Hand.
»Du hast dich sehr gut aus der Affäre gezogen, Lara. Das Gericht ist wirklich beeindruckt gewesen. Da es keine handfesten Beweise gegen dich gibt, müßtest du ...«
Anstatt diesen Satz zu Ende zu bringen, verstummte der Anwalt und bekam große Augen. Lara drehte sich um. Paul Martin war in den Vorraum gekommen. Er trug einen altmodischen Zweireiher mit Weste und hatte sein weißes Haar so pedantisch gescheitelt wie damals, als sie ihn kennengelernt hatte.
»Großer Gott!« flüsterte Terry Hill. »Er ist hier, um als Zeuge auszusagen!« Er wandte sich an Lara. »Wie sehr haßt er dich?«
»Wie meinst du das?«
»Lara, wenn ihm Strafverschonung zugesichert worden ist, damit er gegen dich aussagt, bist du erledigt. Dann mußt du hinter Gitter!«
Lara sah zu Paul Martin hinüber. »Aber . das würde auch sein Ende bedeuten.«
»Darum habe ich dich gefragt, wie sehr er dich haßt. Würde er sich selbst opfern, nur um dich zu vernichten?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Lara benommen.
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