Eine Tür war geöffnet worden. Sie gehörte zu etwas, das wie ein kleines Haus oder eine große Hütte aussah, und sie blieb geöffnet. Zwei Männer und eine Frau kamen heraus und redeten… nein, sie redeten nicht einfach, sie stritten heftig miteinander. Borowski nahm sein kleines, aber starkes Fernglas und sah hindurch. Schnell hatte er die drei eingefangen, deren Stimmen an Stärke zunahmen, wobei die einzelnen Worte unverständlich blieben, der Zorn war jedoch offensichtlich. Er studierte die drei Leute und wußte augenblicklich, daß der Mann mittlerer Größe, der sich stockgerade hielt und laut protestierte, der PentagonGeneral Swayne war, die großbrüstige Frau mit den glatten dunklen Haaren seine Frau, aber was ihn verblüffte — und faszinierte —, das war die plumpe, massige Figur nahe der offenen Tür. Er kannte ihn! Jason konnte sich nicht erinnern, von wo oder wann, aber die Reaktion seiner Eingeweide bei seinem Anblick war nicht normal. Ihn ergriff ein sofortiger Abscheu, ohne daß er wußte, warum, da ihm nichts einfiel, womit er den Mann hätte in Beziehung bringen können. Nur
Gefühle des Ekels und der Abneigung. Wo waren die Bilder, das kurze Aufblitzen, das so häufig seinen inneren Bildschirm erhellte? Vergeblich… er wußte nur, daß der Mann, den er da im Blickfeld seines Feldstechers hatte, sein Feind war.
Dann tat der riesige Kerl etwas Außergewöhnliches. Er griff nach Swaynes Frau und legte beschützend seinen linken Arm um ihre Schultern, während seine Rechte im Raum zwischen ihr und dem General wild hin- und herstieß. Was immer er sagte — oder bellte, bewirkte bei Swayne eine Reaktion, die zwischen stoischer Ruhe und geheuchelter Gleichgültigkeit zu liegen schien. Er drehte sich um und schritt in militärischer Haltung über den Rasen zu einem rückwärtigen Eingang des Hauses. Borowski verlor ihn in der Dunkelheit aus dem Blick und richtete das Fernglas wieder auf das Paar im Licht der Tür. Der Mann ließ die Frau des Generals los und sprach mit ihr. Sie nickte, küßte ihn flüchtig und rannte ihrem Mann hinterher. Der andere, offensichtlich ihr Geliebter, ging in das kleine Haus zurück und warf die Tür ins Schloß. Danach wurde es dunkel.
Jason befestigte das Fernrohr wieder an seiner Hose und versuchte zu verstehen, was er gesehen hatte. Es war wie ein Stummfilm ohne Zwischentitel gewesen, allerdings mit realistischeren und weniger theatralischen Gesten. Daß es innerhalb dieses eingezäunten Areals eine menage a trois gab, war offensichtlich, aber das konnte schwerlich den Zaun erklären. Der mußte einen anderen Grund haben, einen Grund, den Jason herausfinden wollte.
Sein Instinkt sagte ihm, daß der riesige, schwere Mann, der wütend in sein kleines Haus zurückgekehrt war, etwas damit zu tun hatte. Er mußte zu dem kleinen Haus gelangen, er mußte den Mann sehen, der ein Teil seiner vergessenen Vergangenheit war. Borowski stand langsam auf, lief geduckt von einer Pinie zur nächsten und kam bis ans Ende der Auffahrt. Dann lief er neben dem schmalen, von Bäumen gesäumten Schotterweg weiter.
Stop. Ein Geräusch ließ ihn zu Boden hechten. Irgendwo fuhren Räder, Steine wurden zermalmt und herumgeschleudert. Vorsichtig rollte er sich durch die Dunkelheit der niedrig hängenden, weit ausladenden Pinienzweige, in die Quelle dieser Geräusche auszumachen. Dann sah er etwas aus dem Schatten der runden Auffahrt und über den Schotter der Nebenstraße fahren. Es war ein seltsam geformtes Fahrzeug, wie ein dreirädriges Motorrad, ein sehr kleiner Golfwagen mit großen Profilreifen, die hohe Geschwindigkeiten mit ausreichender Bodenhaftung ermöglichten. Das Fahrzeug sah in gewisser Weise bedrohlich aus, weil es nicht nur eine flexible Antenne, sondern auch gebogene Plexiglasschilde ringsherum hatte, kugelsichere Fenster, die den Fahrer vor Schüssen schützten, während er über Funk die Hausbewohner vor Angriffen warnen konnte. Das war doch alles reichlich seltsam…
Ein zweites dreirädriges Gefährt kam aus dem Schatten hinter der Hütte hervorgeschossen — es war eine Hütte aus behauenen Steinblöcken — und hielt nur wenige Meter vor dem ersten Fahrzeug auf der Schotterstraße. Die Köpfe beider Fahrer richteten sich militärisch-straff auf das Haus, als wären sie Roboter bei einer öffentlichen Vorführung, und dann kamen die Worte aus einem unsichtbaren Lautsprecher.
«Die Tore sichern«, erklang es im Befehlston.»Die Hunde loslassen und die Runden beginnen. «Einer rätselhaften Choreographie folgend, drehten beide Fahrzeuge gleichzeitig und fuhren in entgegengesetzter Richtung in die Dunkelheit. Automatisch hatte Borowski seine CO2-Pistole gelockert. Dann kroch er, ohne Zeit zu verlieren, seitwärts durch das Gebüsch bis dicht an den Zaun. Kamen die Hunde im Rudel, blieb ihm keine andere Wahl, als an den Maschen hochzuklettern und über den Stacheldraht auf die andere Seite zu springen. Mit der Pistole, die über zwei Kammern verfügte, konnte er zwei Tiere eliminieren, nicht mehr. Zum Aufladen würde keine Zeit sein.
Er bückte sich, wartete, bereit zum Sprung den Zaun hinauf. Er hatte eine relativ gute Sicht unter den Ästen hindurch.
Plötzlich raste ein schwarzer Dobermann den Schotterweg entlang, ohne zu zögern, ohne eine Spur aufzunehmen. Die Aufgabe des Tieres war es offenbar, einen bestimmten Platz zu erreichen. Dann erschien ein zweites Tier, ein langhaariger Schäferhund. Er wurde langsamer, widerstrebend, aber instinktiv schien darauf programmiert, in einem bestimmten Gebiet stehenzubleiben. Er hielt inne — eine unscharfe, sich bewegende Silhouette oben an der Straße. Borowski stand bewegungslos und verstand. Es waren abgerichtete Kampfrüden, von denen jeder sein eigenes, von seiner Duftmarke gekennzeichnetes Territorium hatte, sein Revier. Die Hunde waren auf eine Art und Weise abgerichtet, die von asiatischen Bauern bevorzugt wurde. Diese kleinen Grundbesitzer kannten sehr wohl den Preis, den es kostete, die Tiere zu füttern. Aber so schützten sie ihren winzigen, überlebensnotwendigen Besitz. Wenige abrichten, so wenige wie möglich, um die einzelnen Grundstücke vor Dieben zu schützen und wenn es Alarm gab, kamen die anderen zu Hilfe. Asien. Vietnam… Medusa. Ihm fiel alles wieder ein! Vage, dunkle Linien — Bilder. Ein junger, beleibter Mann in Uniform, der aus einem Jeep stieg und Leute anbrüllte. Leute, die von einer Sturmtruppe übriggeblieben waren, zurückgekehrt von der Aufgabe, eine Versorgungsroute parallel zum Ho-Chi-Minh-Pfad auszuschalten. Denselben Mann, älter, breiter, hatte er vor wenigen Minuten mit dem Fernglas erblickt! Und vor Jahren hatte derselbe Mann Nachschub versprochen — Munition, Mörser, Granaten, Funkgeräte. Doch nichts war angekommen! Nur Beschwerden vom Oberkommando Saigon, daß»ihr verdammten Illegalen uns Mist geliefert habt«! Aber das stimmte nicht. Saigon hatte zu spät gehandelt, zu spät reagiert, und sechsundzwanzig Männer waren für nichts und wieder nichts getötet oder gefangengenommen worden.
Borowski erinnerte sich, als wäre alles vor einer Stunde, vor einer Minute geschehen. Er hatte seine 45er aus dem Halfter gerissen und dem Offizier ohne Vorwarnung den Lauf an die Stirn gedrückt.
«Noch ein Wort, und Sie sind tot, Sergeant. «Der Mann war Sergeant gewesen!» Sie bringen uns unsere Sachen bis morgen früh um fünf, oder ich komme nach Saigon und klatsche Sie an die Wand. In welchem Puff auch immer Sie gerade stecken. Habe ich mich klar ausgedrückt? Offen gesagt, würde ich Sie am liebsten jetzt gleich schon umbringen.«
«Ihr bekommt, was ihr braucht.« »Tres bien!« hatte das älteste französische Mitglied von Medusa geschrien; der Mann, der ihm Jahre später in einem Wildgehege von Peking das Leben retten sollte. »Tu es formidable, mon fils!« Wie recht er hatte. Und auch er war tot, der legendäre D'Anjou.
Читать дальше