Der Papst nickte. »Zumindest scheinen Sie einzusehen, dass dieser Job inzwischen vergeben ist.«
»Ja, Heiliger Vater«, antwortete sie. »Und Ihnen hat er auch einen ziemlich guten Job gegeben.«
Er lächelte. »Einen Job, so wurde mir gesagt, den Sie eines Tages auch gern hätten.«
Serena zuckte die Achseln. »Das wird überbewertet.«
»Das stimmt«, sagte der Papst und sah sie gespannt an. »Und für ehemalige Nonnen, die die Sünden ihrer Väter wiederholt haben, auch ziemlich unerreichbar.«
Plötzlich geriet ihre filmreife Fassade ins Bröckeln und sie fühlte sich wie nackt. Bei diesem Papst war eine Privataudienz eher eine Therapiesitzung als eine Inquisition. Von der gerechten Entrüstung, auf die sie sich stützen wollte, war nichts mehr übrig.
»Ich verstehe nicht so recht, was der Heilige Vater damit sagen will«, stotterte sie und fragte sich, was der Papst wohl alles wusste. In Beherzigung des Schicksals all derer, die ihn so oft unterschätzt hatten, hielt sie es für das Beste, gleich mit der Sprache rauszurücken, statt sich weiter zu blamieren. »Ja, diese Verlockung war einmal sehr groß, Heiliger Vater«, sagte sie. »Aber vergessen Sie nicht, dass ich keine Nonne mehr bin und damit auch nicht mehr durch meine Gelübde gebunden. Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass ich bis zu meiner Hochzeit, die wohl nie stattfinden wird, keusch bleibe.«
»Aber warum haben Sie dann …«, begann der Papst.
»Nur weil wir unsere Liebe nicht körperlich ausgelebt haben, heißt das noch lange nicht, dass wir emotional nicht verbunden waren«, sagte Serena. »Jedenfalls haben mir meine Gefühle keinerlei Zweifel gelassen, dass ich in diesem Leben nicht eine Braut Christi sein kann, während es mich gleichzeitig mit Leidenschaft nach einem Mann verzehrt. Jedenfalls nicht, ohne solch ein Heuchler zu sein wie mein Vater. Wenn Sie also mit dieser Sache meine Glaubwürdigkeit untergraben wollen …«
»Unsinn«, sagte der Pontifex. »Doktor Yeats wurde lediglich in dem Geheimdienstbericht erwähnt. Mehr nicht.«
»Conrad?«, entfuhr es ihr erstaunt. Ausspioniert vom Vatikan?
»Ja«, sagte der Papst. »Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie ihn in Ihrem früheren Leben als unsere vielversprechendste Sprachwissenschaftlerin in Bolivien kennen gelernt.«
Serena lehnte sich zurück. Vielleicht war ja nur ein Manuskript aufgetaucht, das es zu übersetzen galt. Vielleicht hatte der Heilige Vater bloß einen Job für sie. Sie atmete jetzt wieder ruhiger, erleichtert, dem Thema Keuschheit entronnen zu sein. Die Anspielung auf Conrad hatte sie allerdings neugierig gemacht.
»Ja, das stimmt. Ich habe damals in den Anden mit den Aimara-Indianern gearbeitet.«
»Keine falsche Bescheidenheit«, sagte der Papst. »Sie haben mithilfe der Aimara-Sprache eine Übersetzungssoftware für den Weltgipfel der Vereinten Nationen entwickelt. Und Sie haben das mit nichts weiter als Ihrem Laptop geschafft, obwohl Experten an einem Dutzend europäischer Universitäten trotz riesiger Computer daran gescheitert sind.«
»Ich war nicht die Erste«, sagte Serena. »Dem bolivianischen Mathematiker Ivan Buzman de Rojas war das schon in den Achtzigerjahren gelungen. Man kann die Sprache der Aimara als Zwischensprache benutzen, um Englisch simultan in mehrere andere Sprachen zu übersetzen.«
»In sechs andere Sprachen, wie bisher bekannt war«, sagte der Papst. »Sie haben offensichtlich eine noch breitere Anwendung erschlossen.«
»Die streng logische Struktur dieser Sprache ist das ganze Geheimnis meines Systems.« Ihr Selbstbewusstsein nahm wieder zu. »Aimara ist eine ideale Sprache für die Umwandlung in Computeralgorithmen. Die Satzstruktur kann mit einer Art algebraischer Kurzschrift, die von Computern verstanden wird, entschlüsselt werden.«
»Das ist alles sehr faszinierend«, sagte der Papst. »Im irdischen Leben kommt man wohl den leisen Worten Gottes sonst kaum näher. Warum haben Sie das aufgegeben?«
»Hin und wieder leiste ich noch einen Beitrag, Heiliger Vater.«
»Nun ja, Sie sind wirklich eine unabhängige Frau. Nicht nur, dass Sie Mutter Erde und eine offizielle Botschafterin des Guten Willens der Vereinten Nationen sind, nein, wie ich sehe, arbeiteten Sie auch an der Lexicon recentis Latinitatis.« Damit bezog er sich auf die moderne Aufmachung des vom Vatikan herausgegebenen Lateinwörterbuches, das von Traditionalisten konzipiert wurde, um die alte Sprache Virgils in das neue Millennium zu katapultieren.
»Ja, das stimmt, Heiliger Vater.«
»Wir müssen Ihnen also danken, dass Sie die lateinischen Begriffe für Disco und Covergirl geprägt haben – orbiumpho-nographicorum theca und exterioris paginae puella.«
»Nicht zu vergessen pilamalleus super glaciem.«
Der Papst hielt kurz inne, um im Kopf zu übersetzen. »Eishockey?«
»Sehr gut, Heiliger Vater.«
Der Papst konnte nicht umhin zu lächeln, bevor er sehr ernst wurde. »Und wie würden Sie jemanden wie Doktor Yeats nennen?«
»Sentina«, sagte sie schlagfertig. »Abschaum.«
Der Papst nickte traurig. »Ist dieser Mann der Grund dafür, dass Sie sich entschlossen haben, Ihre Begabung nicht weiter zu nutzen und stattdessen aus der Kirche auszutreten und davonzulaufen, um Mutter Erde zu werden?«
»Conrad hat mit meinem Entschluss, mich ganz dem Umweltschutz zu widmen, nichts zu tun.« Es klang nicht so überzeugend, wie sie es gern gewollt hätte.
Der Papst nickte. »Aber Sie haben ihn kennen gelernt, als Sie in Bolivien mit den Aimara-Indianern arbeiteten, kurz bevor Sie aus der Kirche austraten. Was wissen Sie über ihn?«
Sie überlegte. Sie könnte so viel über ihn erzählen. Aber sie würde sich auf das Wichtigste beschränken. »Er ist ein Dieb und ein Lügner und der großartigste und gleichzeitig gefährlichste Archäologe, den ich kenne.«
»Gefährlich?«
»Er hat keinen Respekt vor der Vergangenheit«, sagte sie. »Er glaubt, dass das Wissen, das man aus einer Entdeckung gewinnt, wichtiger ist als die Entdeckung selbst. In seiner Ungeduld, einen spektakulären neuen Fund zu machen, zerstört er oft ohne Rücksicht auf spätere Generationen scheinbar unwichtigere Teile einer Stätte.«
Der Papst nickte. »Das würde erklären, warum ihm die ägyptische oberste Behörde für Altertümer verboten hat, Luxor jemals wieder zu betreten.«
»Übrigens, der Leiter der Altertumsbehörde hat beim Kartenspiel einiges Geld an Conrad verloren, als sie beim Bau des Luxor-Casinos als Berater nach Las Vegas eingeladen wurden«, sagte Serena. »Wie mir gesagt wurde, hat er Conrad mit einer Statuette aus der 19. Dynastie ausgezahlt, und seitdem versucht Conrad, sie auf dem Schwarzmarkt abzustoßen. Soweit ich weiß, braucht er dringend Geld. Die Statuette würde die hiesige Sammlung ganz vorzüglich ergänzen, falls Sie Interesse daran haben.«
Zum Zeichen, dass er ihren trockenen Humor nicht sonderlich schätzte, runzelte der Papst die Stirn. »Und was war das für eine Sache in Bolivien, wo Doktor Yeats ein Jahr, nachdem Sie ihn kennen gelernt haben, hinter Gitter kam?«
Serena zuckte die Achseln. »Sagen wir mal, die Tochter eines Generalissimo erwies sich als noch interessanter als die Ruinen.«
»Höre ich da etwa Eifersucht heraus?«
Serena musste lachen. »Für einen solchen Frauenheld wird es immer andere Frauen geben. Die Schätze des Altertums hingegen gehören allen.«
»Ich habe jetzt ein ziemlich klares Bild von ihm. Aber darf ich Sie fragen, Schwester Serghetti, was Sie eigentlich an ihm gefunden haben?«
»Er ist der ehrlichste Mensch, den ich kenne.«
»Sagten Sie nicht, er sei ein Lügner?«
»Das gehört zu seiner Ehrlichkeit dazu. Was hat er überhaupt mit dem Grund meines Hierseins zu tun?«
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