Lara stand zwischen dem Oberbürgermeister und dem Vorsitzenden des Bezirksausschusses für Manhattan. Als es zu nieseln begann, kam Jerry Townsend, der PR-Chef von Came-ron Enterprises, mit einem Schirm auf Lara zugehastet. Sie machte ihm lächelnd ein Zeichen, er solle den Schirm wieder mitnehmen.
Der Oberbürgermeister sprach in die Kameras. »Ein großer Tag für Manhattan! Mit der Grundsteinlegung für die Cameron Towers beginnt eines der größten Bauvorhaben in der Geschichte Manhattans. Auf einer Grundfläche von sechs Straßenblocks entstehen Wohngebäude, zwei Einkaufszentren, ein Kongreßzentrum und der höchste Wolkenkratzer der Welt!«
Die Menge applaudierte.
»Wohin man sieht«, fuhr der Oberbürgermeister fort, »stehen elegante Gebäude, mit denen Lara Cameron sich einen Namen gemacht hat.« Er deutete nach Norden. »Uptown erhebt sich das Cameron Center. Nicht weit entfernt stehen das Hotel Cameron Plaza und ein halbes Dutzend Wohn- und Bürogebäude. Und über das ganze Land verteilt sich die Kette von Cameron Hotels.«
Der Oberbürgermeister lächelte Lara an. »Und dabei ist sie ebenso schön wie intelligent.«
Gelächter und wieder Beifall.
»Ladies und Gentlemen ... Lara Cameron.«
Lara blickte in die Fernsehkameras. »Vielen Dank für Ihre schmeichelhafte Einführung«, sagte sie mit einem Lächeln zum Oberbürgermeister hinüber. »Ich freue mich, einen kleinen Beitrag zur Gestaltung unserer wunderbaren Stadt geleistet zu haben. Mein Vater hat mir stets gepredigt, wir seien auf der Welt ...« Sie zögerte kaum merklich. Aus dem Augenwinkel heraus hatte sie in der Menge ein bekanntes Gesicht entdeckt -Steve Murchison! Sie kannte ihn von Zeitungsfotos. Was hat er hier zu suchen? durchfuhr es sie. Sie sprach weiter: »... um sie in besserem Zustand zu verlassen, als wir sie vorgefunden haben. Nun, ich hoffe, daß es mir gelingen wird, mein bescheidenes Teil dazu zu leisten.«
Erneut rauschte Beifall auf. Ein Bauarbeiter übergab Lara einen Sicherheitshelm und einen Spaten mit verchromtem Blatt.
»Jetzt sind Sie dran, Miss Cameron.«
Wieder ein Blitzlichtgewitter.
Lara stieß den Spaten in die zuvor gelockerte Erde und hob ein kleines Loch aus.
Nach dieser Zeremonie wurden vor laufenden Kameras Erfrischungen serviert. Als Lara sich erneut umsah, war Murchison verschwunden.
Eine halbe Stunde später ließ Lara sich in ihrer Limousine ins Büro zurückfahren. Neben ihr saß Jerry Townsend.
»Hat großartig geklappt, finde ich«, sagte er. »Wirklich großartig!«
»Nicht schlecht«, meinte Lara lächelnd. »Danke, Jerry.«
Für die Verwaltung der Firma Cameron Enterprises war im Cameron Center der gesamte fünfzigste Stock reserviert. Bis
Lara hinaufgefahren war, hatte sich herumgesprochen, daß sie unterwegs war. Alle Sachbearbeiter und Sekretärinnen waren fleißig bei der Arbeit.
Lara wandte sich an Jerry Townsend. »Kommen Sie bitte mit in mein Büro.«
Ihr Büro war eine riesige Ecksuite mit Blick über Manhattan.
Lara blätterte in einigen Papieren auf ihrem Schreibtisch, bevor sie zu Townsend aufsah. »Wie geht's Ihrem Vater?« fragte sie. »Hat sein Zustand sich gebessert?«
Was weiß sie von meinem Vater?
»Er ... ihm geht's nicht gut.«
»Ja, ich weiß. Er hat Huntingtonsche Chorea, nicht wahr, Jerry?«
»Ja.«
Eine schreckliche progressive und degenerative Krankheit, deren Hauptmerkmale unkontrollierbare Zuckungen von Gesicht und Gliedern sowie fortschreitender geistiger Verfall waren.
»Woher wissen Sie das mit meinem Vater?« fragte Town-send weiter.
»Ich bin im Beirat des Krankenhauses, in dem er behandelt wird, und habe mitbekommen, wie die Ärzte über seinen Fall gesprochen haben.«
»Sein Leiden ist unheilbar«, sagte Townsend mit gepreßter Stimme.
»Alles ist unheilbar, bis eine Heilmethode gefunden wird«, sagte Lara. »Ich habe mich ein bißchen umgehört. In der Schweiz gibt es einen Arzt, der auf diesem Gebiet erstaunliche Erfolge erzielt hat. Er ist bereit, Ihren Vater in seiner Klinik aufzunehmen. Die Behandlungskosten übernehme ich.«
Townsend stand wie vor den Kopf geschlagen da.
»Einverstanden, Jerry?«
»Ja, vielen Dank«, brachte er mühsam heraus. Ich kenne sie nicht, dachte Jerry Townsend. Niemand kennt sie wirklich.
Weltweit wurde Geschichte gemacht, aber Lara war zu beschäftigt, um etwas davon zu merken. Ronald Reagan war wiedergewählt worden, und in der Sowjetunion war ein gewisser Michail Gorbatschow als Nachfolger Tschernenkos zum Generalsekretär der KPdSU gewählt worden.
Lara errichtete in Detroit einen Komplex von Sozialwohnungen.
1986 begann Lara im New Yorker Stadtteil Queens mit dem Bau von Eigentumswohnanlagen. Anleger rissen sich darum, an der Magie ihres Namens teilzuhaben. Eine Gruppe deutscher Bankiers kam nach New York, um mit Lara zu verhandeln. Diese Besprechung fand unmittelbar nach der Ankunft in New York statt. Die Gäste hatten dagegen protestiert, aber Lara sagte gelassen: »Tut mir leid, Gentlemen, das ist mein einziger freier Termin. Gleich danach fliege ich nach Hongkong.«
Den Deutschen wurde Kaffee serviert. Lara trank Tee. Einer der Gäste fand, der Kaffee schmecke merkwürdig. »Das ist eine eigens für mich geröstete Mischung«, erklärte Lara ihm. »An den Geschmack gewöhnt man sich rasch. Trinken Sie noch eine Tasse!«
Nach Abschluß der Verhandlungen hatte Lara alle ihre Forderungen durchgesetzt.
Ihr Leben bestand aus einer Kette glücklicher Erfolge - bis auf einen beunruhigenden Vorfall. Lara hatte es mehrmals mit Steve Murchison als Konkurrenten zu tun bekommen, aber bisher war es ihr stets gelungen, ihn zu überlisten.
»Wir sollten's nicht übertreiben, finde ich«, warnte Keller sie.
»Ich habe keine Angst vor ihm, Howard.«
Dann wurde eines Morgens eine große Schachtel in Geschenkpapier von Brendel's für sie abgegeben. Kathy stellte sie auf Laras Schreibtisch.
»Sie ist bleischwer«, sagte Kathy dabei. »Ein Hut ist jeden-falls nicht drin .«
Lara riß neugierig das Papier auf und klappte den Deckel hoch. Die Schachtel war voller Erde. Auf der beigelegten Geschäftskarte stand:Bestattungsunternehmen Frank E. Campbell.
Alle Bauvorhaben wurden planmäßig abgewickelt. Als Lara von einem New Yorker Kinderspielplatz las, der wegen bürokratischer Hindernisse nicht eingerichtet werden konnte, griff sie ein, ließ ihn von ihrer Firma anlegen und schenkte ihn der Stadt. Das Medienecho war gewaltig.
Paul telefonierte weiterhin täglich mit ihr, und sie traf sich ein- bis zweimal in der Woche mit ihm.
Lara kaufte sich ein Haus in Southampton und lebte in einer Märchenwelt aus teurem Schmuck, edlen Pelzen und Luxuslimousinen. Ihre Kleiderschränke quollen von Designermodellen über.Für so was hab' ich kein Geld. Hol dir was von der Heilsarmee.
Und Lara orderte eine neue Kollektion.
Ihre Mitarbeiter ersetzten ihr eine Familie. Sie machte sich Sorgen um sie und war großzügig zu ihnen, denn sie hatte nur diese Menschen. Sie dachte an ihre Geburts- und Hochzeitstage. Sie half ihnen, ihre Kinder in guten Schulen unterzubringen und setzte Stipendien aus. Versuchten sie, ihr dafür zu danken, war Lara verlegen. Ihr fiel es schwer, Gefühle auszudrücken, denn ihr Vater hatte sie verspottet, als sie das versucht hatte. Lara hatte sich mit einem Schutzwall umgeben. Niemand soll mir je wieder weh tun, schwor sie sich. Niemand!
»Ich fliege morgen sehr früh nach London, Howard.«
»Geschäftlich?« fragte Keller.
»Lord Macintosh hat mich eingeladen, um mir ein Objekt zu zeigen, für das er sich interessiert. Er will mich als Partnerin dafür.«
Brian Macintosh war einer der reichsten Bauträger Großbritanniens.
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