Er rief spät nachts an, und der Klang seiner Stimme machte sie noch viel einsamer.
»Lara, Liebling, ich hab' den ganzen Tag an dich denken müssen. Wie hat die Eröffnung geklappt?«
»Wunderbar. Ich wollte, du hättest dabei sein können, Philip.«
»Ich wäre gern gekommen. Du fehlst mir schrecklich.«
Warum war er dann nicht hier? »Du fehlst mir auch. Komm bald wieder heim!«
Howard Keller kam mit einem dicken wattierten Umschlag unter dem Arm in Laras Büro.
»Das wird dir nicht gefallen«, sagte er.
»Was hast du da?«
Er legte den Umschlag auf ihren Schreibtisch. »Eine Fotokopie von Gertrude Meeks' Manuskript. Aber frag' mich lieber nicht, wo ich es her habe. Das könnte uns beide hinter Gitter bringen.«
»Hast du das Manuskript gelesen?«
Keller nickte wortlos.
»Und?«
»Am besten liest du's selbst. Ein paar dieser Sachen sind passiert, bevor sie hier angefangen hat. Sie muß sehr gründlich recherchiert haben.«
»Danke, Howard.«
Lara wartete, bis er den Raum verlassen hatte; dann drückte sie auf die Sprechtaste der Gegensprechanlage »Keine Anrufe.«
Sie schlug das Manuskript auf und begann zu lesen.
Das Buch war vernichtend. Es zeichnete das Bild einer gerissenen, machthungrigen Frau, der zur Durchsetzung ihrer Interessen jedes Mittel recht gewesen war. Es schilderte ihre Launenhaftigkeit, ihre Wutanfälle und ihre Herrschsucht im Umgang mit Angestellten. Es war boshaft geschrieben und voller häßlicher kleiner Anekdoten. Und es enthielt kein Wort über Laras gute Eigenschaften: Wagemut, Selbständigkeit, Weitblick und Großzügigkeit. Sie las weiter.
»Einer ihrer raffiniertesten Tricks war es, geschäftliche Besprechungen am ersten Tag sehr früh anzusetzen, damit ihre Gesprächspartner mit der Zeitverschiebung zu kämpfen hatten, während Lara Cameron frisch und munter war ...«
»Bei Verhandlungen mit japanischen Gästen wurde diesen Tee mit Valium serviert, während Lara Cameron Kaffee mit dem Aufputschmittel Ritalin trank .«
»Als ein Neubauprojekt in Queens am Widerstand des zuständigen Bezirksausschusses zu scheitern drohte, gelang es Lara Cameron, den Ausschuß umzustimmen, indem sie eine Tochter erfand, die angeblich in einem der Häuser wohnen sollte .«
»Als die Mieter der Dorchester Apartments sich weigerten, das Gebäude zu räumen, ließ Lara Cameron dort Obdachlose einquartieren ...«
Nichts war ausgelassen. Nachdem Lara das Manuskript überflogen hatte, blieb sie lange unbeweglich an ihrem Schreibtisch sitzen. Dann rief sie Howard Keller zu sich.
»Ich möchte, daß du bei unserer Auskunftei die Kreditwürdigkeit von Henry Seinfeld überprüfen läßt. Ihm gehört der Verlag Candlelight Press.«
»Wird gemacht.«
Eine Viertelstunde später war er zurück. »Dieser Seinfeld wird mit D-C bewertet.«
»Was bedeutet das?«
»Weniger kreditwürdig kann man praktisch nicht sein. Mit D werden schlechte Risiken bewertet - und er liegt noch drei Stufen darunter. Ein kräftiger Windstoß könnte ihn umwerfen. Er lebt von einem Buch zum nächsten. Ein Flop, und er müßte den Laden dichtmachen.«
»Danke, Howard.«
Sie rief ihren Anwalt Terry Hill an.
»Terry, wolltest du nicht schon immer einen Verlag besitzen?«
»Was hast du vor, Lara?«
»Ich möchte, daß du Candlelight Press in deinem Namen kaufst. Der Verlag gehört einem gewissen Henry Seinfeld.«
»Das müßte sich machen lassen. Wieviel ist er dir wert?«
»Versuch's mal mit fünfhunderttausend. Notfalls kannst du bis zu einer Million gehen. Entscheidend ist, daß du sämtliche Rechte des Verlags mitkaufst - und daß mein Name nicht erwähnt wird.«
Die Räume von Candlelight Press befanden sich in einem heruntergekommenen Gebäude in der vierunddreißigsten Straße. Henry Seinfelds Büro bestand aus einem kleinen Vorzimmer und einem etwas größeren Raum für ihn selbst.
»Ein Mr. Hill möchte Sie sprechen, Mr. Seinfeld«, meldete die Sekretärin.
»Soll reinkommen!«
Terry Hill hatte schon früher an diesem Vormittag angerufen.
Er betrat das schäbige kleine Büro. Seinfeld blieb hinter dem Schreibtisch sitzen.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Hill. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich vertrete ein deutsches Verlagshaus, das unter Umständen daran interessiert wäre, Ihren Verlag zu kaufen.«
Seinfeld zündete sich in aller Ruhe eine dicke Zigarre an. »Mein Verlag ist nicht zu verkaufen«, sagte er.
»Oh, das ist schade. Wir versuchen, auf dem amerikanischen Markt Fuß zu fassen, und Ihr Verlag wäre eine gute Ergänzung für unser sonstiges Programm.«
»Ich habe den Verlag mit eigenen Händen aufgebaut«, sagte Seinfeld. »Ich liebe ihn wie mein eigenes Kind. Ich könnte mich nie von ihm trennen.«
»Ich verstehe, wie Ihnen zumute ist«, versicherte der Anwalt. »Wir sind bereit, Ihnen fünfhunderttausend Dollar zu zahlen.«
Seinfeld erstickte fast an seiner Zigarre. »Fünfhunderttausend? Mann, ich bin dabei, ein Buch zu machen, das allein 'ne Million wert ist. Nein, Sir! Ihr Angebot ist 'ne Beleidigung!«
»Mein Angebot ist ein Geschenk. Sie haben so gut wie keine Vermögenswerte, aber über einhunderttausend Dollar Schulden. Ich habe Erkundigungen eingezogen.« Hill machte eine Pause. »Okay, ich erhöhe mein Angebot auf sechshunderttausend. Aber das ist mein letztes Wort!«
»Wollen Sie meinen Verlag etwa geschenkt haben? Unter siebenhunderttausend .«
Terry Hill stand auf. »Leben Sie wohl, Mr. Seinfeld. Ich finde bestimmt einen anderen Verlag.«
Er ging zur Tür.
»Augenblick!« sagte der Verleger. »Wissen Sie, meine Frau liegt mir dauernd damit in den Ohren, daß ich mich zur Ruhe setzen soll. Vielleicht wäre dies kein schlechter Zeitpunkt.«
Hill trat an den Schreibtisch und legte ihm den vorbereiteten
Vertrag hin. »Ich habe einen Scheck über sechshunderttausend Dollar in der Tasche. Sie brauchen nur zu unterschreiben.«
Lara bat Keller zu sich. »Wir haben gerade Candlelight Press gekauft.« »Großartig. Was willst du damit anfangen?« »Vor allem Gertrude Meeks' Buch abwürgen. Du sorgst dafür, daß es nicht erscheint. Es gibt viele Möglichkeiten, Zeit zu schinden. Falls sie auf Rückgabe der Rechte klagt, können wir sie in einen jahrelangen Rechtsstreit verwickeln.« »Willst du den Verlag liquidieren?«
»Natürlich nicht. Sieh zu, daß du einen neuen Verlagsleiter findest. Den Betriebsverlust setzen wir steuerlich ab.«
Als Keller in sein Büro zurückkam, sagte er zu seiner Sekretärin: »Bess, nehmen Sie bitte ein Diktat auf. Jack Hellman, Hellman Realty. Lieber Jack, ich habe mit Miss Cameron über Ihr Angebot gesprochen, und wir sind beide der Ansicht, daß es unklug wäre, uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Ihrem neuen Projekt zu beteiligen. Ich darf Ihnen jedoch versichern, daß wir an zukünftigen .. .<���« Seine Sekretärin hatte zu schreiben aufgehört. Keller sah auf. »Haben Sie das?« Sie starrte ihn an. »Mr. Keller ...« »Ja, Bess?«
»Diesen Brief haben Sie mir gestern diktiert.« Keller schluckte trocken. »Wie bitte?« »Er ist bereits in der Post.«
Howard Keller versuchte zu lächeln. »Ich glaube, ich habe in letzter Zeit ein bißchen zuviel gearbeitet.«
Um 16 Uhr an diesem Nachmittag wurde Keller von Dr. Seymour Bennett untersucht. »Körperlich sind Sie in ausgezeichneter Verfassung«, sagte
Dr. Bennett. »Organisch fehlt Ihnen überhaupt nichts.«
»Aber woher kommen diese Gedächtnisstörungen?«
»Wann haben Sie zum letzten Mal Urlaub gemacht, Howard?«
Keller versuchte sich zu erinnern. »Das muß schon etliche Jahre her sein«, gab er zu. »Ich bin immer zu beschäftigt gewesen, um an Urlaub zu denken.«
Dr. Bennett lächelte. »Da haben wir's! Sie leiden an Überarbeitung. Eine typische Managerkrankheit. Reisen Sie irgendwo hin, wo Sie ein, zwei Wochen ausspannen können. Denken Sie eine Zeitlang überhaupt nicht mehr an die Firma. Wenn Sie zurückkommen, fühlen Sie sich wie neugeboren.« Keller stand erleichtert auf.
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