Das Flugzeug bewegte sich trotzdem nicht.
Joe Patronis Zigarre, vom vorhergegangenen Kauen naß, war ausgegangen. Angewidert warf er sie weg und griff nach einer frischen. Seine Brusttasche war leer. Diese Zigarre war seine letzte gewesen.
Er fluchte und legte seine rechte Hand wieder auf die Treibstoffhebel. Er schob sie noch weiter vor und knirschte: »Komm raus, du verdammtes Dreckbiest, komm raus!«
»Mr. Patroni«, warnte der Mechaniker, »mehr verträgt sie nicht.«
Unvermittelt wurde der Lautsprecher über ihm lebendig. Der Dienstleiter im Kontrollturm meldete sich: »Joe Patroni an Bord der Aereo Mexican. Hier ist die Bodenkontrolle. Wir haben eine Meldung von Mr. Bakersfeld: >Keine Zeit mehr. Alle Motoren abstellen. Wiederhole: Alle Motoren abstellen.«
Patroni blickte hinaus und sah die Schneepflüge und Schleudern bereits im Anrollen. Er wußte, daß sie erst gegen das Flugzeug drücken würden, wenn die Motoren abgestellt waren. Er erinnerte sich aber auch an Mels Warnung: »Wenn der Turm sagt, daß wir keine Zeit mehr haben, gibt es keinen Widerspruch.«
Er dachte: Wer widerspricht denn?
Wieder drängte die Stimme über Funk: »Joe Patroni, haben Sie verstanden? Bestätigen Sie.«
»Mr. Patroni«, schrie der Mechaniker, »haben Sie nicht gehört? Wir müssen die Motoren abstellen.«
Patroni schrie zurück: »Ich höre überhaupt nichts, Junge. Wahrscheinlich ist es hier zu laut.«
Wie jeder erfahrene Wartungsmann wußte, hatte man immer eine Minute länger Zeit, als die zur Panik neigenden Typen in den Büros vorn behaupteten.
Am dringendsten brauchte er allerdings eine Zigarre. Plötzlich erinnerte sich Joe Patroni: Vor Stunden hatte Mel Bakersfeld mit ihm um eine Kiste Zigarren gewettet, daß er dieses Flugzeug heute nacht nicht freibekommen würde.
Er rief durch das Cockpit: »Ich habe hier auch einen Einsatz drin — lassen wir es darauf ankommen.« Mit einer einzigen schnellen Bewegung stieß er die Treibstoffhebel zum Anschlag vor.
Schon vorher schien der Lärm und die Vibration ungeheuerlich gewesen zu sein. Jetzt wurden sie überwältigend. Das Flugzeug bebte, als ob es auseinanderbrechen wolle. Joe Patroni trat wieder hart auf die Steuerpedale.
Ringsherum im Cockpit leuchteten Warnsignale auf. Später beschrieb der Mechaniker die Wirkung als »wie bei einem Spielautomaten in Las Vegas«.
Jetzt schrie er in alarmiertem Ton: »Auspuffgas-Temperatur siebenhundert.«
Der Lautsprecher spie immer noch Befehle aus, darunter einige, die besagten, Patroni solle aussteigen. Er nahm selbst an, es sei an der Zeit. Seine Hand hing zögernd über den Treibstoffhebeln.
Plötzlich rollte das Flugzeug vorwärts. Zunächst bewegte es sich langsam. Dann raste es mit überraschender Schnelligkeit auf die Taxibahn zu. Der Mechaniker schrie eine Warnung. Während Pa-troni alle vier Treibstoffhebel zurückriß, befahl er: »Bremsklappen ausfahren!« Beide nahmen sie unter und vor sich nur verschwommen davonrennende Leute wahr.
Fünfzig Fuß vor dem Taxiweg rollten sie immer noch schnell. Wenn sie nicht sofort abdrehten, würde das Flugzeug die feste Decke überqueren und in den Schnee auf der anderen Seite rasen. Als er spürte, daß die Räder festen Boden unter sich hatten, trat Patroni hart auf die linke Bremse und riß die Treibstoffhebel für die beiden Steuerbordmotoren auf. Bremsen und Motoren reagierten, und das Flugzeug schwang in einem Winkel von neunzig Grad scharf nach links. Nach der halben Drehung schob er die beiden Treibstoffhebel zurück und betätigte alle Bremsen zusammen. Die 707 der Aereo Mexican rollte ein kurzes Stück weiter, verringerte dann das Tempo und hielt an.
Joe Patroni grinste. Sie hatten die Maschine sauber in der Mitte der Taxibahn geparkt, die parallel zu Landebahn Drei-Null verlief.
Die Landebahn, zweihundert Fuß entfernt, war nicht mehr blok-kiert.
In Mel Bakersfelds Wagen auf der Landebahn schrie Tanya: »Er hat es geschafft! Er hat es geschafft!«
Mel Bakersfeld neben ihr hatte an die Schneekontrolle über Funk bereits den Befehl durchgegeben, daß die Schneepflüge und Schleudern verschwinden sollten.
Vor Sekunden noch hatte Mel wütend den Kontrollturm angerufen und zum drittenmal gefordert, daß Joe Patroni die Motoren sofort abstellen solle. Mel war versichert worden, daß sein Befehl weitergegeben, von Patroni aber ignoriert worden sei. Noch brannte in Mel der Ärger. Selbst jetzt konnte er Joe Patroni noch ernstliche Schwierigkeiten bereiten, weil er den eindringlichen Befehl der Flughafenleitung in einer Frage der Verkehrssicherheit weder beachtet noch auch nur bestätigt hatte. Aber Mel wußte, daß er das nicht tun würde. Patroni hatte es geschafft, und kein vernünftiger Mensch würde ihm seinen Erfolg streitig machen. Mel wußte aber auch, daß es nach dieser Nacht eine weitere Legende zum Ruhm Patronis geben würde.
Die Pflüge und Schneeschleudern rollten bereits ab.
Mel schaltete sein Funkgerät auf die Frequenz des Kontroll-turms.
»Mobil eins an Bodenkontrolle. Blockierendes Flugzeug von Landebahn Drei-Null entfernt. Fahrzeuge folgen. Ich inspiziere auf Hindernisse.«
Mel ließ den Suchscheinwerfer seines Wagens über die Oberfläche der Startbahn sehweifen. Tanya und der Reporter Tomlinson spähten mit ihm hinaus. Manchmal ließen nach Vorfällen wie dem heutigen die Arbeitstrupps Werkzeuge oder Trümmer zurück — eine Gefährdung für jedes startende oder landende Flugzeug. Über die unebene Schneefläche hinaus war in dem Lichtschein keine Erhebung zu sehen.
Der letzte Schneepflug bog an der nächsten Kreuzung ab. Mel setzte seinen Wagen in Bewegung und folgte. Die drei in dem Wagen waren physisch und psychisch von der Spannung der letzten Minuten erschöpft, wußten aber, daß ihnen eine noch größere Nervenbelastung bevorstand.
Als sie hinter den Pflügen nach links abbogen, meldete Mel: »Landebahn Drei-Null frei und offen.«
16
Trans America Flug Zwei, The Golden Argosy, war noch zehn Meilen entfernt und befand sich in den Wolken in fünfzehnhundert Fuß Höhe.
Nach einer weiteren kurzen Ruhepause hatte Anson Harris das Steuer wieder übernommen.
Der Anflugkontroller auf Lincoln International — mit einer Stimme, die Vernon Demerest dunkel vertraut war, aber er machte sich nicht die Mühe, jetzt darüber nachzudenken —, hatte sie bis dahin über eine Kursfolge mit sanften Richtungskorrekturen, während sie ständig tiefer gingen, eingewiesen.
Beide Piloten erkannten, daß sie mit großer Kunst herangebracht worden waren und sich jetzt in einer Position befanden, da die endgültige Entscheidung, welche der beiden möglichen Landebahnen sie ansteuern sollten, ohne umständliche Flugmanöver erfolgen konnte. Diese Entscheidung mußte jetzt aber jeden Augenblick getroffen werden.
Je näher dieser Augenblick kam, um so höher steigerte sich die Spannung der beiden Piloten.
Vor wenigen Minuten war der Zweite Offizier Cy Jordan auf Demerests Befehl in die Pilotenkanzel zurückgekehrt, um eine Schätzung über ihr Gesamtgewicht bei der Landung aufzustellen, wobei der verbrauchte Treibstoff und der noch übrige zu berücksichtigen waren. Nachdem er alles andere Notwendige in seiner Funktion als Flugingenieur erledigt hatte, war er auf seinen Einsatzposten für die Notlandung in der vorderen Passagierkabine zurückgegangen.
Mit Hilfe von Demerest hatte Anson Harris die Nottrimmprozedur als Vorbereitung für die Landung mit verklemmtem Höhenruder durchprobiert. Als sie damit fertig waren, tauchte Dr. Com-pagno kurz hinter ihnen auf. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, daß Ihre Stewardess, Miss Meighen, sich tapfer hält. Wenn sie bald in ein Krankenhaus kommt, bin ich ziemlich sicher, daß wir sie durchbringen.«
Demerest, dem es schwerfiel, seine plötzlich aufwallenden Gefühle zu verbergen, zog es vor zu schweigen. Deshalb war es An-son Harris, der sich auf seinem Platz halb umwendete. »Vielen Dank, Doktor. Wir haben nur noch ein paar Minuten.«
Читать дальше