Ein halbes Jahr später wurde mit dem Bau begonnen. Der fertiggestellte Gebäudekomplex war gigantisch. Ein ganzer Straßenblock war mit einem riesigen Apartmentgebäude, einer weitläufigen Ladenpassage und einem Theater bebaut. In einer Ecke des Grundstücks stand ein bescheidener einstöckiger Klinkerbau, über dessen Eingang ein schlichtes Schild verkündete: GEORGE ROYCE MEDICAL CLINIC.
Am ersten Weihnachtsfeiertag blieb Lara zu Hause. Sie war zu einem Dutzend Parties eingeladen, aber Paul wollte vorbeikommen. »Ich muß heute bei Nina und den Kindern bleiben«, hatte er ihr erklärt, »aber ich möchte vorbeikommen, um dich wenigstens kurz zu sehen.«
Lara fragte sich, was Philip Adler an diesem ersten Weihnachtstag tun mochte.
Draußen herrschte Weihnachtswetter wie auf einer Ansichtskarte. Ganz New York lag bei strahlendem Sonnenschein unter einer glitzernden Neuschneedecke. Als Paul Martin kam, brachte er eine ganze Tragetasche mit Geschenken für Lara mit.
»Ich mußte im Büro vorbeifahren, um sie abzuholen«, sagte er entschuldigend. Damit seine Frau nichts merkt, dachte sie.
»Du bedeutest mir so viel, Paul. Du brauchst mir nichts zu schenken.«
»Es macht mir aber Freude. Komm, mach' sie auf!«
Lara fand seine Vorfreude auf ihre Freude rührend.
Die Geschenke waren teuer und geschmackvoll: Ein Armband von Cartier, ein Seidentuch von Hermes, ein schwerer Bildband über Schottland, eine kostbare alte Uhr und ein kleiner weißer Umschlag. Lara riß ihn auf. Er enthielt ein Kärtchen, auf dem in Druckschrift lediglich stand: cameron reno hotel & casino. Sie blickte überrascht zu Paul auf. »Ich habe das Hotel?«
Er nickte zuversichtlich. »Du bekommst es. Die Versteigerung findet nächste Woche statt. Viel Vergnügen damit!«
»Aber ich verstehe nichts von der Leitung eines Spielkasinos«, wandte Lara ein.
»Mach' dir deswegen keine Sorgen. Ich stelle ein paar Profis ein, die es für dich managen. Das Hotel kannst du selbst führen.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll. Du tust so viel für mich!«
Paul Martin nahm ihre Hände in seine. »Es gibt nichts, was ich nicht für dich täte. Daran mußt du immer denken.«
»Das tue ich«, versprach Lara ihm ernst.
Er sah auf seine Uhr. »Tut mir leid, ich muß nach Hause. Ich wollte, ich ...« Er zögerte.
»Ja?«
»Schon gut. Fröhliche Weihnachten, Lara.«
»Fröhliche Weihnachten, Paul.«
Als er gegangen war, trat sie ans Fenster. Der Himmel hatte sich mit grauen Wolken überzogen, aus denen es leicht zu schneien begann. Lara stellte ruhelos das Radio an und hörte die Stimme eines Ansagers: »... und nun als Festtagsprogramm das Boston Symphony Orchestra mit Beethovens Klavierkonzert Nummer fünf in E-Dur. Der Solist ist Philip Adler, Klavier.«
Lara hörte mit geschlossenen Augen zu und stellte sich ihn am Klavier vor, konzentriert und souverän. Als der Schlußak-kord verklungen war, dachte sie: Ich muß ihn wiedersehen.
Bill Whitman war ein ausgezeichneter, sehr gesuchter Bauleiter. Er hatte sich vom Maurer hochgearbeitet, arbeitete fleißig und verdiente gutes Geld. Trotzdem war er unzufrieden. Er beobachtete seit Jahren, wie die Unternehmer Millionen scheffelten, während er mit seinem Gehalt abgespeist wurde. In gewisser Weise verdienen sie an mir, sagte er sich. Der Kuchen für die Unternehmer; die Krümel für mich ...
Aber seit jenem Tag, an dem Lara Cameron der Bezirksausschußvorsitzenden die rührende Geschichte von ihrer Tochter erzählt hatte, war alles anders. Sie hatte gelogen, um Mrs.
Benson für ihr Vorhaben zu gewinnen - und diese Lüge konnte ihr das Genick brechen. Würde ich jetzt hingehen und auspakken, könnte sie ihren Laden zumachen, dachte er.
Genau das hatte Bill Whitman jedoch nicht vor. Er hatte einen besseren Plan. Er wollte die Sache zu seinem eigenen Vorteil nutzen. Lara Cameron würde ihm alles geben, was er verlangte. Schon ihr erstes Gespräch, bei dem er eine Beförderung und eine Gehaltserhöhung verlangt hatte, hatte ihm gezeigt, daß sie nachgeben würde. Ihr blieb gar nichts anderes übrig. Ich fange klein an, dachte er zufrieden, und setze sie allmählich unter Druck.
In der letzten Dezemberwoche begannen die Aushubarbeiten für das neue Eastside Plaza. Whitman sah sich auf der riesigen Baustelle um und dachte: Hier wird eines Tages 'ne Menge Geld verdient. Aber diesmal bin ich auch daran beteiligt.
Überall auf dem Gelände waren schwere Baumaschinen im Einsatz. Riesige Schaufelbagger gruben das Erdreich auf, drehten sich und kippten ihre tonnenschwere Ladung in bereitstehende Muldenkipper. Einer der Bagger schien jedoch irgendein technisches Problem zu haben: Seine Schaufel hing unbeweglich in halber Höhe fest. Whitman ging hinüber und stellte sich unter den Schürfkübel, um sich die Sache genauer anzusehen.
»He, Jesse«, rief er laut, um den Motorenlärm zu übertönen, »was ist los dort oben?«
Der Baggerführer murmelte etwas Unverständliches.
Whitman trat näher heran. »Was sagst du?«
Dann passierte alles blitzschnell. Der schwere Schürfkübel krachte auf Whitman herab und zerschmetterte ihn. Männer kamen herbeigerannt, aber der Verunglückte konnte nur noch tot geborgen werden.
»Die Hydraulik ist ausgefallen«, erklärte der Baggerführer später. »Gott, ich fühle mich schrecklich. Ich hab' Bill echt gerngehabt.«
Als Lara von dem Unglück hörte, rief sie sofort Paul Martin an. »Hast du von Bill Whitman gehört?«
»Ja. Das Fernsehen hat über den Unfall berichtet.«
»Paul, hast du etwa ...?«
»Komm ja nicht auf verrückte Ideen!« wehrte er lachend ab. »Du hast anscheinend zu viele Filme gesehen. Du weißt doch -zuletzt siegen immer die Guten.«
Und Lara fragte sich, ob sie zu den Guten gehörte.
Für das Hotel in Reno wurden über ein Dutzend Gebote abgegeben.
»Wann biete ich?« wollte Lara von Paul wissen.
»Erst mal gar nicht. Du wartest, bis ich's dir sage. Laß den anderen den Vortritt.«
Die Gebote mußten im verschlossenen Umschlag abgegeben werden und sollten am kommenden Freitag eröffnet werden. Am Mittwoch hatte Lara noch immer kein Gebot abgegeben. Sie rief nochmals Paul Martin an.
»Immer mit der Ruhe«, sagte er. »Ich melde mich rechtzeitig.«
Sie telefonierten jeden Tag mehrmals miteinander.
Freitag um siebzehn Uhr, eine Stunde vor Ablauf der Gebotsfrist, bekam Lara einen Anruf.
»Jetzt! Das Höchstgebot sind hundertzwanzig Millionen. Ich möchte, daß du drei Millionen mehr bietest.«
Lara holte erschrocken Luft. »Aber soviel ist das Hotel nie wert!«
»Keine Angst«, beruhigte Paul sie, »bei der vorgeschriebenen Renovierung gibt's tausend Möglichkeiten, Geld zu sparen. Du brauchst nur einen Baukontrolleur, der dir alles abzeichnet. Dadurch kannst du mindestens fünf Millionen rausholen.«
Am nächsten Tag erhielt Lara die Mitteilung, ihr Höchstgebot sei akzeptiert worden.
Jetzt war sie mit Howard Keller nach Reno unterwegs.
Das Hotel Reno Palace hatte eintausendfünfhundert luxuriös eingerichtete Zimmer und ein riesiges glitzerndes Spielkasino, das jetzt menschenleer war. Ein gewisser Tony Wilkie, der das leerstehende Haus verwaltete, führte die Besucher aus New York.
»Der vorige Besitzer hat verdammtes Pech gehabt«, behauptete er unterwegs.
»Wieso Pech?« fragte Howard Keller.
»Nun, offenbar haben einige der Jungens etwas Geld für sich selbst abgezweigt .«
»Den Rahm abgeschöpft«, warf Keller ein.
»Yeah. Der Besitzer hat natürlich nichts davon gewußt.«
»Natürlich nicht.«
»Aber irgend jemand hat ihn angezeigt, und die Kontrollkommission hat ihm prompt die Lizenz entzogen. Wirklich schade! Dabei hat das Kasino schöne Gewinne abgeworfen.«
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