Am Empfang war niemand, aber sie sah einen Mann, der in einem Büro saß und irgendetwas aufschrieb.
»Entschuldigen Sie«, sprach Kelly ihn an.
Der Mann grummelte irgendetwas, ohne aufzublicken.
Kelly zögerte. »Ich wollte fragen, ob Sie ein Model brauchen.«
»Nein«, versetzte der Mann, »wir engagieren zurzeit niemanden.«
Kelly seufzte. »Trotzdem vielen Dank.« Sie drehte sich um und wollte gehen.
Der Mann blickte auf, und seine Miene veränderte sich.
»Moment! Warten Sie einen Moment. Kommen Sie zurück.« Er sprang auf. »Mein Gott. Wo kommen Sie denn her?«
Kelly blickte ihn verdutzt an. »Aus Philadelphia.«
»Ach, ist ja auch egal. Haben Sie schon mal als Model gearbeitet?«
»Nein.«
»Macht nichts. Sie lernen es hier, in der Praxis.«
Kelly bekam mit einem Mal einen trockenen Hals. »Heißt das, dass ich ... dass ich Model werde?«
Er grinste. »Das will ich doch meinen. Wir haben Kunden, die werden völlig durchdrehen, wenn sie Sie sehen.«
Sie konnte es kaum glauben. Das hier war eine der größten Model-Agenturen, die es gab, und sie ...
»Ich bin Bill Lerner. Ich leite diese Agentur. Wie heißen Sie?«
Das war der Augenblick, von dem Kelly geträumt hatte. Jetzt konnte sie ihren neuen Künstlernamen ausprobieren.
Lerner starrte sie an. »Wissen Sie etwa Ihren Namen nicht?«
Kelly richtete sich zu voller Größe auf und sagte selbstbewusst. »Doch, klar. Ich bin Kelly Hackworth.«
Lois Reynolds lächelte, als sie das Motorengeräusch der tief fliegenden Maschine hörte. Gary. Er war spät dran. Lois hatte ihm angeboten, ihn am Flughafen abzuholen, aber er hatte gesagt: »Nur keine Umstände, Schwesterherz. Ich nehme mir ein Taxi.«
»Aber Gary. Ich komme gern .«
»Bleib lieber daheim, und warte dort auf mich.«
»Wie du möchtest, Bruderherz.«
Ihr Bruder war seit jeher die wichtigste Person in Lois’ Leben. Ihre Jugendzeit in Kelowna war der reinste Albtraum gewesen. Schon als junges Mädchen hatte Lois das Gefühl gehabt, dass die ganze Welt gegen sie sei: die Hochglanzmagazine, die Fotomodelle, die weiblichen Filmstars - und das nur, weil sie ein bisschen pummelig war. Wo stand denn geschrieben, dass mollige Mädchen nicht genauso schön waren wie diese krank aussehenden dürren Dinger? Lois Reynolds betrachtete sich ständig im Spiegel. Sie hatte lange blonde Haare, blaue Augen, einen zarten, hellen Teint und einen ihrer Ansicht nach hübschen, vollschlanken Körper. Keiner sagt ein Wort, wenn Männer mit Bierbäuchen, die ihnen über den Gürtel hängen, durch die Gegend laufen. Aber sobald eine Frau ein paar Pfunde zu viel hat, wird sie verschmäht. Welcher Schwachkopf hat das Recht zu bestimmen, dass die Idealmaße einer Frau 9166-91 sind?
Solange sich Lois erinnern konnte, hatten ihre Schulkameradinnen hinter ihrem Rücken über sie gespottet -»Fettarsch«, »Tonne«, »Schweinchen«. Die Schimpfwörter hatten ihr zutiefst wehgetan, aber Gary war immer zur Stelle gewesen und hatte sie verteidigt.
Als Lois ihr Studium an der University of Toronto abschloss, hatte sie genug von dem Spott. Wenn es irgendwo einen Traummann gibt, der eine richtige Frau sucht, hier bin ich.
Und eines Tages tauchte der Traummann unverhofft auf. Er hieß Henry Lawson. Sie lernten sich bei einem geselligen Abend der Kirchengemeinde kennen, und Lois war augenblicklich von ihm angetan. Er war groß und schlank, hatte blonde Haare, eine angenehme Art und schien stets zu einem Lächeln aufgelegt. Sein Vater war der Pfarrer der Kirchengemeinde. Lois verbrachte fast den ganzen Abend mit Henry, und im Verlauf ihrer Unterhaltung erfuhr sie, dass ihm ein Pflegeheim gehörte und dass er ein Naturfreund war.
»Wenn Sie morgen Abend noch nichts vorhaben«, sagte er, »würde ich Sie gern zum Essen ausführen.«
Lois zögerte nicht einen Moment. »Gern, vielen Dank.«
Henry Lawson führte sie ins Sassafraz aus, eines der besten Restaurants von Toronto. Die Speisen auf der Karte waren verlockend, aber Louis bestellte sich nur eine Kleinigkeit, weil sie nicht wollte, dass Henry sie für einen Vielfraß hielt.
Als Henry bemerkte, dass sie nur Salat aß, sagte er: »Davon werden Sie doch nicht satt.«
»Ich versuche abzunehmen«, flunkerte Lois.
Er ergriff ihre Hand. »Ich möchte nicht, dass Sie abnehmen, Lois. Ich mag Sie so, wie Sie sind.«
Mit einem Mal verspürte sie ein Kribbeln. Er war der erste Mann, der das zu ihr gesagt hatte.
»Ich bestelle Ihnen ein Steak mit Kartoffeln und einen CaesarSalat«, sagte Henry.
Es war einfach wunderbar, endlich einen Mann gefunden zu haben, der Verständnis dafür hatte, dass sie einen gesunden Appetit besaß, und der das sogar gut fand.
In den nächsten Wochen gingen sie fast täglich miteinander aus, und ein Abend war herrlicher als der andere. Sie kannten sich knapp einen Monat, als Henry sagte: »Lois, ich liebe dich. Ich möchte, dass du meine Frau wirst.«
Ein Antrag. Und sie hatte geglaubt, sie würde diese Worte niemals hören. Sie schloss ihn in die Arme und sagte: »Ich liebe dich auch, Henry. Ich möchte deine Frau werden.«
Die Hochzeit fand eine Woche später in der Kirche von Henrys Vater statt. Gary und ein paar Freunde und Freundinnen nahmen an der feierlichen Trauung teil, die von Henrys Vater vollzogen wurde. Lois war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen.
»Wo wollt ihr eure Flitterwochen verbringen?«, fragte Reverend Lawson.
»Am Lake Louise«, erwiderte Henry. »Dort ist es sehr romantisch.«
»Ein idealer Ort für die Flitterwochen.«
Henry schloss Lois in die Arme. »Ich hoffe doch, dass die Flitterwochen bis ans Ende unserer Tage währen.«
Lois war begeistert.
Unmittelbar nach der Hochzeit brachen sie zum Lake Louise auf, einem hinreißenden Ferienort im Banff National Park, im Herzen der kanadischen Rocky Mountains gelegen.
Als sie am späten Nachmittag dort eintrafen, funkelte der See in der Sonne.
Henry nahm Lois in die Arme. »Bist du hungrig?«
Sie blickte ihm in die Augen und lächelte. »Nein.«
»Ich auch nicht. Warum ziehen wir uns nicht einfach aus?« »O ja, Liebster.«
Zwei Minuten später lagen sie im Bett, und Henry liebte sie, wie sie es sich nicht schöner hätte vorstellen können. Es war wunderbar. Berauschend. Erschöpfend.
»Ach, Liebster, ich liebe dich so sehr.«
»Ich liebe dich auch, Lois«, sagte Henry. Er stand auf.
»Und jetzt müssen wir die Fleischeslust bekämpfen.«
Lois schaute ihn fragend an. »Was?«
»Knie dich hin.«
Sie lachte. »Bist du denn nicht müde, Liebster?«
»Knie dich hin.«
Sie lächelte. »Na schön.«
Sie kniete nieder und sah voller Verblüffung zu, wie er den breiten Gürtel aus seiner Hose zog. Er ging zu ihr, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, zog er ihr den Gürtel mit aller Kraft über das nackte Gesäß.
Lois schrie auf und wollte aufstehen. »Was hast du ...?«:
Er stieß sie nieder. »Ich hab’s dir doch gesagt, Liebste. Wir müssen die Fleischeslust bekämpfen.« Er holte mit dem Gürtel aus und schlug erneut zu.
»Hör auf! Hör auf damit!«
»Bleib, wo du bist«, herrschte er sie an.
Lois wehrte sich, wollte aufstehen, aber Henry drückte sie mit aller Kraft nieder und schlug ein weiteres Mal mit dem Gürtel zu.
Lois hatte das Gefühl, ihr werde am Gesäß die Haut abgezogen. »Henry! Mein Gott! Hör auf!«
Schließlich richtete sich Henry auf und atmete tief durch.
»Jetzt ist alles gut.«
Lois konnte sich kaum rühren. Sie spürte die offenen, nässenden Wunden an ihrem Gesäß. Mühsam und unter Schmerzen rappelte sie sich auf. Sie brachte kein Wort heraus, starrte ihren Mann nur voller Entsetzen an.
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