»Entschuldigen Sie«, warf Chris dazwischen. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie einen Menschen komprimieren?«
»Nein, wir komprimieren die Information, die einem Menschen entspricht.«
»Und wie geht das?«
»Mit Kompressionsalgorithmen — einer Methode, Daten in einem Computer so zu verdichten, daß sie weniger Platz wegnehmen. Wie JPEG oder MPEG für Bilddaten. Sind Sie vertraut damit?« »Ich habe Software, die so was verwendet, das ist alles.« »Okay«, sagte Gordon. »Alle Komprimierungsprogramme funktionieren nach der gleichen Methode. Sie suchen nach Ähnlichkeiten in den Daten. Angenommen, Sie haben das Bild einer Rose, aufgebaut aus einer Million Pixel. Jedes Pixel benötigt Informationen über zwei Ortskoordinaten und eine Farbe. Das sind drei Millionen Informationen — eine Menge Daten. Aber die meisten dieser Pixel sind rot, umgeben von anderen roten Pixeln. Das Programm sucht deshalb das Bild Zeile um Zeile ab und prüft, ob nebeneinanderliegende Pixel dieselbe Farbe haben. Wenn es solche Gruppen findet, schreibt es eine Anweisung an den Computer: Mache dieses Pixel rot, und die nächsten fünfzig Pixel in der Zeile ebenfalls. Dann schalte auf Grau und mache die nächsten zehn Pixel grau. Und so weiter. Es speichert nicht die Information für jeden einzelnen Punkt. Es speichert nur Informationen für die Wiederherstellung des Bildes. Und so wird die Datenmenge auf ein Zehntel der ursprünglichen reduziert.«
»Trotzdem«, sagte Stern, »Sie reden nicht von einem zweidimen-sionalen Bild, Sie reden von einem dreidimensionalen lebendigen Wesen, und dessen Beschreibung erfordert so viele Daten —« »Daß man massive Parallelverarbeitung braucht«, sagte Gordon mit einem Nicken. »Das stimmt.«
Chris runzelte die Stirn. »Was ist Parallelverarbeitung?« »Man verbindet mehrere Computer miteinander und teilt die Arbeit unter ihnen auf, damit es schneller geht. Ein großer parallelverarbeitender Computer hat etwa sechzehntausend miteinander verbundene Prozessoren. Ein wirklich großer zweihundertdreißigtausend. Wir haben zweiunddreißig Milliarden parallele Prozessoren.« »Milliarden?« fragte Chris.
Stern beugte sich vor. »Das ist unmöglich. Auch wenn man nur versuchen würden, einen zu bauen...« Er starrte zur Decke und rechnete. »Sagen wir, einen Zoll Abstand zwischen den Haupt-platinen ... das ergibt einen Stapel von äh... zweitausendsechshundert ... das ergibt einen Stapel von achthundert Metern Höhe. Auch rekonfiguriert zu einem Würfel ergibt das ein riesiges Gebäude. Sie könnten die Maschine nie bauen. Sie könnten sie nie kühlen. Und sie würde nie funktionieren, weil viele von den Prozessoren zu weit entfernt liegen.« Gordon saß da und lächelte. Er sah Stern abwartend an. »Die einzige Möglichkeit, so viel Verarbeitungsleistung zu erreichen«, fuhr Stern fort, »wäre, die Quantencharakteristika von Elektronen zu nutzen. Aber dann würden wir hier von einem Quantencomputer sprechen. Und noch niemand hat je einen gebaut.« Gordon lächelte nur. »Haben Sie?« fragte Stern.
»Ich will Ihnen erklären, wovon David spricht«, sagte Gordon zu den anderen. »Gewöhnliche Computer rechnen, indem sie zwei elektronische Zustände benutzen, die man Null und Eins nennt. So funktionieren alle Computer, indem sie Nullen und Einsen herumschieben. Aber vor zwanzig Jahren regte Richard Feynman an, daß es möglich sein könnte, einen extrem leistungsstarken Computer zu bauen, indem man alle zweiunddreißig Quantenzustände eines Elektrons benutzt. Viele Labors versuchen inzwischen, diese
Quantencomputer zu bauen. Ihr Vorteil ist ihre unvorstellbar große Leistungsfähigkeit - so groß, daß man damit tatsächlich ein lebendiges Wesen als einen Informationsstrom beschreiben und komprimieren kann. Genau wie ein Fax. Diese Kette von Elektronen kann man durch ein Wurmloch im Quantenschaum in ein anderes Universum schicken. Und genau das tun wir. Es ist keine Ouantenteleportation. Es geht nicht um verschränkte Quantenzustände der Teilchen. Es ist eine direkte Übertragung in ein anderes Universum.«
Die Gruppe starrte ihn nur schweigend an. Der Landcruiser fuhr auf eine Lichtung, wo eine Reihe zweistöckiger Gebäude aus Ziegeln und Glas stand. Sie sahen überraschend gewöhnlich aus. Es hätte irgendeines dieser kleinen Gewerbegebiete sein können, wie sie sich überall in den Außenbezirken amerikanischer Städte finden. »Und das ist ITC?« fragte Marek.
»Wir versuchen, so unauffällig wie möglich zu bleiben«, sagte Gordon. »Und diesen speziellen Ort haben wir gewählt, weil es hier eine alte Mine gibt. Gute Minen sind inzwischen schwer zu finden, weil so viele Physikprojekte sie benötigen.«
Etwas abseits waren einige Männer zu sehen, die im grellen Licht von Scheinwerfern einen Wetterballon zum Start vorbereiteten. Der Ballon maß knapp zwei Meter im Durchmesser und war fahlweiß. Sie sahen zu, wie er sich, mit einem kleinen Instrumentenbündel an der Unterseite, schnell in die Luft erhob. »Wozu ist das gut?« fragte Marek. »Wir kontrollieren jede Stunde die Wolkendecke, vor allem wenn es stürmisch ist. Das ist ein laufendes Forschungsprojekt; wir wollen herausfinden, ob das Wetter Interferenzen produziert.« »Interferenzen womit?« fragte Marek.
Das Auto hielt vor dem größten Gebäude. Ein Wachmann öffnete die Tür. »Willkommen bei ITC«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Mr. Doniger erwartet Sie bereits.«
Doniger ging schnellen Schritts mit Gordon den Gang hinunter. Krämer folgte ihnen. Im Gehen überflog Doniger ein Blatt Papier mit Namen und Hintergrundinformationen zu jedem der Besucher. »Was für einen Eindruck machen sie, John?«
»Einen besseren, als ich erwartet habe. Sie sind in gutem körperlichem
Zustand. Sie kennen die Gegend. Sie kennen die Zeit.«
»Und wieviel Uberredungsarbeit wird nötig sein?«
»Ich glaube, Sie sind bereit. Du mußt nur vorsichtig sein, wenn du über die Risiken sprichst.«
»Willst du damit andeuten, daß ich nicht völlig ehrlich sein soll?« fragte Doniger.
»Du mußt nur aufpassen, wie du es formulierst«, sagte Gordon. »Sie sind sehr intelligent.«
»Wirklich? Na, dann wollen wir mal sehen.« Und er stieß die Tür auf.
Kate und die anderen saßen in einem sachlichen, spärlich möblierten Konferenzraum - ein zerkratzter Resopaltisch und Klappstühle. An einer Wand hing eine große, mit Formeln vollgekritzelte Tafel. Die Formeln waren so lang, daß sie die gesamte Breite der Tafel einnahmen. Für Kate waren sie völlig unverständlich. Sie wollte eben Stern fragen, was diese Formeln bedeuteten, als Robert Doniger in den Konferenzraum rauschte.
Kate war überrascht, wie jung er war. Er sah nicht viel älter aus als sie und ihre Begleiter, vor allem, da er Turnschuhe, Jeans und ein Quicksilver-T-Shirt trug. Obwohl es mitten in der Nacht war, schien er voller Energie zu sein; er ging schnell um den Tisch her-um gab jedem die Hand und begrüßte ihn mit Namen. »Kate«, sagte er und lächelte sie an. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich habe Ihren
Zwischenbericht über die Kapelle gelesen. Sehr beeindruckend.«
Sie war so überrascht, daß sie gerade noch »Danke« herausbrachte,
aber Doniger hatte sich bereits dem nächsten zugewandt.
»Und Chris. Freut mich, Sie wiederzusehen. Mir gefällt, was Sie mit dieser Mühlenbrücke machen. Die Herangehensweise mit der
Computersimulation wird sich bestimmt auszahlen.«
Chris hatte nur Zeit zu nicken, bevor Doniger sagte: »Und David Stern.
Wir haben uns noch nicht kennengelernt. Aber soweit ich weiß, sind Sie ebenfalls Physiker, wie ich.«
»Das stimmt...«
»Willkommen an Bord. Und Andre. Sie werden aber auch nicht kleiner! Mit Ihrem Paper über die Turniere Edwards I. haben Sie es Monsieur Contamine aber gezeigt. Gute Arbeit. Nun aber, bitte setzen Sie sich.« Sie nahmen Platz, und Doniger ging zum Kopfende des Tisches. »Ich will gleich zur Sache kommen«, sagte er. »Ich brauche Ihre Hilfe. Und ich will Ihnen auch sagen, warum. Seit zehn Jahren arbeitet meine Firma an der Entwicklung einer revolutionären neuen Technologie. Es ist keine militärisch nutzbare Technologie. Es ist auch keine kommerziell verwertbare Technologie, aus der sich Profit schlagen läßt. Im Gegenteil, es ist eine völlig menschenfreundliche und friedliche Technologie, die uns allen von großem Nutzen sein wird. Von wirklich sehr großem Nutzen. Aber ich brauche Ihre Hilfe.« »Überlegen Sie nur einen Augenblick«, fuhr Doniger fort, »wie ungleich sich die Technik im zwanzigsten Jahrhundert auf die unterschiedlichen Wissensgebiete ausgewirkt hat. Die Physik benutzt allermodernste technische Errungenschaften - darunter Teilchenbeschleuniger von vielen Kilometern im Durchmesser. Dasselbe gilt für die Chemie und die Biologie. Vor hundert Jahren hatten Faraday und Maxwell winzige private Labors. Darwin arbeitete mit Notizblock und Mikroskop. Aber heute kann keine wichtige wissenschaftliche Entdeckung mehr mit so einfachen Mitteln gemacht werden. Die Naturwissenschaft ist völlig von modernster Technik abhängig. Aber was ist mit den Geisteswissenschaften? Was ist in dieser Zeit mit ihnen passiert?«
Читать дальше