Lara hatte keine Mühe mit dem anstrengenden Training, aber sie war an diesem Morgen nicht recht bei der Sache.
Nach der letzten Übung sagte Ken: »Ich sehe Sie mir nachher inGoodMorning America an.«
»Was?« Lara hatte das Interview im Augenblick ganz vergessen. In Gedanken war sie schon in der Besprechung mit den japanischen Bankiers gewesen.
»Schön, dann bis morgen, Miss Cameron.«
»Kommen Sie nicht wieder zu spät, Ken.«
Lara duschte, zog sich an und frühstückte allein auf der Terrasse ihres Penthouses. Das Frühstück bestand aus Grapefruit, Cornflakes und grünem Tee. Danach ging sie in ihr Arbeitszimmer.
Sie klingelte nach ihrer Sekretärin. »Die Auslandsgespräche erledige ich aus dem Büro«, sagte Lara. »Ich muß um sieben bei der ABC sein. Max soll mit dem Wagen vorfahren.«
Das Interview in der SendungGood Morning America war ein Erfolg. Joan Lunden, die Interviewerin, war liebenswürdig wie immer.
»Als Sie letztes Mal bei uns gewesen sind, Miss Cameron«, sagte Joan Lunden, »hatten Sie gerade mit dem Bau des höchsten Wolkenkratzers der Welt begonnen. Das war vor fast drei Jahren.«
Lara nickte. »Ja, das stimmt. Meine Cameron Towers werden nächstes Jahr fertiggestellt.«
»Wie fühlt man sich in Ihrer Position . wenn man so Unglaubliches geleistet hat und noch immer so jung und schön ist? Sie sind ein Vorbild für Millionen von Frauen.«
»Sie schmeicheln mir«, wehrte Lara lächelnd ab. »Ich habe keine Zeit, mich als Vorbild zu sehen. Dazu bin ich viel zu beschäftigt.«
»Obwohl das Immobilien- und Baugeschäft eigentlich als Domäne der Männer gilt, sind Sie in dieser Branche höchst erfolgreich. Wie machen Sie das? Wie suchen Sie beispielsweise den Standort für ein neues Gebäude aus?«
»Ich suche ihn nicht aus«, antwortete Lara. »Der Bauplatz suchtmich aus. Ich bin irgendwo unterwegs und sehe ein unbebautes Grundstück - aber in meinem Kopf sehe ich etwas anderes. Ich sehe ein funktionales Bürohochhaus oder ein schönes Wohngebäude, in dem Menschen in angenehmer Atmosphäre arbeiten oder leben. Ich träume ...«
»Und Sie machen Ihre Träume wahr. Gleich nach dieser Werbung geht's weiter.«
Die japanischen Bankiers trafen pünktlich um Viertel vor acht ein. Sie waren am Abend zuvor aus Tokio angekommen, und Lara hatte die Besprechung absichtlich so früh angesetzt, damit sie nach dem zwölfstündigen Flug noch unter der Zeitverschiebung litten. Als die Japaner protestiert hatten, hatte Lara ihnen kühl erklärt: »Tut mir leid, Gentlemen, aber das ist der einzig mögliche Termin. Sofort nach unserer Besprechung fliege ich nach Südamerika.«
Daraufhin waren sie widerstrebend einverstanden gewesen. Sie erschienen zu viert: klein, höflich und mit messerscharfem Verstand. Früher hatte die amerikanische Finanzwelt die Japaner gewaltig unterschätzt. Diesen Fehler machte man inzwischen längst nicht mehr.
Die Besprechung fand im Cameron Center auf der Sixth Avenue statt. Die Japaner waren hier, um sich mit einhundert
Millionen Dollar an einem Hotelkomplex zu beteiligen, den Lara gerade plante. Sie wurden in den großen Konferenzraum geführt. Jeder der Männer hatte ein Geschenk mitgebracht. Lara dankte ihnen und überreichte ihrerseits jedem ein Geschenk. Sie hatte ihre Sekretärin angewiesen, dafür zu sorgen, daß ihre Geschenke schlicht in braun oder grau verpackt waren. Weiß war für Japaner die Farbe der Trauer, und buntes Geschenkpapier hätte als geschmacklos gegolten.
Tricia, Laras Sekretärin, servierte den Japanern Tee und Lara Kaffee. Den Gästen wäre Kaffee lieber gewesen, aber sie waren zu höflich, um das zu sagen. Als sie ausgetrunken hatten, sorgte Lara dafür, daß ihnen nachgeschenkt wurde.
Dann betrat Howard Keller, Laras engster Mitarbeiter, den Konferenzraum. Er war Mitte Fünfzig, aschblond, blaß und hager, trug einen verknitterten Anzug und schaffte es, den Eindruck zu erwecken, als sei er eben erst aufgestanden. Lara machte ihn mit den Gästen bekannt. Keller verteilte Exposes, die das Hotelprojekt vorstellten.
»Wie Sie sehen, Gentlemen«, sagte Lara, »haben wir schon eine feste Zusage für die erste Hypothek. Der Komplex umfaßt siebenhundertzwanzig Gästezimmer, Restaurants und Tagungsräume mit gut zweieinhalbtausend Quadratmetern Gesamtfläche, eine Tiefgarage mit eintausend Stellplätzen .«
Lara Camerons Stimme klang energiegeladen. Die Japaner studierten die Unterlagen und hatten Mühe, wach zu bleiben.
Die Besprechung ging nach knapp zwei Stunden zu Ende und war ein voller Erfolg. Lara wußte seit langem, daß es leichter war, einen Deal über einhundert Millionen Dollar abzuschließen, als einen Kredit über fünfzigtausend Dollar aufzunehmen.
Sobald die Japaner sich verabschiedet hatten, folgte Laras Besprechung mit Jerry Townsend. Der großgewachsene, stets elegant gekleidete PR-Mann, der in Hollywood sehr erfolgreich gewesen war, leitete die Öffentlichkeitsarbeit der Firma Cameron Enterprises.
»Ihr Interview heute morgen inGood Morning America ist gut angekommen, ich habe schon eine Menge Anrufe erhalten.«
»Wie steht's mitForbes?«
»Alles arrangiert.People bringt Sie nächste Woche auf der Titelseite. Haben Sie den Artikel über Sie imNew Yorker gesehen? Ist der nicht großartig gewesen?«
Lara setzte sich an ihren Schreibtisch. »Nicht schlecht.«
»Das Interview fürFortune ist für heute Nachmittag eingeplant.«
»Ich habe den Termin verschoben.«
Er machte ein überraschtes Gesicht. »Weshalb?«
»Ich habe den Reporter hierher zum Lunch eingeladen.«
»Ah, die berühmte Vorzugsbehandlung?«
Lara drückte die Ruftaste der Gegensprechanlage. »Kommen Sie bitte herein, Kathy.«
Die Lautsprecherstimme antwortete: »Ja, Miss Cameron.«
Lara Cameron sah auf. »Das war's vorerst, Jerry. Ich möchte, daß Sie und Ihre Mitarbeiter sich auf die Cameron Towers konzentrieren.«
»Wir haben schon ...«
»Wir müssen noch mehr tun! Ich möchte, daß sämtliche Zeitungen und Zeitschriften darüber berichten. Schließlich bauen wir das höchste Gebäude der Welt.Der Welt! Ich möchte, daß die Leute darüber reden. Ich möchte, daß sie darumbetteln, diese Wohnungen und Läden beziehen zu dürfen.«
Jerry Townsend stand auf. »Okay, wird gemacht.«
Kathy, Laras Assistentin, kam herein. Sie war eine attraktive, unauffällig elegante Schwarze Anfang dreißig.
»Haben Sie herausbekommen, was er am liebsten ißt?«
»Der Mann ist Feinschmecker mit einem Faible für französische Küche. Ich habe im Restaurant Le Cirque angerufen und Sirio gebeten, hier ein Lunch für zwei Personen zu servieren.«
»Gut. Wir essen in meinem privaten Speisezimmer.«
»Wie lange dauert das Interview voraussichtlich? Um vierzehn Uhr dreißig müßten Sie zu einer Besprechung mit den Managern von der Metropolitan Union fahren.«
»Verschieben Sie den Termin auf fünfzehn Uhr - und bitten Sie die Gentlemen hierher.«
Kathy notierte sich die Verschiebung. »Soll ich Ihnen die Post vorlesen.«
»Ja, bitte.«
»Das Kinderhilfswerk möchte Sie zur Sitzung am Achtundzwanzigsten als Ehrengast einladen.«
»Nein. Danken Sie in meinem Namen für die Einladung. Legen Sie einen Scheck bei.«
»Die Besprechung in Tulsa findet am ...«
»Absagen!«
»Eine Frauengruppe aus Manhattan möchte Sie für kommenden Freitag zum Lunch einladen.«
»Nein. Falls sie für wohltätige Zwecke sammeln, legen Sie einen Scheck bei.«
»Das Bildungswerk für Literatur läßt Sie bitten, bei einem Mittagessen am vierten Oktober eine kurze Rede zu halten.«
»Versuchen Sie, das einzurichten.«
»Sie sind als Ehrengast zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung zugunsten MS-Kranker eingeladen - aber an diesem Termin sind Sie in San Francisco.«
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