»Was habt ihr davon, wenn ihr .«
»Warten Sie's nur ab!«
Wenig später standen Lara und ein halbes Dutzend Männer auf der Baustelle und begutachteten sie.
»Wasser und Sanitärinstallation fehlen noch«, stellte einer der Männer fest.
»Strom und Heizung auch.«
Sie standen im eisigen Dezemberwind fröstelnd da und besprachen, was alles noch getan werden mußte.
Einer der Männer wandte sich an Lara. »Ihr Bankier ist ein trickreicher Bursche. Das Gebäude ist weitgehend fertig, damit nicht viel zu tun bleibt, wenn es an ihn zurückfällt.« Er wandte sich an die anderen. »Ich behaupte, daß es in zweieinhalb Wochen bezugsfertig sein kann.«
Alle stimmten zu.
Lara schüttelte den Kopf. »Nein, das habt ihr nicht richtig verstanden! Die Bauarbeiter lassen mich im Stich.«
»Paß auf, Mädchen, in deinem Fremdenheim wohnen Klempner, Zimmerer und Elektriker - und wir haben in der ganzen Stadt Freunde, die für den Rest zuständig sind.«
»Ich kann euch nicht bezahlen«, sagte Lara. »Mr. MacAlli-ster weigert sich, mir .«
»Das wird unser Weihnachtsgeschenk für dich.«
Die Sache entwickelte sich lawinenartig. Ganz Glace Bay wußte, worum es ging, und Facharbeiter kamen von anderen Baustellen herüber, um sich Laras Gebäude anzusehen. Die einen kamen, weil sie Lara Cameron gern hatten, und die anderen, weil sie Sean MacAllister haßten.
»Dem Dreckskerl werden wir's zeigen!« sagten sie.
Sie kamen nach Feierabend vorbei, um mitzuhelfen, und arbeiteten bis nach Mitternacht, und auch samstags und sonntags. Die Arbeit gegen die Uhr glich bald einem Wettkampf, an dem sich Dutzende von Facharbeitern beteiligten. Als Sean MacAllister erfuhr, bei Lara werde weitergebaut, hastete er zur Baustelle hinaus.
Dort blieb er verblüfft stehen. »Was geht hier vor?« erkundigte er sich. »Das sind nicht meine Arbeiter!«
»Das sind meine«, sagte Lara trotzig. »Der Vertrag verbietet mir nicht, eigene Leute einzusetzen.«
»Nun, ich . « MacAllister brachte den Satz nicht zu Ende.
»Ich kann bloß hoffen, daß das Gebäude den Anforderungen des Mieters entspricht.« »Darauf können Sie Gift nehmen«, sagte Lara. Am Tag vor Silvester war das Gebäude fertiggestellt. Es ragte solide und standfest in den Himmel auf - der schönste Bau, fand Lara, den sie jemals gesehen hatte. Sie stand benommen davor.
»Nun gehört alles dir«, sagte einer der Bauarbeiter. »Und jetzt wird gefeiert, Mädchen.«
An diesem Abend schien ganz Glace Bay Lara Camerons erstes Gebäude zu feiern. Das war der Anfang.
Danach war Lara Cameron nicht mehr zu bremsen. Sie sprudelte geradezu von Ideen über.
»Ihre neuen Angestellten müssen irgendwo in Glace Bay wohnen«, erklärte sie Charles Cohn. »Ich möchte Häuser für sie bauen. Sind Sie daran interessiert?« Er nickte. »Sogar sehr interessiert.«
Lara ging zu einer Bank in Sydney und nahm einen weiteren Kredit zur Finanzierung ihres neuen Projekts auf.
Als die Häuser vermietet waren, sagte Lara zu Cohn: »Wissen Sie, was diese Stadt noch braucht? Bungalows für Sommerurlauber. Ich weiß eine wunderschöne kleine Bucht, an der ich eine Feriensiedlung bauen könnte ...«
Charles Cohn wurde Laras inoffizieller Finanzberater, und in den folgenden drei Jahren baute Lara Cameron ein Bürogebäude, ein Dutzend Strandbungalows und eine Ladenpassage. Banken in Sydney und Halifax waren gern bereit, ihr Kredite zu gewähren.
Als Lara zwei Jahre später ihren Immobilienbesitz verkaufte, hielt sie schließlich einen bestätigten Scheck über drei Millio-nen Dollar in der Hand. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt.
Am nächsten Tag verließ sie Glace Bay für immer und reiste nach Chicago.
Chicago war eine Offenbarung. Halifax, die größte Stadt, die Lara jemals gesehen hatte, war ein Dorf gegen dieses Zentrum des Mittleren Westens. Chicago war laut und lärmend, lebhaft und hektisch, und alle schienen dauernd zu irgendwelchen wichtigen Terminen unterwegs zu sein.
Lara nahm sich eine Suite im Hotel Palmer House am Michigan Boulevard. Ein Blick auf die eleganten Frauen in der Halle machte ihr klar, daß ihre eigene Garderobe bestenfalls für Glace Bay geeignet war. Also begab Lara sich am nächsten Morgen auf einen Einkaufsbummel. Sie kaufte Modellkleider bei Ultimo und Kane's, Schuhe bei Joseph's, Unterwäsche bei Marshall Field und Saks Fifth Avenue, Schmuck bei Trabert und Hoeffer, einen Nerzmantel bei Ware . Und bei jedem Einkauf hörte sie die Stimme ihres Vaters:Für so was hab' ich kein Geld. Hol dir was von der Heilsarmee.
Als ihr Kaufrausch vorüber war, hingen die Kleiderschränke ihrer Hotelsuite voll schöner Sachen.
Als nächstes schlug Lara im Telefonbuch die Immobilienmakler nach. Sie entschied sich für die Firma mit der größten Anzeige, Parker und Partners, wählte die Nummer und verlangte Mr. Parker.
»Darf ich um Ihren Namen bitten?«
»Lara Cameron.«
Sekunden später meldete sich eine Stimme. »Bruce Parker. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin auf der Suche nach einem Grundstück für ein schönes neues Hotel«, sagte Lara.
Die Stimme am anderen Ende klang gleich freundlicher. »Auf diesem Gebiet kennen wir uns aus, Mrs. Cameron.«
»Miss Cameron.«
»Ganz recht. Haben Sie an eine bestimmte Gegend gedacht?«
»Nein. Ehrlich gesagt kenne ich mich in Chicago nicht sonderlich gut aus.«
»Das macht nichts, Miss Cameron. Ich bin sicher, daß wir Ihnen ein paar sehr interessante Objekte präsentieren können. Darf ich fragen - nur zur Information, versteht sich -, über wieviel Eigenkapital Sie verfügen?«
»Drei Millionen Dollar«, antwortete Lara stolz.
Am anderen Ende entstand eine längere Pause. »Drei Millionen Dollar?«
»Ja.«
»Und Sie möchten ein schönes neues Hotel bauen?«
»Ja.«
Erneute Pause.
»Denken Sie an Bau oder Kauf eines Objekts irgendwo in der Innenstadt, Miss Cameron?«
»Natürlich nicht«, sagte Lara. »Ich denke an genau das Gegenteil! Ich möchte in einer guten Gegend ein exklusives Hotel mit individueller Atmosphäre bauen, das .«
»Mit drei Millionen Dollar?« unterbrach Bruce Parker sie. »Tut mir leid, aber dabei werden wir Ihnen nicht helfen können.«
»Danke«, sagte Lara. Sie legte auf. Offenbar hatte sie den falschen Makler angerufen.
Sie blätterte erneut im Branchenverzeichnis und führte ein halbes Dutzend weiterer Telefongespräche. Eine Stunde später mußte Lara sich eingestehen, daß kein Makler daran interessiert war, ihr ein erstklassiges Grundstück zu vermitteln, auf dem sie mit nur drei Millionen Dollar Kapital ein Hotel bauen konnte. Statt dessen hatten sie verschiedene Vorschläge gemacht, die alle aufs selbe hinausliefen: ein billiges Hotel in der
Innenstadt.
Niemals! nahm Lara sich vor. Eher gehe ich nach Glace Bay zurück!
Sie träumte seit Monaten von diesem Hotel. In ihrer Vorstellung existierte es bereits - elegant, luxuriös, ein wahres Zuhause in der Fremde. Es würde hauptsächlich aus Suiten bestehen, zu denen jeweils ein Kaminzimmer mit Bücherwänden, bequemen Sofas und sogar einem Flügel gehörte. Die beiden großen Schlafzimmer jeder Suite würden auf einen gemeinsamen Balkon hinausführen. Lara wußte genau, was sie wollte. Die Frage war nur, wie sie es bekommen würde.
Sie betrat einen Print Shop in der Lake Street. »Ich möchte hundert Visitenkarten drucken lassen.«
»Gern. Und mit welchem Text?«
»Nur zwei Zeilen in der Mitte.Lara Cameron und darunterImmobilien und Baubetreuung.«
»Gut, Miss Cameron. Ihre Karten sind übermorgen fertig.«
»Nein. Ich brauche sie heute nachmittag.«
Als nächstes machte sie sich daran, Chicago besser kennenzulernen. Lara wanderte die State Street, den Michigan Boulevard und die La Salle Street auf und ab, spazierte den Lakeshore Drive entlang und durchquerte den Lincoln Park mit seinem Zoo, dem Golfplatz und dem künstlichen See. Sie betrat mehrere Buchläden, um sich Bücher über Chicago zu kaufen, in denen sie las, welche Berühmtheiten hier gelebt hatten: Carl Sandburg, Theodore Dreiser, Frank Lloyd Wright, Louis Sullivan, Saul Bellow ... Und sie besuchte die Southside, wo sie sich wegen der vielen verschiedenen Menschen, die dort lebten - Schweden, Polen, Iren, Litauer -, sofort wie zu Hause fühlte. Die bunte Vielfalt erinnerte sie an Glace Bay.
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