Und so weiter, und so weiter, und so weiter. Eine Unendlichkeit von Welten.
Everett nannte dies die »Vielwelten-Erklärung« der Quantenmechanik. Seine Erklärung stand zwar im Einklang mit Quantengleichungen aber den Physikern fiel es schwer sie zu akzeptieren. Ihnen gefiel der Gedanke nicht, daß all diese Wellen sich ständig verzweigten. Sie fanden es wenig glaubhaft, daß die Wirklichkeit eine solche Form annehmen konnte.
»Die meisten Physiker weigern sich noch immer, sie zu akzeptieren«, sagte Gordon. »Obwohl sie bis jetzt noch keiner widerlegt hat.« Everett selbst hatte keine Geduld mit den Einwänden seiner Kollegen. Er beharrte darauf, daß die Theorie korrekt sei. ob es ihnen nun gefiel oder nicht. Wenn man seine Theorie nicht glaubte, war man einfach nur borniert und altmodisch, genau wie die Wissenschaftler, die dem kopernikanischen System, das die Sonne in den Mittelpunkt unseres Planetensystems stellte, keinen Glauben schenkten — eine Theorie, die damals ebenfalls unglaublich erschienen war. »Denn Everett behauptete, daß die Vielweltentheorie tatsächlich wahr sei. Daß es multiple Universen tatsächlich gebe. Und daß sie neben unserem eigenen existierten. Schließlich wurden diese multiplen Universen unter dem Begriff >Multiversum< zusammengefaßt.« »Moment mal«, sagte Chris. »Wollen Sie damit sagen, daß das alles wirklich stimmt?« »Ja«, sagte Gordon. »Es stimmt.« »Woher wissen Sie das?« fragte Marek.
»Ich werde es Ihnen zeigen«, antwortete Gordon und griff nach einem Aktendeckel mit der Aufschrift »ITC/CTC-Technology«. Er zog ein leeres Blatt Papier heraus und fing an zu zeichnen. »Ein sehr simples Experiment, das schon seit zweihundert Jahren gemacht wird. Stellen Sie zwei Wände auf eine vor die andere. In der ersten Wand befindet sich ein einzelner vertikaler Schlitz.« Er zeigte ihnen die Zeichnung
Jetzt richten sie eine Lichtquelle auf den Schlitz An der Wand dahinter sehen sie -«
»Eine weiße Linie« sagte Marek. »Von dem Licht das durch den Schlitz fällt«
»Genau. Es sieht ungefähr so aus«Gordon zog ein auf Karton aufgezogenes Foto aus der Mappe.
Gordon zeichnete weiter. »Jetzt haben Sie in der vorderen Wand anstelle des einzelnen Schlitzes zwei Schlitze« Richten Sic eine Lichtquelle darauf, und auf der dahinterliegenden Wand sehen Sie-«
»Zwei vertikale Linien« sagte Marek.
»Nein, Sie sehen eine Reihe von hellen und dunklen Streifen«
Er zeigte ihnen das nächste Foto.
»Und nun«, fuhr Gordon fort, »wenn Sie das l.icht durch vier Schlitze scheinen lassen,dann bekommen sie nur halb so viele Streifen wie zuvor. Weil jeder zweite Streifen schwär/, wird.«
Marek runzelte die Stirn. »Mehr Schlitze bedeuten weniger Streifen? Warum?«
»Die gewöhnliche Erklärung ist die, die ich aufgezeichnet habe — das Licht verhält sich wie zwei Wellen, die einander überlagern. An einigen Stellen verstärken sie einander, an anderen löschen sie sich gegenseitig aus. Und das erzeugt dieses abwechselnde Hell-Dun-kel-Muster an der Wind. Wir nennen das eine Interferenz zwischen den beiden Wellen, und was dabei herauskommt, ist ein Interferenzmuster.« Chris Hughes fragte: »Und? Was ist falsch daran?« »Falsch daran ist«, fuhr Gordon fort,»daß ich Ihnen eben eine Erklärung des neunzehnten Jahrhunderts gegeben habe. Sie war völlig in Ordnung, als noch jeder glaubte, daß Licht eine Welle sei. Aber seit Einstein wissen wir, daß Licht aus Teilchen, sogenannten Photonen, besteht. Wie erklärt man, daß ein Haufen Photonen dieses Muster erzeugt?« Alle schwiegen. Sie schüttelten nur den Kopf.
Nun sagte David Stern zum ersten Mal etwas. »Teilchen sind nicht so simpel, wie Sie sie beschrieben haben. Teilchen haben einige wellenähnliche Eigenschaften, abhängig von der Situation. Es kann zu Interferenzen zwischen Teilchen kommen. In diesem Fall entsteht zwischen den Photonen in dem Lichtstrahl eine Interferenz, die genau dieses Muster erzeugt.«
»Das klingt zumindest logisch«, sagte Gordon. »Schließlich ist ein Lichtstrahl nichts anderes als -zig Milliarden Photonen. Man kann sich leicht vorstellen, daß die auf irgendeine Art wechselwirken und so das Interferenzmuster erzeugen.«
Sie alle nickten. Ja, das war wirklich leicht vorstellbar. »Aber stimmt das tatsächlich?« fragte Gordon. »Ist es wirklich das was passiert? Eine Möglichkeit, das herauszufinden, ist, jede Wechselwirkung zwischen den Photonen zu eliminieren. Beschäftigen wir uns nur mit einem einzelnen Photon. Das wurde im Experiment bereits gemacht. Man nimmt einen Lichtstrahl, der so schwach ist, daß jeweils immer nur ein Photon herauskommt. Und man kann sehr empfindliche Detektoren hinter den Schlitz stellen, so empfindlich, daß sie merken, wenn ein einzelnes Photon sie trifft. Okay?«
Diesmal nickten sie langsamer.
»Jetzt kann es keine Interferenz mit anderen Photonen geben, weil wir es ja nur mit einem einzelnen Photon zu tun haben. Die Photonen kommen immer einzeln heraus, eins nach dem anderen. Die Detektoren zeichnen auf, wo die Photonen landen. Und nach ein paar Stunden erhalten wir ein Resultat. Und das sieht etwa so aus.« »Was wir sehen«, sagte Gordon, »ist, daß die einzelnen Photonen immer nur an bestimmten Stellen landen, nie an anderen. Sie verhalten sich genau so, wie sie es in einem normalen Lichtstrahl tun. Aber sie kommen einzeln heraus. Es gibt keine anderen Photonen, mit denen sie interferieren könnten. Aber trotzdem interferiert irgend etwas mit ihnen, weil sie das übliche Interferenzmuster erzeugen. Also: Was interferiert mit einem einzelnen Photon?« Schweigen. »Mr. Stern?«
Stern schüttelte den Kopf. »Wenn man die Wahrscheinlichkeiten berechnet -«
»Wir wollen uns nicht in die Mathematik flüchten. Bleiben wir bei der
Wirklichkeit. Schließlich wurde dieses Experiment bereits durchgeführt
- mit realen Photonen, die reale Detektoren treffen. Und etwas Reales interferiert mit ihnen. Die Frage ist, was?«
»Es müssen andere Photonen sein«, sagte Stern.
»Ja«, sagte Gordon, »aber wo sind sie? Wir haben Detektoren,
aber die registrieren keine anderen Photonen. Wo sind also die
Photonen, die diese Interferenz produzieren?«
Stern seufzte. »Okay«, sagte er und warf die Hände in die Höhe.
Chris fragte: »Was soll das heißen, okay. Was ist okay?«
Gordon nickte Stern zu. »Sagen Sie es ihnen.«
»Was er damit sagen will, ist folgendes. Diese Einphotoneninter-ferenz beweist, daß die Wirklichkeit viel mehr ist als das, was wir in unserem Universum sehen. Die Interferenz passiert, aber in unserem Universum sehen wir keine Ursache dafür. Deshalb müssen die Photonen, die diese Interferenz erzeugen, in anderen Universen sein. Und das beweist, daß andere Universen existieren.«
»Richtig«, sagte Gordon. »Und manchmal gibt es Wechselwirkungen mit unserem Universum.«
»Entschuldigung«, sagte Marek. »Können Sie das noch einmal erklären? Warum gibt es Wechselwirkungen zwischen unserem Universum und einem anderen?«
»Das ist das Wesen des Multiversums«, sagte Gorclon. »Denken Sie daran, in diesem Multiversum verzweigen sich die Universen ständig, das heißt, daß es viele Universen gibt, die dem unseren sehr ähnlich sind. Und zwischen diesen ähnlichen Universen gibt es Wechselwirkungen. Jedesmal, wenn wir in unserem Universum einen Lichtstrahl erzeugen, werden in vielen ähnlichen Universen simultan ebenfalls Lichtstrahlen erzeugt, und die Photonen aus diesen anderen Universen interferieren mit den Photonen in unserem Universum und produzieren das Muster, das wir sehen.« »Und Sie wollen uns sagen, daß das alles wahr ist?« »Absolut wahr. Das Experiment wurde schon viele Male durchgeführt.«
Marek runzelte die Stirn. Kate starrte auf den Tisch. Chris kratzte sich den Kopf.
Schließlich sagte David Stern: »Nicht alle Universen sind ähnlich wie unseres.«
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