Der Mann im Mittelpunkt der Menge war groß und blond, sah blendend aus und hatte feine, sensible Gesichtszüge. Er trug einen Frack, bei dessen Anblick Lara das Gefühl hatte, eine vertraute Szene wiederzuerleben:Sie stand in der Küche des Fremdenheims am Ausguß, und der gutaussehende junge Mann im Frack trat von hinten an sie heran, umarmte sie und flüsterte: »Kann ich dir helfen?«
Brian Macintosh starrte Lara besorgt an. »Ist Ihnen nicht gut?«
»Doch, doch ... danke, mir fehlt nichts«, versicherte sie ihm hastig.
Philip Adler kam auf sie zu. Sein warmes Lächeln entsprach genau dem Bild, das sie sich immer von ihm gemacht hatte. Er streckte die Hand aus. »Wie schön, daß Sie im Konzert gewesen sind, Brian.«
»Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen«, antwortete Macintosh. »Sie haben wundervoll gespielt.«
»Vielen Dank.«
»Oh, Philip, ich möchte Sie mit Miss Lara Cameron bekannt machen.«
Lara starrte ihn an und murmelte wie in Trance: »Helfen Sie mir abtrocknen?«
»Wie bitte?«
Lara wurde rot. »Nichts. Ich ...« Sie hatte Mühe, sich ein paar höfliche Floskeln abzuringen.
Andere Gäste drängten sich um Philip Adler und überhäuften ihn mit Komplimenten.
»Sie haben nie besser gespielt .«
»Bestimmt ist Rachmaninow heute abend an Ihrer Seite gewesen .«
Die Komplimente nahmen kein Ende. Besonders die Frauen drängten sich um den Pianisten und versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Lara beobachtete ihn wie hypnotisiert. Ihr Jugendtraum war wahr geworden. Ihr Ritter stand vor ihr.
»Sollen wir gehen?»fragte Brian Macintosh irgendwann.
Nein! Lara wünschte sich nichts mehr, als noch bleiben zu können. Sie wollte erneut mit dieser Traumgestalt reden, sie berühren und sich davon überzeugen, daß sie tatsächlich existierte. »Ja«, antwortete sie widerstrebend.
Am nächsten Morgen befand Lara sich auf dem Rückflug nach New York. Sie fragte sich, ob sie Philip Adler je wiedersehen würde.
Sie konnte ihn nicht mehr vergessen. Sie versuchte sich einzureden, es sei lächerlich, einen Jugendtraum wiederbeleben zu wollen, aber es half nichts. Sie hatte ständig sein Gesicht vor sich, bildete sich ein, seine Stimme zu hören. Ich muß ihn wiedersehen, dachte Lara.
Am Tag darauf rief Paul Martin früher an als sonst.
»Hi, Baby. Du hast mir gefehlt. Wie war's in London?«
»Schön«, antwortete Lara vorsichtig. »Sehr schön.« Als das Gespräch beendet war, blieb Lara an ihrem Schreibtisch sitzen und dachte an Philip Adler.
»Sie werden im Konferenzraum erwartet, Miss Cameron.«
»Unser Projekt in Queens können wir vergessen«, sagte Keller.
»Wieso? Ich dachte, wir hätten es im Kasten.«
»Das hab' ich auch gedacht, aber der Bezirksausschuß weigert sich, der beantragten Änderung des Bebauungsplans zuzustimmen.«
Laras Blick glitt über die Männer und Frauen am Konferenztisch hinweg. Architekten, Anwälte, PR-Leute und Bauingenieure.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Lara. »Die Mieter dort haben ein durchschnittliches Jahreseinkommen von neuntausend Dollar und zahlen weniger als zweihundert Dollar Monatsmiete. Wir wollen ihre Wohnungen renovieren, ohne die Mieten zu erhöhen, und darüber hinaus zusätzlichen Wohnraum für weitere Bewohner des Stadtbezirks schaffen. Wir machen ein großzügiges Angebot, und sie lehnen ab! Wo liegt das Problem?«
»Weniger beim Bezirksausschuß. Eigentlich bei seiner Vorsitzenden - einer Mrs. Edith Benson.«
»Vereinbaren Sie einen Termin mit ihr. Ich muß selbst mit ihr reden.«
Zu dieser Besprechung nahm Lara ihren Bauleiter Bill Whit-man mit.
»Ehrlich gesagt, ich bin sprachlos gewesen, als ich gehört habe, daß Ihr Ausschuß unser Angebot abgelehnt hat«, begann Lara. »Wir wollen über hundert Millionen Dollar ausgeben, um die hiesigen Wohnverhältnisse zu verbessern, aber Sie weigern sich, uns .«
Edith Benson unterbrach sie. »Machen wir uns nichts vor, Miss Cameron. Sie geben kein Geld aus, um hier Wohnverhältnisse zu verbessern. Sie geben Geld aus, damit die Firma Cameron Enterprises weitere Gewinne erzielt.«
»Natürlich wollen wir Gewinne machen«, gab Lara zu. »Aber indem wir das tun, können wir gleichzeitig den Leuten hier helfen. Wir werden ihre Lebensbedingungen verbessern, und .«
»Tut mir leid, da bin ich anderer Meinung. Vorläufig ist dieses Gebiet noch eine ruhige Wohngegend. Lassen wir Sie zum Zug kommen, wird die Bebauung erheblich verdichtet - und das bedeutet mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Umweltbelastung. Genau das wollen wir nicht.«
»Das wollen wir auch nicht«, versicherte Lara. »Wir haben nicht vor, billige Bruchbuden hinzustellen. Uns interessieren keine Entwürfe, die den Lärmpegel erhöhen, viel Licht schlukken oder das ganze Stadtviertel verändern. Ich habe Stanton Fielding, einen der besten Architekten, den Sie bekommen können, mit der Planung beauftragt, und Andrew Burton aus Washington ist für die Gestaltung der Außenanlagen zuständig.«
Edith Benson zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid, aber da ist nichts zu machen. Weitere Diskussionen erübrigen sich also.« Sie schien aufstehen zu wollen.
Diese Sache darf nicht schief gehen! dachte Lara verzweifelt. Merkt sie denn nicht, daß ich ihren Leuten wirklich helfen will? Für uns bedeutet das Ganze einen ungeheuren Prestigegewinn. Und plötzlich hatte sie eine verrückte Idee.
»Augenblick, Mrs. Benson«, sagte Lara. »Soviel ich gehört habe, sind die übrigen Ausschußmitglieder für dieses Projekt, das im wesentlichen von Ihnen blockiert wird.«
»Ja, das stimmt.«
Lara holte tief Luft. »Es gibt noch einen weiteren Punkt, der angesprochen werden sollte.« Nach kurzem Zögern fuhr sie fort: »Sie glauben, daß mir die zusätzlichen Belastungen, die unser Projekt bewirken könnte, gleichgültig sind? Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen, das Sie hoffentlich für sich behalten werden. Ich habe eine zehnjährige Tochter, die mit ihrem Vater in die neue Wohnanlage einziehen wird. Er hat das Sorgerecht für sie.«
Edith Benson starrte sie überrascht an. »Ich ... ich wußte gar nicht, daß Sie eine Tochter haben.«
»Das weiß niemand«, erklärte Lara ihr. »Ich bin nie verheiratet gewesen. Deshalb bitte ich Sie, meine Mitteilung streng vertraulich zu behandeln. Sollte diese Tatsache bekannt wer-den, könnte sie mir sehr schaden. Das verstehen Sie sicher.«
»Ja, ich verstehe.«
»Ich liebe meine Tochter sehr und kann Ihnen versichern, daß ich alles für sie tun würde. Deshalb werde ich mir auch größte Mühe geben, um dieses Projekt für alle Bewohner optimal zu gestalten. Schließlich baue ich es auch für meine Tochter.«
Die Ausschußvorsitzende schwieg. »Das läßt die Sache natürlich in ganz anderem Licht erscheinen, Miss Cameron«, sagte sie schließlich. »Ich hätte gern etwas Bedenkzeit, aber ich bin sicher, daß sich ein Weg finden läßt.«
»Dafür wäre ich Ihnen sehr dankbar.« Hätte ich eine Tochter, dachte Lara, könnte ich sie mit gutem Gewissen hier wohnen lassen.
Drei Wochen später erhielt die Firma Cameron Enterprises von der städtischen Planungskommission die Genehmigung für das Projekt in Queens.
»Schön«, sagte Lara. »Jetzt müssen wir schnellstens Stanton Fielding und Andrew Burton fragen, ob sie Interesse daran haben, das Vorhaben gemeinsam mit uns zu verwirklichen.«
Howard Keller wollte seinen Ohren nicht trauen. »Ich hab' gehört, was passiert ist«, sagte er. »Du hast sie reingelegt! Unglaublich! Du hast gar keine Tochter!«
»Sie haben dieses Projekt gebraucht, genauso wie wir«, stellte Lara gelassen fest. »Und mir ist nichts anderes eingefallen, um einen Meinungsumschwung zu bewirken.«
Bill Whitman, der zugehört hatte, schüttelte besorgt den Kopf. »Wenn das rauskommt, ist der Teufel los!«
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