Als er fortgeritten war, fragte Martinis zehnjähriger Sohn Salvatore: »Wer ist das gewesen, Papa?«
»Der Verwalter eines der großen Gutsbesitzer.«
»Ich mag ihn nicht«, sagte der Junge.
»Ich auch nicht, Salvatore.«
In der darauffolgenden Nacht wurden Giuseppe Martinis Felder in Brand gesetzt, und die wenigen Stücke Vieh, die er besaß, verschwanden spurlos.
Nun machte Martini den zweiten Fehler. Er ging zu denca-rabinieri in der nächsten Stadt.
»Ich verlange polizeilichen Schutz«, sagte er.
Der Polizeichef betrachtete ihn ausdruckslos. »Dazu sind wir da«, antwortete er. »Was führt Sie zu uns,signore?«
»Letzte Nacht haben Don Vitos Leute meine Felder angezündet und mein Vieh gestohlen.«
»Das ist ein schwerwiegender Vorwurf. Können Sie ihn beweisen?«
»Seinsoprintendente ist auf meinem Hof gewesen und hat mich bedroht.«
»Hat er Ihnen gedroht, Ihre Felder anzuzünden und Ihr Vieh zu stehlen?«
»Natürlich nicht«, sagte Giuseppe Martini.
»Washat er zu Ihnen gesagt?«
»Er wollte, daß ich meinen Hof aufgebe und Land von Don Vito pachte.«
»Und Sie haben abgelehnt?«
»Selbstverständlich.«
»Signore, Don Vito ist ein sehr wichtiger Mann. Soll ich ihn verhaften, nur weil er angeboten hat, sein fruchtbares Land mit Ihnen zu teilen?«
»Ich verlange, daß Sie mich schützen«, antwortete Giuseppe Martini. »Ich werde mich nicht von meinem Land vertreiben lassen!«
»Signore, dafür habe ich volles Verständnis. Ich tue, was ich kann.«
»Dafür danke ich Ihnen im voraus.«
»Nichts zu danken,Signore.«
Als der junge Salvatore am folgenden Nachmittag aus dem Dorf kam, sah er ein halbes Dutzend Männer zum Hof seines Vaters reiten. Sie stiegen ab und gingen ins Haus. Die Besucher waren ihm unheimlich, und er versteckte sich.
Wenige Minuten später sah der Junge erschrocken, wie sein Vater über den Hof aufs Feld geschleppt wurde.
Einer der Männer zog seinen Revolver. »Wir geben dir 'ne Chance zu fliehen. Los, lauf schon!«
»Nein! Dies ist mein Land! Ich .«
Salvatore beobachtete entsetzt, wie der Mann seinem Vater vor die Füße schoß.
»Lauf!«
Giuseppe Martini rannte los.
Diecampieri schwangen sich in ihre Sättel und umkreisten den Flüchtenden, wobei sie laute Schreie ausstießen.
Salvatore hielt sich vor Angst zitternd verborgen und beobachtete das grausige Schauspiel.
Die Reiter verfolgten den übers Feld laufenden Mann, der ihnen zu entkommen versuchte. Immer wenn er fast die Straße erreicht hatte, galoppierte einer hinter ihm her und ritt ihn nieder. Schon nach kurzer Zeit war der Gejagte erschöpft und blutete aus mehreren Wunden. Er wurde merklich langsamer.
Dann hatten diecampieri genug. Einer von ihnen warf dem Mann eine Seilschlinge um den Hals und schleppte ihn hinter seinem Pferd her zum Ziehbrunnen. Dort schwangen die Männer sich aus den Sätteln und umringten ihn drohend.
»Was wollt ihr von mir?« keuchte Martini. »Was habe ich getan?«
»Du bist zu dencarabinieri gegangen. Das hättest du nicht tun sollen.«
Sie zogen ihm die Hose herunter, und einer der Männer ließ sein Messer aufschnappen, während die anderen ihr Opfer festhielten.
»Laß dir das als Warnung dienen!«
»Nein!« kreischte der Mann erschrocken. »Bitte nicht! Es tut mir leid, daß ich ...«
»Das kannst du deiner Frau erzählen«, unterbrach dercam-piero ihn grinsend.
Er griff nach unten, bekam das Glied des Mannes zu fassen und schnitt es ab.
Martinis Schreie erfüllten die Luft.
Der Anführer dercampieri zog ihm die blutgetränkte Hose hoch und füllte die Hosentaschen mit schweren Steinen, die er vom Erdboden auflas.
»Hinauf mit dir!« Sie hoben Martini auf den Brunnenrand. »Gute Reise!«
Und sie stießen ihn in den Brunnen.
»Von diesem Wasser trinkt so schnell niemand mehr«, sagte einer der Männer.
Ein anderer lachte. »Hier im Dorf merkt das keiner!«
Sie warteten noch einige Zeit, bis die schwächer werdenden Geräusche aus dem Brunnen verstummt waren, bestiegen dann ihre Pferde und ritten zum Hof zurück.
Salvatore Martini hatte diese schreckliche Szene vor Entsetzen sprachlos von seinem Versteck aus beobachtet. Sobald die
Männer davongeritten waren, rannte der Zehnjährige zum Brunnen.
Er blickte hinein und rief halblaut: »Papa .«
Aber der Brunnen war tief, und er hörte nichts.
Nachdem diecampieri Giuseppe Martini umgebracht hatten, machten sie sich auf die Suche nach seiner Frau Maria. Sie war in der Küche, als die Männer hereinstürmten.
»Wo ist mein Mann?« fragte sie scharf.
Der Anführer der Eindringlinge grinste. »Der trinkt gerade einen Schluck Wasser.«
Zwei Männer bedrängten sie. »Du bist zu hübsch, um mit einem so häßlichen Kerl verheiratet zu sein«, sagte einer von ihnen.
»Verlaßt sofort mein Haus!« forderte Maria sie auf.
»Geht man so mit Gästen um?« fragte der andere. Er griff in den Ausschnitt ihres Kleides und riß es mit einem kräftigen Ruck bis zur Taille auf. »Witwen müssen Trauer tragen - also brauchst du das hier nicht mehr.«
»Ihr Bestien!«
Auf dem Herd kochte Wasser. Maria griff nach dem Topf und schüttete dem Mann das Wasser ins Gesicht.
Er schrie vor Schmerzen auf.»Fica!« Er zog seinen Revolver und drückte ab.
Sie war tot, bevor sie auf dem Fußboden aufschlug.
»Idiot!« brüllte der Anführer dercampieri. »Erst vögelt man sie,dann erschießt man sie. Kommt, wir machen Don Vito Meldung.«
Eine halbe Stunde später waren sie wieder auf Don Vitos Landsitz.
»Wir haben Martini und seine Frau erledigt«, meldete der Anführer.
»Was ist mit dem Sohn?«
Der Mann starrte Don Vito überrascht an. »Von einem Sohn
haben Sie nichts gesagt.«
»Cretino! Ihr solltet die Familie aus dem Weg räumen.«
»Aber er ist noch ein Kind, Don Vito«, mischte sich einer der Männer ein.
»Kinder wachsen zu Männern heran, Männer wollen Rache nehmen. Legt ihn um!«
»Wie Sie befehlen, Don Vito.«
Zwei der Männer ritten zum Hof der Martinis zurück.
Salvatore dachte und handelte wie in Trance. Er hatte miterleben müssen, wie seine Eltern ermordet wurden. Nun war er auf der Welt allein und wußte nicht, wohin er gehen, an wen er sich wenden sollte. Doch dann fiel ihm ein Mensch ein, der ihm helfen würde: Nunzio Martini, der in Palermo lebende Bruder seines Vaters.
Der Junge wußte, daß er sich beeilen mußte. Don Vitos Männer würden zurückkommen, um ihn zu töten. Daß sie es nicht gleich getan hatten, grenzte an ein Wunder. Salvatore packte etwas Essen in seinen Rucksack, warf ihn sich über die Schulter und verließ hastig den elterlichen Hof.
Auf der unbefestigten Landstraße, die vom Dorf wegführte, schritt Salvatore rasch aus. Wann immer er hinter sich Hufschläge oder ein Knarren hörte, verließ er die Straße und suchte Schutz unter den Bäumen.
Nach etwa einer Stunde beobachtete der Junge zweicampieri, die auf der Suche nach ihm die Straße entlangritten. Salvato-re blieb unbeweglich in seinem Versteck und wagte sich erst heraus, als die beiden längst verschwunden waren. Dann marschierte er weiter. Er schlief nachts in Obstgärten und ernährte sich überwiegend von Obst. So war er drei Tage lang unterwegs.
Als er glaubte, vor Don Vito sicher zu sein, wagte er sich in ein kleines Dorf. Eine Stunde später saß er hinten auf einem Fuhrwerk, das nach Palermo unterwegs war.
Es war schon nach Mitternacht, als Salvatore das Haus seines Onkels erreichte. Nunzio Martini besaß ein großes, vornehmes Haus mit Balkon, Terrassen und schattigem Innenhof. Salvato-re hämmerte mit beiden Fäusten an die massive Holztür. Er mußte lange warten, bis eine tiefe Stimme brummte: »Wer, zum Teufel, ist dort draußen?«
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