»Ein Jahr ... das glücklichste Jahr meines Lebens. Ich habe wirklich Glück. Ich bin viel auf Reisen, und auch Philip reist viel, aber ich kann mir seine Konzerte auf CDs anhören, wo immer ich bin.«
Thompson lächelte. »Und er kann Ihre Gebäude sehen, wo immer er ist.«
»Sie schmeicheln mir!« sagte Lara lachend.
»Aber das stimmt doch beinahe, nicht wahr? Sie haben überall in unserem Land Gebäude errichtet. Ihnen gehören Apartmenthäuser, Einkaufszentren, Bürogebäude, Ladenpassagen, eine Hotelkette . Wie haben Sie das alles geschafft?«
Sie lächelte. »Ich kann hexen.«
»Sie sind ein Phänomen.«
»Tatsächlich? Warum?«
»In diesem Augenblick gehören Sie zu den erfolgreichsten Bauunternehmern New Yorks. Ihr Name steht auf Dutzenden von Bautafeln vor Neubauprojekten. Sie sind dabei, den höchsten Wolkenkratzer der Welt zu bauen. Ihre Konkurrenten haben Ihnen den Spitznamen Eiserner Schmetterling gegeben. Sie haben es in einer Branche, die traditionellerweise von Männern beherrscht wird, erstaunlich weit gebracht.«
»Stört Sie das, Mr. Thompson?«
»Nein. Aber mich stört, Miss Cameron, daß ich nicht herausbekommen kann, wie Sie wirklich sind. Frage ich zwei Leute nach Ihnen, höre ich drei Meinungen. Jeder gesteht Ihnen zu, eine brillante Geschäftsfrau zu sein, aber . Ich meine, der Erfolg ist Ihnen schließlich nicht in den Schoß gefallen. Ich weiß, wie's auf dem Bau zugeht und was für rauhe Sitten dort herrschen. Wie schafft es eine Frau, mit solchen Rabauken fertigzuwerden?«
Sie lächelte. »Vielleicht bin ich als Frau die große Ausnahme. Aber ganz im Ernst: Ich stelle für jeden Job nur die besten Leute ein und bezahle sie gut.«
Zu einfach, dachte Thompson. Viel zu einfach. Die wahre Story liegt in dem, was sie verschweigt. Er beschloß, dem Interview eine andere Wendung zu geben.
»Praktisch alle Zeitschriften haben schon darüber berichtet, wie erfolgreich Sie sind. Ich möchte eine persönlichere Story schreiben. Über Ihre Familie, Ihre Abstammung ist bisher nur wenig geschrieben worden.«
»Auf meine Abstammung bin ich sehr stolz.«
»Gut, dann erzählen Sie mir ein bißchen darüber. Was hat Sie dazu bewogen, Ihr Glück in der Immobilienbranche zu versuchen?«
Lara lächelte, und er sah, daß ihr Lächeln echt war. Sie wirkte plötzlich wie ein kleines Mädchen.
»Es lag mir im Blut.«
»Im Blut?«
»Und in dem meines Vaters.« Lara deutete auf ein Porträt an der Wand hinter ihr. Es zeigte einen gutaussehenden Mann mit silbergrauen Haaren. »Das ist mein Vater - James Hugh Cameron.« Ihre Stimme klang weich. »Meinen Erfolg verdanke ich ihm. Ich bin ein Einzelkind gewesen. Meine Mutter ist früh gestorben, und mein Vater hat mich allein aufgezogen. Meine Familie ist vor vielen Jahren aus Schottland nach NeuSchottland ausgewandert - nach Glace Bay.«
»Glace Bay?«
»Eine Kleinstadt, ein ehemaliges Fischerdorf, im Nordosten von Cape Breton im Atlantik. Ihren Namen verdankt sie französischen Forschungsreisenden. Noch etwas Kaffee?«
»Nein, danke.«
»Mein Großvater hat in Schottland große Ländereien besessen, und mein Vater hat diesen Grundbesitz noch vermehrt. Er ist sehr reich gewesen. Das Schloß unserer Familie am Loch Morlich besitze ich noch heute. Als Achtjährige habe ich ein eigenes Pferd gehabt, meine Kleider sind aus London gekommen, und wir haben in einem weitläufigen alten Haus mit viel Personal gewohnt. Für ein kleines Mädchen ist das ein märchenhaftes Leben gewesen.«
Ihre Stimme klang vertraut, während sie von ihrer Kindheit und Jugend sprach.
»Im Winter sind wir zum Schlittschuhlaufen gegangen oder haben bei Eishockeyspielen zugesehen; im Sommer haben wir im Glace Bay Lake gebadet. Und später sind wir ins Forum oder ins Venetian Gardens zum Tanzen gegangen.«
Der Reporter machte sich eifrig Notizen.
»Mein Vater hat in Edmonton, Calgary und Ontario gebaut. Für ihn ist das Immobiliengeschäft ein faszinierendes Spiel gewesen, das er leidenschaftlich gern gespielt hat. Und ich habe diese Leidenschaft von ihm geerbt.« Ihre Stimme klang ernst. »Eines müssen Sie verstehen, Mr. Thompson: Was ich tue, hat nichts mit dem Geld oder dem Baumaterial zu schaffen, das für ein Gebäude benötigt wird. Mir geht's dabei um die Menschen. Ich verschaffe ihnen eine angenehme Umgebung, in der sie arbeiten, in der sie eine Familie gründen und behaglich leben können. Das ist meinem Vater wichtig gewesen, und es ist auch mir wichtig.«
Hugh Thompson sah auf. »Können Sie sich noch an Ihr erstes Objekt erinnern?«
Lara beugte sich vor. »Natürlich! Als ich achtzehn wurde, fragte mein Vater mich, was ich mir zum Geburtstag wünsche. Damals sind viele Leute neu nach Glace Bay gekommen, und ich hatte mir überlegt, daß sie Wohnungen brauchen würden. Deshalb erklärte ich meinem Vater, daß ich ein kleines Apartmenthaus bauen wollte. Er hat mir das Geld dafür gegeben -aber zwei Jahre später habe ich's ihm wieder zurückzahlen können. Dann habe ich einen Bankkredit aufgenommen, um ein zweites Gebäude zu errichten. Mit einundzwanzig haben mir schon drei Häuser gehört, die alle Gewinn abgeworfen haben.«
»Ihr Vater muß sehr stolz auf Sie gewesen sein.«
Wieder ein leicht wehmütiges Lächeln. »Ja, das ist er gewesen. Er hat mich Lara genannt. Das ist ein alter schottischer Name, der >allbekannt< oder >berühmt< bedeutet. Schon als kleines Mädchen habe ich von meinem Vater gehört, ich würde eines Tages berühmt werden.« Ihr Lächeln verschwand. »Er ist viel zu jung an einem Herzschlag gestorben. Ich reise jedes Jahr nach Schottland, um sein Grab zu besuchen.«
Lara Cameron machte eine Pause.
»Nach . nach seinem Tod ist es mir sehr schwergefallen, allein in unserem Haus zu leben. Deshalb bin ich nach Chicago gegangen. Ich hatte eine Idee, wie kleine, behagliche Hotels aussehen sollten, und konnte einen Bankier dazu überreden, sie zu finanzieren. Die Hotels sind erfolgreich gewesen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Der Rest meiner Geschichte ist bekannt. Ein Psychologe würde vermutlich behaupten, ich hätte dieses Imperium nicht allein für mich geschaffen. In gewisser Beziehung ist es tatsächlich ein Tribut an meinen Vater. James Cameron ist der wundervollste Mann, den ich je gekannt habe.«
»Sie müssen ihn sehr geliebt haben.«
»Ja - und er hat mich sehr geliebt.« Sie lächelte schwach. »Angeblich hat mein Vater nach meiner Geburt der gesamten männlichen Bevölkerung von Glace Bay einen Drink ausgegeben.« »Also«, stellte Thompson fest, »hat alles in Glace Bay angefangen.«
»Richtig«, bestätigte Lara halblaut, »alles hat in Glace Bay angefangen. Vor fast vierzig Jahren ...«
Glace Bay, Neu-Schottland 10. September 1952
In der Nacht, in der sein Sohn und seine Tochter geboren wurden, war James Cameron angetrunken und befand sich in einem Bordell. Dort lag er zwischen den schwedischen Zwillingen im Bett, als Kristie, die Bordellbesitzerin, an die Tür hämmerte.
»James!« rief Kristie. Sie stieß die Tür auf und kam herein.
»Scher dich zum Teufel, alte Hexe!« knurrte James aufgebracht. »Kann man nicht mal hier seine Ruhe haben?«
»Tut mir leid, daß ich dich stören muß, James. Es ist wegen deiner Frau.«
»Was ist mit der?«
»Die kriegt gerade dein Kind, falls du's vergessen haben solltest.«
»Und? Dann soll sie's eben kriegen. Dafür seid ihr Weiber schließlich da.«
»Der Arzt hat gerade angerufen. Er läßt dich schon überall suchen. Deiner Frau geht's schlecht. Du solltest dich lieber beeilen.«
James Cameron setzte sich auf, rutschte auf die Bettkante und schüttelte benommen den Kopf. »Verdammtes Weibsbild! Vor der hat man nirgends Ruhe.« Er sah zu Kristie auf. »Gut, ich geh schon.« Er deutete auf die beiden nackten Mädchen. »Aber für die zahl ich nichts.«
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