Lara hatte gar keine Zeit, sich einsam zu fühlen. Sie verbrachte jeden Tag mit ihrer Familie: mit Architekten und Statikern, mit Maurern, Zimmerleuten, Elektrikern und Installateuren. Die Gebäude, die sie gerade baute, nahmen ihre gesamte Zeit in Anspruch. Chicago war ihre Bühne, und sie war der Star.
Der berufliche Erfolg übertraf ihre kühnsten Träume, aber sie kannte kein Privatleben. Ihr traumatisches Erlebnis mit Sean MacAllister ließ Lara vor sexuellen Beziehungen zurückschrecken, und keine neue Eroberung interessierte sie länger als ein, zwei Abende. Im Hinterkopf hatte sie eine unbestimmte Vorstellung von einem Mann, den sie einmal kennengelernt hatte und gern wiedersehen würde. Aber sein Bild blieb immer undeutlich, auch wenn es ihr manchmal für Bruchteile von Sekunden vor Augen stand.
An Verehrern herrschte kein Mangel. Sie reichten von Geschäftsleuten über Ölindustrielle bis hin zu Dichtern. Sogar ein paar ihrer eigenen Angestellten waren darunter. Lara war zu allen gleichmäßig freundlich, aber sie ließ sich nie auf mehr als einen Händedruck zum Abschied vor ihrer Wohnungstür ein.
Dann fühlte Lara sich jedoch zu Pete Ryan, dem Bauleiter eines ihrer Projekte, hingezogen. Ryan war ein gutaussehender junger Ire, dessen weißen Zähne blitzten, wenn er lächelte, und Lara merkte, daß sie immer öfter zu seiner Baustelle hinausfuhr. Ihr Thema war immer der Baufortschritt, aber insgeheim wußten beide, daß sie über andere Dinge sprachen.
»Gehen Sie heute abend mit mir essen?« fragte Ryan eines Tages. Er sprach das Wort »essen« bedeutungsvoll gedehnt aus.
Lara spürte, wie ihr Herz rascher schlug. »Ja, gern.«
Ryan holte Lara in ihrem Apartment ab, aber sie kamen nie dazu, ins Restaurant zu gehen. »Mein Gott, bist du hübsch!« sagte er. Und seine starken Arme umfaßten sie.
Sie war bereit für ihn. Ihr Vorspiel hatte sich monatelang hingezogen. Ryan hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer, wo sie sich gegenseitig die Sachen vom Leib rissen. Ryan war athletisch gebaut, und Lara verglich seinen Körper für Augenblicke unwillkürlich mit Sean MacAllisters schwammiger Fettleibigkeit. Dann lag sie auf dem Bett, und Ryan war über ihr, und seine Zunge, seine Hände schienen überall gleichzeitig zu sein, und sie schrie vor Lust und Freude laut auf.
Später hielten sie einander erschöpft in den Armen. »Mein Gott«, sagte Ryan, »du bist ein wahres Wunder!«
»Du aber auch«, flüsterte Lara.
Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal so glücklich gewesen zu sein. Ryan war alles, was sie sich erträumt hatte. Er war intelligent und herzlich, sie verstanden einander, sie sprachen dieselbe Sprache.
Ryan drückte ihre Hand. »Ich bin hungrig wie ein Wolf.«
»Ich auch«, sagte Lara. »Ich mache uns ein paar Sandwiches.«
»Morgen abend«, versprach Ryan ihr, »lade ich dich richtig zum Essen ein.«
Lara drückte ihn an sich. »Abgemacht!«
Am nächsten Morgen fuhr Lara auf die Baustelle, um Ryan zu sehen. Sie konnte ihn hoch oben auf einem der Stahlträger sehen, wo er seinen Leuten Anweisungen gab. Als Lara zum Aufzugkorb ging, grinste einer der Arbeiter sie an. »Morgen, Miss Cameron.« In seiner Stimme klang ein seltsamer Unterton.
Auch der nächste Bauarbeiter grinste, als sie vorüberging. »Morgen, Miss Cameron.«
Zwei weitere Arbeiter schmunzelten sie an. »Morgen, Boss.«
Lara sah sich um. Auch die anderen Männer in ihrer Nähe starrten zu ihr herüber. Lara wurde rot. Sie bestieg den Aufzug und fuhr in das Stockwerk hinauf, in dem Ryan stand. Er sah Lara aus dem Aufzugkorb treten und lächelte ihr zu.
»Guten Morgen, mein Schatz«, begrüßte er sie. »Wann gehen wir heute abend essen?«
»Überhaupt nicht!« sagte Lara aufgebracht. »Sie sind entlassen!«
Jedes Gebäude, das Lara Cameron errichtete, war eine Herausforderung. Sie baute kleine Bürogebäude, Verwaltungspaläste, Ladenpassagen und Luxushotels. Aber unabhängig davon, um welche Art Gebäude es sich handelte, achtete sie vor allem darauf, daß es in guter Lage stand.
Bill Rogers hatte recht gehabt.Lage, Lage, Lage.
Laras Imperium wuchs stetig. Das bewirkte, daß die Stadtväter, die Medien und die Öffentlichkeit sich für sie zu interessieren begannen. Lara war eine Schönheit, und wenn sie auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, in der Oper oder auf Vernissa-gen erschien, war sie ständig von Fotografen umlagert. Alle ihre Projekte waren erfolgreich - und trotzdem war sie nicht zufrieden. Man hätte glauben können, sie warte darauf, von einer noch unbekannten Magie angerührt und verwandelt zu werden.
Keller stand vor einem Rätsel. »Was willst du eigentlich, Lara?«
»Mehr.«
Das war alles, was ihr zu entlocken war.
Eines Tages stellte Lara Keller die Frage: »Howard, weißt du, wieviel wir jeden Monat für Hausmeister, Wäschereiservice und Fensterputzer zahlen?«
»Das sind unvermeidliche Betriebskosten«, sagte Keller.
»Die sich aber bestimmt senken lassen.«
»Wie willst du das anstellen?«
»Wir gründen eine Tochtergesellschaft, die solche Dienstleistungen für uns und andere Hausverwaltungen erbringt.«
Laras Idee war von Anfang an erfolgreich. Die Gewinne waren sehr ansehnlich.
Keller hatte den Eindruck, daß Lara einen Schutzwall um sich errichtet hatte. Obwohl er ihr näher als jeder andere stand, erzählte sie ihm nie von ihrer Familie oder ihrem Werdegang. Man hätte glauben können, sie sei eines Tages als Millionärin aus dem Nichts aufgetaucht. Anfangs hatte Keller Lara angeleitet, ihr Ratschläge gegeben - aber jetzt traf sie alle Entscheidungen selbst. Die Schülerin war dem Meister über den Kopf gewachsen.
Lara Cameron setzte sich überall durch. Sie war ein Energiebündel, durch nichts zu bremsen. Und sie war eine Perfektioni-stin. Sie wußte, was sie wollte, und ließ nicht locker, bis sie es hatte.
Anfangs bildeten manche Bauarbeiter sich ein, Lara nicht für voll nehmen zu müssen. Sie hatten noch nie für eine Frau gearbeitet und fanden diese Vorstellung belustigend. Als Lara einen Polier dabei erwischte, daß er Arbeitsstunden aufschrieb, die nicht geleistet worden waren, feuerte sie ihn vor versammelter Mannschaft. Sie war jeden Morgen vor sechs Uhr auf der Baustelle, damit die Männer den Boss sahen, wenn sie zur Arbeit kamen.
An den rauhen Umgangston am Bau gewöhnte Lara sich -aber es gab auch körperliche Belästigungen. Gelegentlich streifte der Arm eines Arbeiters im Vorbeigehen »versehentlich« ihren Busen oder ihr Gesäß.
»Oh, Entschuldigung!«
»Kein Problem«, sagte Lara kühl. »Holen Sie sich Ihre Papiere und verschwinden Sie.«
Nach einiger Zeit verwandelte die Belustigung der Männer sich in ehrlichen Respekt.
Als Lara eines Tages mit Howard Keller die Kedzie Avenue entlangfuhr, kamen sie an einer Häuserzeile vorbei, die nur aus kleinen Läden bestand. Lara bremste scharf.
»Das ist reine Geldverschwendung«, sagte Lara. »Hier sollte ein viel höherer Gebäudekomplex stehen. Diese kleinen Läden können nicht viel Rendite bringen.«
»Richtig, aber das Problem dabei ist, daß du alle Mieter zum Ausziehen bewegen mußt«, antwortete Keller. »Und manche wollen vielleicht nicht.«
»Wir können sie rauskaufen«, meinte Lara.
»Lara, wenn sich auch nur ein Mieter querlegt, verlierst du 'ne Menge Geld«, wandte Keller ein. »Dann hast du lauter kleine Läden gekauft, die du nicht willst, und kannst trotzdem nicht bauen. Und sobald diese Leute mitkriegen, daß hier ein Hochhaus entstehen soll, weigern sie sich erst recht, um mehr Geld rauszuschinden.«
»Aber wir verraten ihnen nicht, was wir vorhaben«, sagte Lara energisch. »Wir schicken verschiedene Leute los, die mit den Ladenbesitzern verhandeln.«
»So was mache ich nicht zum ersten Mal mit«, sagte Keller warnend. »Falls dein Vorhaben bekannt wird, werden sämtliche Mieter versuchen, dich zu schröpfen.«
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