»Soviel Zeit habe ich nicht! Das Gebäude muß zu einem bestimmten Termin fertiggestellt sein. Ich . Und wie lautet Ihr zweiter Ratschlag?«
»Lassen Sie die Finger von der Baubranche.« Martins Blick streifte ihren Busen. »Sie haben nicht die richtigen Voraussetzungen dafür.«
»Wie bitte?«
»Das ist kein Ort für Frauen.«
»Und welches ist Ihrer Meinung nach der Ort für uns Frauen?« fragte Lara aufgebracht. »Barfuß und schwanger in der Küche zu stehen?«
»In etwa. Yeah.«
Lara stand auf. Sie hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Sie scheinen der letzte noch lebende Dinosaurier zu sein. Vielleicht haben Sie's noch nicht mitbekommen, aber Frauen sind jetzt frei!«
Paul Martin schüttelte den Kopf. »Nein, bloß lauter.«
»Leben Sie wohl, Mr. Martin. Bitte entschuldigen Sie, daß ich Ihre kostbare Zeit in Anspruch genommen habe.«
Lara machte kehrt, stolzierte hinaus und knallte beide Türen hinter sich zu. Draußen im Flur blieb sie stehen und atmete tief durch. Das war ein Fehler, dachte sie. Sie war am Ende ihres Weges angelangt. Sie hatte alles, was sie in jahrelanger Arbeit aufgebaut hatte, aufs Spiel gesetzt - und in einem einzigen Augenblick verloren. Es gab keinen Ausweg mehr; sie hatte niemanden mehr, an den sie sich hilfesuchend hätte wenden können.
Das Spiel war aus.
Nach einer schlaflosen Nacht irrte Lara schon bei Tagesanbruch im kalten Nieselregen durch die Straßenschluchten. Sie nahm weder den eisigen Wind noch ihre Umgebung wahr, sondern war nur mit der Katastrophe beschäftigt, die über sie hereingebrochen war. Howard Kellers Worte klangen ihr in den Ohren: Das Ganze gleicht einer auf der Spitze stehenden Pyramide ... Geht irgend etwas schief, kann deine Pyramide einstürzen und dich unter sich begraben .
Nun war es soweit. Die Banken in Chicago würden ihre als Sicherheit übereigneten Vermögenswerte einbehalten, und sie würde jeden Cent verlieren, den sie in ihr neues Gebäude investiert hatte. Das bedeutete, daß sie noch einmal ganz von vorn anfangen mußte. Der arme Howard! dachte sie. Er hat an meine Zukunft geglaubt, und ich habe ihn enttäuscht.
Der Regen hatte aufgehört, und der Himmel begann, sich aufzuhellen. Durch die aufreißenden Wolken drang blasser Sonnenschein. Lara sah sich um und nahm erst jetzt wahr, wo sie sich befand; keine zwei Straßen von der Baustelle ihres Wolkenkratzers entfernt. Einmal sehe ich ihn mir noch an, dachte sie.
Lara hatte noch gut einen Block weit zu gehen, als plötzlich der gewohnte Baulärm an ihr Ohr drang! Sie blieb einen Augenblick wie angenagelt stehen. Dann rannte sie zur Baustelle. Als sie ankam, blieb sie schweratmend stehen und starrte ungläubig in die Höhe.
Die Bauarbeiter waren vollzählig erschienen und schufteten wie im Akkord.
Der Polier kam freundlich lächelnd auf sie zu. »Guten Morgen, Miss Cameron.«
Lara fand endlich ihre Stimme wieder. »Was ... wie kommt das? Ich dachte, Sie ... wollten Ihre Leute abziehen?«
»Das ist ein Mißverständnis gewesen, Miss Cameron«, antwortete er verlegen. »Bruno hätte Sie umbringen können, als
ihm der Schraubenschlüssel aus der Tasche gefallen ist.«
Lara schluckte trocken. »Aber er .«
»Denken Sie nicht mehr an ihn. Den hab' ich entlassen. So was passiert nicht wieder. Und machen Sie sich keine Sorgen mehr. Wir liegen wieder genau im Plan.«
Lara fühlte sich wie im Traum. Sie stand da, beobachtete die schuftenden Männer und dachte: Du hast alles zurückbekommen. Alles! Und das verdankst du ... Paul Martin.
Lara Cameron rief ihn an, sobald sie in ihrem Büro war. Seine Sekretärin sagte: »Tut mir leid, Mr. Martin ist nicht zu sprechen.«
»Bestellen Sie ihm bitte, daß er zurückrufen möchte?« Lara gab ihre Nummer an.
Als sie bis zum Nachmittag nichts von ihm gehört hatte, rief sie erneut an.
»Tut mir leid, Mr. Martin ist nicht zu sprechen.«
Auch danach rief er nicht zurück.
Kurz nach siebzehn Uhr erschien Lara in Paul Martins Vorzimmer und forderte die blonde Sekretärin auf: »Bitte sagen Sie Mr. Martin, daß Lara Cameron ihn sprechen möchte.«
Die Sekretärin machte ein zweifelndes Gesicht. »Ich weiß nicht, ob ... Augenblick!« Sie verschwand nach nebenan, kam gleich wieder heraus und hielt Lara die Tür auf. »Mr. Martin läßt bitten.«
Paul Martin sah auf, als Lara hereinkam.
»Ja, Miss Cameron?« Sein Tonfall war kühl, weder freundlich noch unfreundlich. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin gekommen, um Ihnen zu danken.«
»Wofür zu danken?«
»Daß Sie die Sache mit der Gewerkschaft ins Lot gebracht haben.«
Er runzelte die Stirn. »Bedauere, aber ich weiß nicht, wovon Sie reden.« »Die Arbeiter sind heute morgen zurückgekommen, und alles ist wieder in Ordnung. Die Bauarbeiten gehen planmäßig weiter.«
»Meinen Glückwunsch!«
»Wenn Sie mir Ihre Liquidation schicken wollen ...«
»Miss Cameron, Sie müssen irgend etwas mißverstanden haben. Sollte Ihr Problem gelöst sein, freue ich mich für Sie. Aber ich habe nichts damit zu tun gehabt.«
Lara betrachtete ihn forschend. »Schön, Mr. Martin. Entschuldigen Sie, daß ich Sie belästigt habe.«
»Kein Problem.« Er sah ihr nach, als sie hinausging.
Im nächsten Augenblick kam seine Sekretärin herein. »Das hat Miss Cameron für Sie dagelassen, Mr. Martin.«
Sie legte ein kleines Päckchen in Geschenkpapier auf den Schreibtisch.
Er machte es neugierig auf. Es enthielt eine wundervoll gearbeitete Statuette eines Ritters aus massivem Silber. Statt einer Entschuldigung.
Wie hat sie mich genannt? Einen Dinosaurier. Er bildete sich ein, wieder die Stimme seines Großvaters zu hören: Das waren gefährliche Zeiten, Paul. Die jungen Männer wollten die Mafia unter ihre Herrschaft bringen und die verknöcherten Alten, die Schnauzbärtigen, die Dinosaurier entmachten. Es war ein blutiger Kampf, aber zuletzt haben sie's geschafft.
Alles das hatte sich vor langer, langer Zeit in der alten Heimat abgespielt. Damals in Sizilien ...
Ghibellina, Sizilien -1879
Die Martinis warenstranieri, Fremde in dem kleinen siziliani-schen Dorf Ghibellina. Dort war das Land karg, ein dürrer, wenig fruchtbarer Landstrich unter erbarmungslos herabbrennender Sonne. In diesem Land, in dem die großen Güter dengabelotti, reichen Grundbesitzern, gehörten, hatten die Martinis einen kleinen Bauernhof gekauft, den sie selbst zu bewirtschaften versuchten.
Eines Tages suchte dersoprintendente Giuseppe Martini auf.
»Euer kleiner Hof wirft nicht viel ab«, sagte er. »Der Boden ist viel zu schlecht. Von dem bißchen Wein- und Olivenanbau werdet ihr nie anständig leben können.«
»Machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen«, wehrte Martini ab. »Ich bin mein Leben lang Bauer gewesen.«
»Wir machen uns alle Sorgen um dich«, behauptete dersoprintendente. »Don Vito besitzt gutes Land, das er Ihnen verpachten würde.«
Giuseppe Martini schnaubte. »Die Geschichte mit Don Vito und seinem Land kenne ich. Verpflichte ich mich, seinen Boden zu bestellen, nimmt er sich drei Viertel der Ernte und berechnet mir fürs Saatgut hundert Prozent Zinsen. Dann stehe ich eines Tages mit ebenso leeren Händen da wie die anderen Dummköpfe, die sich darauf eingelassen haben. Nein, richten Sie ihm aus, daß ich bestens danke!«
»Du machst einen großen Fehler, mein Lieber. Dies ist ein gefährliches Land. Hier kann's schlimme Unfälle geben.«
»Soll das eine Drohung sein?«
»Natürlich nicht, mein Lieber. Ich habe nur darauf aufmerksam machen wollen .«
»Verschwinden Sie von meinem Land!« rief Giuseppe Martini aufgebracht.
Der Gutsverwalter schüttelte betrübt den Kopf. »Du bist sehr halsstarrig, mein Lieber.«
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