Lara Cameron nahm ihre Streifzüge durch die Stadt wieder auf- aber diesmal hielt sie Ausschau nach etwas anderem. In der Delaware Street, nur wenige Straßen vom Michigan Boulevard entfernt, kam sie an einem ziemlich heruntergekommenen Hotel aus der Vorkriegszeit vorbei.Cong essi nal Hotel verkündete eine defekte Leuchtschrift über dem Eingang. Lara war schon fast daran vorbei, als sie stehenblieb, um sich den alten Bau genauer anzusehen.
Die achtgeschossige Klinkerfassade war so schmutzig, daß ihre ursprüngliche Farbe sich kaum noch feststellen ließ. Lara überquerte die Straße und betrat die Hotelhalle. Drinnen sah es noch schlimmer aus. Ein junger Mann in Jeans und einem zerrissenen Pullover - offenbar ein Hotelangestellter - stieß einen Betrunkenen auf die Straße. Die Rezeption erinnerte an einen altmodischen Fahrkartenschalter. Aus der Halle führte eine Treppe zu den ehemaligen Gesellschaftsräumen hinauf, die jetzt als Büros vermietet waren. Im Hochparterre hatte sich ein Reisebüro, eine Vorverkaufsstelle für Konzert- und Theaterkarten und eine Stellenvermittlung eingemietet.
Der Hotelangestellte kam an die Rezeption zurück. »Woll'n Sie 'n Zimmer?«
»Danke. Mich interessiert, wem . « Lara wurde von einer aufreizend geschminkten jungen Frau in einem Lederminirock unterbrochen. »Gib mir 'nen Schlüssel, Mike.« Neben ihr stand ein älterer Herr.
Der Angestellte gab ihr einen Schlüssel.
Lara beobachtete, wie die beiden zum Aufzug gingen.
»Was kann ich für Sie tun?« fragte der junge Mann.
»Ich interessiere mich für dieses Hotel«, sagte Lara. »Ist es zu verkaufen?«
»An sich ist alles zu verkaufen, schätze ich. Ist Ihr Vater in der Immobilienbranche?«
»Nein«, antwortete Lara. »Ich bin selbst in der Branche.«
Er musterte sie erstaunt. »Oh. Na ja, dann müßten Sie mal mit einem der Brüder Diamond reden. Denen gehört 'ne ganze Reihe solcher Bruchbuden.«
»Und wo finde ich die Herren?« fragte Lara.
Der Angestellte nannte ihr eine Adresse in der State Street.
»Stört es Sie, wenn ich mich mal umsehe?«
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Bitte sehr.« Er grinste. »Vielleicht sind Sie schon bald mein Boss.«
Nur über meine Leiche, dachte sie.
Lara machte einen Rundgang durch die Hotelhalle. Der Eingang wurde von schönen alten Marmorsäulen flankiert. Als sie, einer Eingebung folgend, eine Ecke des schmutzigen, abgetre-tenen Teppichbodens anhob, kam darunter ein glanzloser Marmorfußboden zum Vorschein. Sie ging ins Hochparterre hinauf. Die senfgelbe Tapete war an vielen Stellen abgeblättert. Lara zog einen Streifen ab und entdeckte auch darunter Marmor. Allmählich wurde die Sache aufregend!
Das Treppengeländer war mattschwarz gestrichen. Lara überzeugte sich davon, daß der junge Mann nicht hersah, nahm einen Schlüssel aus ihrer Handtasche und kratzte damit etwas Farbe ab. Darunter fand sie, was sie gehofft hatte, ein massives Messinggeländer. Auch die altmodischen Aufzüge waren schwarz gestrichen. Lara kratzte daran und legte wieder blankes Messing frei.
Lara hatte Mühe, ihre Aufregung zu verbergen, als sie erneut an die Rezeption trat. »Könnte ich mir eines der Zimmer ansehen?«
Der Angestellte zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen.« Er gab ihr einen Schlüssel. »Vier-eins-null.«
»Danke.«
Der altmodische Aufzug rumpelte nach oben. Äußerlich muß er so bleiben, dachte Lara. Aber die Technik muß erneuert werden.
In Gedanken war sie schon dabei, das gesamte Hotel zu renovieren.
Zimmer 410 war eine Katastrophe, aber sein Potential war augenfällig. Ein überraschend großer Raum mit veraltetem Bad und geschmackloser Einrichtung. Laras Herz begann rascher zu schlagen. Nahezu ideal! sagte sie sich.
Sie ging zu Fuß die Treppe hinunter. Das Treppenhaus war verwahrlost und roch nach Moder. Die Teppiche waren abgetreten, aber darunter entdeckte sie wieder Marmor.
Lara brachte den Schlüssel zurück.
»Na, haben Sie genug gesehen?« fragte der Angestellte.
»Ja«, antwortete sie. »Besten Dank.«
Er musterte sie grinsend. »Und Sie wollen diese Bruchbude
wirklich kaufen?«
»Ja«, bestätigte Lara. »Ich will diese Bruchbude wirklich kaufen.«
»Cool«, sagte er.
In diesem Moment öffnete sich die Aufzugstür, und die junge Nutte betrat mit ihrem Freier die Hotelhalle. Sie drückte dem jungen Mann an der Rezeption den Schlüssel und ein paar Scheine in die Hand. »Danke, Mike.«
»Schönen Tag noch!« rief Mike ihr nach. Er wandte sich erneut an Lara. »Sie kommen also zurück?«
»O ja«, versicherte sie, »ich komme zurück!«
Als nächstes fuhr Lara Cameron zum Stadtarchiv, um im Grundbuch die Unterlagen über das Objekt einzusehen, für das sie sich interessierte. Gegen eine Gebühr von zehn Dollar händigte man ihr die Akte über das Congressional Hotel aus. Es war vor fünfeinhalb Jahren an die Brüder Diamond verkauft worden - für sechs Millionen Dollar.
Die Brüder Diamond hatten ihr Büro in einem alten Gebäude an der Ecke von State Street und Lake Street. Eine orientalisch aussehende hübsche Sekretärin in einem roten Minirock begrüßte Lara, als sie eintrat.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich möchte Mr. Diamond sprechen.«
»Welchen?«
»Einen von beiden.«
»Dann geb' ich Ihnen John.«
Sie nahm den Telefonhörer ab und sprach hinein. »Hier ist 'ne Dame, die dich sprechen will, John.« Nachdem sie kurz zugehört hatte, sah sie zu Lara auf. »Worum geht's denn?«
»Ich möchte eines seiner Hotels kaufen.«
Die Sekretärin sprach wieder in den Hörer. »Sie sagt, daß sie eines deiner Hotels kaufen will ... Okay.« Sie legte auf. »Sie
können gleich reingehen.«
John Diamond war ein bärtiger Riese Anfang vierzig mit dem eingedrückten Gesicht eines Mannes, der viel Football gespielt hat. Er trug ein kurzärmeliges Hemd und rauchte eine dicke Zigarre. Er sah auf, als Lara sein Büro betrat.
»Meine Sekretärin sagt, daß Sie eines meiner Hotels kaufen wollen.« Er musterte sie prüfend. »Sind Sie schon alt genug, um wählen zu dürfen?«
»Darum machen Sie sich keine Sorgen«, gab Lara zurück. »Und ich bin alt genug, um eines Ihrer Hotels zu kaufen.«
»Yeah? Welches denn?«
»DasCong essi nal Hotel.«
»Das was?«
»So steht's über dem Eingang. Vermutlich soll es >Congres-sional< heißen.«
»Oh. Yeah.«
»Ist es zu verkaufen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ach, ich weiß nicht recht. Gerade mit diesem Hotel verdienen wir 'ne Menge Geld. Vielleicht sollten wir uns lieber nicht davon trennen.«
»Sie sollten sich aber davon trennen«, sagte Lara.
»Ha?«
»Es ist schrecklich baufällig. Regelrecht einsturzgefährdet, wenn Sie mich fragen.«
»Yeah? Was zum Teufel wollen Sie denn damit?«
»Ich möchte es kaufen und renovieren. Natürlich müßte es mir leer übergeben werden.«
»Das wäre kein Problem. Für unsere Mieter gilt eine wöchentliche Kündigungsfrist.«
»Wie viele Zimmer hat das Hotel?«
»Hundertfünfundzwanzig. Die Gesamtfläche beträgt ungefähr neuntausend Quadratmeter.«
Zu viele Zimmer, dachte Lara. Aber wenn ich sie zu Suiten zusammenlege, kämen sechzig bis fünfundsiebzig Einheiten
heraus. Das könnte hinkommen.
Nun wurde es Zeit, über den Preis zu sprechen.
»Nehmen wir mal an, ich wäre bereit, das Gebäude zu kaufen - wieviel würden Sie dafür wollen?«
»Falls ich bereit wäre, es zu verkaufen«, antwortete Diamond, »würde ich zehn Millionen Dollar wollen - davon sechs Millionen als Anzahlung in bar.«
Lara schüttelte den Kopf. »Ich biete Ihnen .«
»Mein Preis steht fest. Zehn Millionen!«
Lara saß da und berechnete überschlägig, was die Renovierung kosten würde. Zwischen neunhundert und eintausend Dollar pro Quadratmeter, acht bis neun Millionen Dollar, dazu die völlig neue Einrichtung .
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