Am Todestag ihres Vaters sagte Lara zu Keller: »Howard, ich möchte, daß du mir einen Gefallen tust.«
»Jeden.«
»Ich möchte, daß du für mich nach Schottland reist.«
»Bauen wir jetzt auch dort?«
»Nein, wir kaufen dort ein Schloß.«
Keller zog wortlos die Augenbrauen hoch.
»Im Hochland liegt ein bekannter See, der Loch Morlich. Du findest ihn an der Straße nach Glenmore. Dort stehen überall Schlösser. Kauf mir eines davon.«
»Als eine Art Sommersitz?«
»Ich habe nicht vor, es zu bewohnen. Ich möchte meinen Vater im Schloßpark beisetzen lassen.«
Keller fragte langsam: »Ich soll dir ein Schloß in Schottland kaufen, damit du deinen Vater dort beerdigen kannst?«
»Richtig. Mir fehlt die Zeit, um selbst hinzufliegen. Du bist der einzige, der das für mich erledigen kann. Mein Vater liegt auf dem Friedhof in Glace Bay.«
Für Keller schien das der erste Einblick in Laras Gefühle und Empfindungen für ihre Familie zu sein.
»Du mußt deinen Vater sehr geliebt haben.«
»Tust du das für mich?«
»Gewiß.«
»Und nachdem er beigesetzt ist, sorgst du dafür, daß der Schloßverwalter die Grabpflege übernimmt.«
Drei Wochen später kam Keller aus Schottland zurück. »Alles erledigt, Lara«, berichtete er. »Du besitzt ein wundervolles Schloß. Dein Vater ist im Schloßpark beigesetzt. Das Schloß liegt auf einem Hügel mit herrlichem Seeblick. Es gefällt dir bestimmt! Wann fliegst du hin?«
Lara sah überrascht auf. »Ich? Gar nicht«, sagte sie.
Anfang 1984 beschloß Lara Cameron, daß es an der Zeit war, New York zu erobern. Keller war entsetzt, als sie ihm von ihrem Plan erzählte.
»Die Idee gefällt mir nicht«, sagte er nachdrücklich. »Du kennst New York nicht. Ich kenne es auch nicht. New York ist völlig anders!«
»Das haben auch alle gesagt, als ich aus Glace Bay nach Chicago gekommen bin«, stellte Lara fest. »Aber ob man in Glace Bay, Chicago, New York oder Tokio baut, bleibt sich letztlich gleich. Überall gelten dieselben Spielregeln.«
»Aber du bist hier so erfolgreich!« protestierte Keller. »Was willst du noch?«
»Das habe ich dir schon einmal gesagt.Mehr. Ich will meinen Namen an der New Yorker Skyline sehen. Ich baue dort ein Cameron Plaza und ein Cameron Center. Und eines Tages, Howard, baue ich den höchsten Wolkenkratzer der Welt.Das will ich. Der Firmensitz von Cameron Enterprises wird sofort nach New York City verlegt.«
In New York, das einen Bauboom erlebte, tummelten sich illustre Baulöwen: die Zeckendorfs, Harry Helmsley, Donald Trump und die Familien Uris und Rudin.
»Das ist unser zukünftiger Club«, sagte Lara zu Keller.
Die beiden quartierten sich im Regency ein und begannen, New York zu erkunden. Die Größe und Dynamik dieser Metropole begeisterte Lara. Manhattan bestand zum größten Teil aus Wolkenkratzerschluchten, durch die Tag und Nacht gewaltige Verkehrsströme flossen.
»Im Vergleich dazu sieht Chicago wie Glace Bay aus!« sagte Lara. Sie konnte es kaum noch erwarten, endlich loszulegen.»
Als erstes brauchen wir ein Spitzenteam. Wir müssen den besten Immobilienanwalt New Yorks finden. Dann ein erstklassiges Managerteam. Krieg raus, mit welchen Leuten Rudin arbeitet, und sieh zu, ob du sie wegengagieren kannst.«
»Wird gemacht.«
»Hier ist eine Liste von Gebäuden, die mir gefallen«, fuhr Lara fort, »Stell' bitte fest, wer ihre Architekten gewesen sind. Ich möchte sie kennenlernen.«
Keller ließ sich allmählich von Laras Begeisterung anstekken. »Ich verhandle mit Großbanken, damit sie uns Kreditlinien einräumen. Mit den Sicherheiten, die wir in Chicago zu bieten haben, ist das kein Problem. Und ich nehme Verbindungen zu Versicherungsgesellschaften, Hypothekenbanken und einigen Immobilienmaklern auf.«
»Einverstanden.«
»Aber findest du nicht auch, Lara, daß du wissen müßtest, was dein nächstes Projekt werden soll, bevor wir uns in dieses Abenteuer stürzen?«
Lara blickte auf und fragte unschuldig: »Habe ich dir das nicht erzählt? Wir kaufen das Manhattan Central Hospital.«
Einige Tage zuvor war Lara bei einem Friseur auf der Madison Avenue gewesen. Während die Friseuse mit ihrem Haar beschäftigt war, bekam sie zufällig ein Gespräch mit, das neben ihr geführt wurde.
»Sie werden uns fehlen, Mrs. Walker.«
»Sie mir auch, Darlene. Wie lange bin ich jetzt schon bei Ihnen?«
»Fast fünfzehn Jahre.«
»Wie schnell die Zeit vergeht! Ach, der Abschied von New York fällt mir wirklich schwer!«
»Wann hören Sie denn auf?«
»Wahrscheinlich schon nächste Woche. Die offizielle Mitteilung, daß zugemacht wird, ist erst heute morgen gekommen. Stellen Sie sich das mal vor! Das Manhattan Central Hospital wird wegen Geldmangels geschlossen. Ich bin dort fast zwanzig Jahre Oberschwester gewesen - und dann schicken sie mir diesen Wisch als Kündigung. Das hätten sie einem doch auch persönlich sagen können, nicht wahr? Das ist wieder typisch für unsere herzlose Zeit!«
Lara hörte gespannt zu.
»In der Zeitung hat aber noch nichts über die Schließung gestanden.«
»Nein, die Nachricht wird noch geheimgehalten. Erst soll das Personal informiert werden.«
Die Friseuse wollte anfangen, ihr Haar zu fönen, als Lara ruckartig aufstand.
»Ich bin noch nicht fertig, Miss Cameron.«
»Macht nichts«, sagte Lara. »Ich hab's eilig!«
Das Manhattan Central Hospital war ein häßlicher, ziemlich heruntergekommener Bau, der auf der Hast Side einen ganzen Straßenblock einnahm. Lara Cameron starrte das Gebäude an. Vor ihrem inneren Auge erhob sich dort ein glitzernder neuer Wolkenkratzer mit schicken Geschäften im Erdgeschoß, mehreren Büroetagen und luxuriösen Eigentumswohnungen in den oberen Stockwerken.
Lara betrat das Krankenhaus und fragte in der Verwaltung, welcher Firma es gehörte. Sie wurde an einen Roger Burnham in der Wall Street verwiesen.
»Was kann ich für Sie tun, Miss Cameron?«
»Wie ich höre, ist das Manhattan Central Hospital zu verkaufen.«
Burnham starrte sie überrascht an. »Wo haben Sie das gehört?«
»Stimmt es denn?«
»Schon möglich«, antwortete er ausweichend.
»Ich wäre unter Umständen daran interessiert, es zu kaufen«, sagte Lara. »Was verlangen Sie dafür?«
»Hören Sie, Lady ... ich kenne Sie doch überhaupt nicht! Sie können doch nicht einfach hier reinschneien und erwarten, daß ich mit Ihnen über ein Neunzigmillionengeschäft rede. Ich ...«
»Neunzig Millionen?« Lara fand den Preis etwas hoch, aber sie wollte das Grundstück unbedingt haben. »Ist das die Verhandlungsbasis?«
»Wir verhandeln noch keineswegs.«
Lara drückte dem verblüfften Roger Burnham einen Hundertdollarschein in die Hand.
»Was soll das?«
»Mit dieser Anzahlung sichere ich mir für achtundvierzig Stunden das Vorkaufsrecht. Achtundvierzig Stunden reichen mir aus. Sie wollten den geplanten Verkauf doch ohnehin noch nicht bekanntgeben. Was haben Sie also zu verlieren? Zahle ich den von Ihnen geforderten Preis, haben Sie, was Sie ursprünglich wollten.«
»Aber ich kenne Sie doch gar nicht!«
»Rufen Sie die Mercantile Bank in Chicago an. Lassen Sie sich mit Bob Vance verbinden. Er ist der Präsident.«
Burnham starrte sie sekundenlang an, schüttelte den Kopf und murmelte etwas, das wie »Verrückt!« klang.
Lara wartete geduldig, während seine Sekretärin versuchte, Bob Vance an den Apparat zu bekommen.
»Mr. Vance? Hier ist Roger Burnham in New York. Bei mir im Büro sitzt eine Miss ...« Er sah zu ihr hinüber.
»Lara Cameron.«
»... eine Miss Cameron. Sie interessiert sich für eines unserer Objekte und sagt, daß Sie sie kennen.«
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