»Ich bin Leuten nicht gern etwas schuldig«, antwortete Lara. »Ihnen schulde ich etwas, und Sie lassen mich nicht bezahlen. Das stört mich.«
»Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß Sie mir nichts schuldig sind.« »Aber ich .«
»Wie ich höre, ist Ihr Gebäude inzwischen fast fertiggestellt.« »Ja.« Dank Ihrer Hilfe, wollte sie hinzufügen, aber sie schluckte es hinunter. »Sie verstehen etwas von dem Geschäft, nicht wahr?« Lara nickte. »Nichts bedeutet mir mehr. Ich finde es aufregend, eine Idee zu haben und dann zu verfolgen, wie sie aus
Beton und Stahl zu einem Gebäude wird, in dem Menschen leben und arbeiten. Damit entsteht jedesmal fast eine Art Denkmal, finden Sie nicht auch?«
Sie sprach lebhaft und mit ausdrucksvoller Mimik.
»Wahrscheinlich haben Sie recht. Und so führt ein Denkmal zum anderen?«
»Aber sicher!« sagte Lara energisch. »Ich will in der New Yorker Baubranche die Größte werden.«
Ihre sinnliche Ausstrahlung übte einen fast hypnotischen Einfluß auf ihn aus.
Paul Martin lächelte. »Das traue ich Ihnen sogar zu.«
»Warum sind Sie heute abend doch noch ins Theater gekommen?« fragte Lara.
Er war gekommen, um sie aufzufordern, ihn nicht weiter zu belästigen, doch als sie ihm jetzt gegenübersaß, fehlte ihm der Mut, es ihr ins Gesicht zu sagen. »Ich hatte gehört, daß das Musical gut sein soll.«
Lara Cameron lächelte. »Wir könnten noch mal hingehen und es uns wirklich ansehen, Paul.«
Er schüttelte den Kopf. »Miss Cameron, ich bin nicht nur verheiratet, sondern sogar sehr verheiratet. Zufällig liebe ich nämlich meine Frau.«
»Das finde ich bewundernswert«, sagte Lara. »Mein Gebäude ist am fünfzehnten März bezugsfertig. Das feiern wir mit einer großen Party. Kommen Sie auch?«
Er zögerte sekundenlang, während er versuchte, seine Ablehnung möglichst wenig kränkend zu formulieren. Zuletzt sagte er: »Ja, ich komme.«
Die Party zur Einweihung des neuen Gebäudes war ein mäßiger Erfolg. Lara Cameron war noch nicht bekannt genug, um allzu viele Reporter oder die Spitzen der Stadtverwaltung anzulocken. Aber ein Assistent des Oberbürgermeisters war da, und die Post hatte einen Reporter geschickt.
»Das Gebäude ist zu über neunzig Prozent vermietet«, berichtete Keller Lara. »Und wir bekommen täglich weitere Anfragen.«
»Gut«, sagte Lara geistesabwesend. Sie dachte an Paul Martin und fragte sich, ob er noch kommen würde. Aus irgendeinem Grund war ihr das wichtig. Das Geheimnisvolle an ihm reizte sie. Er bestritt, ihr geholfen zu haben, und trotzdem . Sie machte Jagd auf einen Mann, der seinem Alter nach ihr Vater hätte sein können. Lara bemühte sich, diesen Gedanken wieder zu verdrängen.
Lara mußte sich um ihre Gäste kümmern. Bei Hors d'reuvres und Drinks schienen sich doch alle gut zu amüsieren. Als die Party richtig in Gang gekommen war, erschien Paul Martin -und bewirkte sofort einen Stimmungsumschwung. Die Bauarbeiter begrüßten ihn wie ein gekröntes Haupt. Sie hatten offenbar großen Respekt vor ihm.
Ich bin Fachanwalt für Wirtschaftsrecht ... Ich habe keinen Umgang mit Gewerkschaften.
Nachdem Martin einige Bekannte begrüßt hatte, gesellte er sich zu Lara.
»Ich freue mich, daß Sie kommen konnten«, sagte Lara.
Paul Martin sah sich in der Eingangshalle des Wolkenkratzers um. »Meinen Glückwunsch! Sie haben erstklassige Arbeit geleistet.«
»Danke.« Sie sprach etwas leiser. »Ich bin Ihnen wirklich dankbar, Paul.«
Er starrte die schöne junge Frau bewundernd an und genoß das Herzklopfen, das sie bei ihm auslöste.
»Die Party ist schon fast vorbei«, behauptete Lara. »Ich hatte gehofft, Sie würden mich zum Abendessen einladen.«
»Sie wissen doch, daß ich mit meiner Frau und meinen Kindern zu Abend esse.« Er sah ihr in die Augen. »Aber ich spendiere Ihnen einen Drink.«
»Und ich nehme dankend an«, sagte Lara lächelnd.
Sie saßen in einer kleinen Bar auf der Third Avenue. Auf der Fahrt dorthin hatten sie sich zwar unterhalten, aber später wußte keiner von ihnen, worüber sie geredet hatten. Die Worte dienten nur dazu, die zwischen ihnen herrschende erotische Spannung zu tarnen.
»Erzählen Sie mir von sich«, sagte Paul Martin. »Wer sind Sie? Wo kommen Sie her? Wie sind Sie in diese Branche geraten?«
Lara dachte an Sean MacAllister und seinen häßlichen Körper auf ihrem.Das hat so gutgetan, das müssen wir gleich noch mal machen!
»Ich komme aus Glace Bay, einer Kleinstadt in NeuSchottland«, erzählte sie. »Mein Vater hat dort ein Fremdenheim geführt. Nach seinem Tod habe ich es weitergeführt. Einer der Gäste hat mir geholfen, ein Grundstück zu kaufen, auf dem ich einen Supermarkt errichtet habe. Damit hat alles angefangen.«
Paul hörte aufmerksam zu.
»Dann bin ich nach Chicago gegangen und habe dort weitere Gebäude umgebaut oder neu errichtet. Ich habe Erfolg gehabt und bin nach New York gekommen.« Sie lächelte. »Das ist eigentlich schon die ganze Story.« Außer den Leiden eines Kindes, das von seinem Vater gehaßt wird, einer jämmerlichen Existenz in bitterer Armut, dem Verkauf meines Körpers an Sean MacAllister, dachte sie bitter.
»Ganz so leicht ist es bestimmt nicht gewesen«, sagte Paul Martin, als habe er ihre Gedanken gelesen.
»Ich kann nicht klagen.«
»Was ist Ihr nächstes Projekt?«
Lara zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich selbst noch nicht. Ich habe verschiedene Projekte geprüft, aber wirklich begeistert hat mich keines.«
Martin konnte den Blick nicht von ihr wenden.
»Woran denken Sie, Paul?« fragte Lara.
Er holte tief Luft. »Wollen Sie die Wahrheit hören? Wäre ich nicht verheiratet, würde ich Ihnen jetzt sagen, daß Sie die aufregendste Frau sind, die ich je kennengelernt habe. Aber ich bin verheiratet, also können wir nur Freunde sein. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
»Sehr klar.«
Martin sah auf seine Uhr. »Tut mir leid, ich muß gehen.« Er gab dem Ober ein Zeichen. »Die Rechnung, bitte.« Er stand auf.
»Treffen wir uns nächste Woche mal zum Lunch?« fragte Lara.
»Nein. Vielleicht sehen wir uns bei der Einweihung Ihres nächsten Wolkenkratzers wieder.«
Und dann war er verschwunden.
In dieser Nacht träumte Lara, daß sie sich liebten. Paul Martin lag auf ihr, streichelte ihren Körper und flüsterte ihr Liebesworte ins Ohr.
»Ich muß dich haben, weißt du - dich und keine andere ... Verzeih mir, mein süßer Liebling, daß ich dir nie gesagt habe, wie sehr ich dich liebe, liebe, liebe .«
Und dann war er in ihr, und sie schien dahinzuschmelzen. Lara stöhnte und wachte davon auf. Danach saß sie zitternd im Bett.
Zwei Tage später kam ein Anruf von Paul Martin. »Ich glaube, ich habe ein Grundstück, das Sie interessieren könnte«, sagte er geschäftsmäßig knapp. »Es liegt auf der West Side - in der neunundsechzigsten Straße. Vorerst ist es noch nicht auf dem Markt. Es gehört einem meiner Mandanten, der es rasch verkaufen möchte.«
Gemeinsam mit Howard Keller besichtigte Lara es am selben Vormittag. Ein erstklassiges Baugrundstück.
»Wie hast du davon erfahren?« wollte Keller wissen.
»Von Paul Martin.«
»Oh, ich verstehe.« Das klang deutlich mißbilligend. »Was soll das heißen?«
»Lara . ich habe mich nach Martin erkundigt. Er gehört zur Mafia. Laß die Finger von ihm!«
»Er ist kein Mafioso«, stellte sie aufgebracht fest. »Er ist ein Freund. Was hat das außerdem mit diesem Grundstück zu tun? Gefällt es dir nicht?« »Ich finde es großartig.« »Dann kaufen wir's doch.« Zehn Tage später war das Geschäft perfekt. Lara schickte Paul Martin einen großen Blumenstrauß. Auf einem beigelegten Kärtchen stand: Bitte nicht zurückschicken, Paul. Sie sind sehr empfindlich.
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