Der sichtlich verängstigte kleine Mann war den Tränen nahe.»Aber ich weiß keine. «Seine dicken Finger machter eine flatternde Bewegung.»Da. da liegt die Kladde! Seher Sie selbst nach!«
Er ließ Hazas los, dessen Knie sofort nachgaben, so-dass er die Wand entlang zu Boden rutschte. Bourne ignorierte ihn trat an seinen Schreibtisch und zog die Kladde zu sich heran Er sah Eintragungen in zwei verschiedenen Handschriften — eine krakelig, die andere pedantisch exakt —, vermutlich die Schriften des Tag- und Nachtportiers. Dass er die Eintragungen lesen konnte, weil er aus einem früheren Leben Ungarisch konnte, über-raschte ihn nur wenig. Indem er die Kladde leicht schief ins Licht hielt, suchte er nach radierten Flächen oder anderen Manipulationen. Aber er entdeckte nichts.
Er fuhr herum, packte Hazas, zog ihn vom Fußboden hoch.»Wie erklären Sie sich, dass dieses Päckchen nicht eingetragen wurde?«
«Mr. Conklin, ich war selbst da, als es abgegeben wurde. «Der Hoteldirektor war so erschrocken, dass das Weiße seiner Augen um die Pupillen herum sichtbar war. Er war auffällig blass geworden, und auf seiner Stirn standen Schweißperlen.»Ich hatte Dienst, meine ich. Ich schwöre Ihnen, dass das Päckchen von einem Augenblick zum anderen auf der Empfangstheke gelegen hat. Es ist einfach aufgetaucht. Weder ich noch meine Angestellten haben den Überbringer gesehen. Es war gegen zehn Uhr, wenn die meisten Gäste abreisen und wir immer viel zu tun haben. Das Päckchen muss absichtlich anonym abgegeben worden sein — das ist die einzig logische Erklärung.«
Damit hatte er natürlich Recht. Bournes wilder Zorn verflog so rasch, wie er aufgeflammt war, und er fragte sich, warum er diesen harmlosen kleinen Mann so terrorisiert hatte. Er ließ den Hoteldirektor los.
«Bitte entschuldigen Sie, Herr Hazas. Ich habe einen langen Tag mit schwierigen Verhandlungen hinter mir.«
«Ja, Sir. «Hazas tat sein Bestes, um Jackett und Krawatte ohne Spiegel zurechtzurücken, und behielt Bourne dabei im Auge, als befürchte er jeden Augenblick einen weiteren Angriff.»Natürlich, Sir. Das Geschäftsleben ist für uns alle ein großer Stress. «Er hüstelte, gewann seine Fassung einigermaßen wieder.»Darf ich Ihnen unser Wellness-Bad empfehlen? Nichts stellt das innere Gleich-gewicht schneller wieder her als ein Dampfbad und eine Massage.«
«Sehr freundlich von Ihnen«, sagte Bourne.»Vielleicht später.«
«Das Bad schließt um einundzwanzig Uhr«, sagte Ha-zas, der sichtlich erleichtert war, weil er von diesem Verrückten eine vernünftige Antwort bekommen hatte.»Aber ich brauche nur anzurufen, damit es für Sie länger offen hält.«
«Ein andermal, vielen Dank. Bitte lassen Sie mir Zahnpasta und eine Zahnbürste hinaufschicken. Ich habe meinen Kulturbeutel vergessen«, sagte Bourne beim Hinausgehen.
Sobald Hazas wieder allein war, zog er eine Schublade seines Schreibtischs auf und holte mit grässlich zitternder Hand eine Flasche Schnaps heraus. Als er sich ein Glas einschenkte, verschütterte er etwas Schnaps auf seine Kladde. Aber das kümmerte ihn nicht; er kippte den Schnaps und spürte das wohlige Brennen bis in den Magen hinunter. Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, griff er nach dem Telefonhörer und tippte eine Budapester Nummer ein.
«Er ist vor zehn Minuten angekommen«, berichtete er der Stimme am anderen Ende. Er brauchte seinen Namen nicht zu nennen.»Mein Eindruck? Ein Verrückter! Ich kann Ihnen sagen, wie ich das meine. Er hat mich fast erwürgt, weil ich ihm nicht sagen wollte, wer das Päckchen abgeliefert hat.«
Der Telefonhörer wäre ihm beinahe aus den schweißnassen Fingern gerutscht, und er wechselte die Hand. Er schenkte sich noch einen Schnaps ein.
«Natürlich habe ich’s ihm nicht gesagt, und die Zustellung ist nirgends verzeichnet. Dafür habe ich selbst gesorgt. Er hat alles sehr sorgfältig kontrolliert, das muss man ihm lassen. «Hazas hörte einen Augenblick zu.»Er ist in seine Suite hinaufgefahren. Ja, das weiß ich bestimmt.«
Er legte den Hörer auf, dann wählte er ebenso rasch eine weitere Nummer und übermittelte dieselbe Nachricht — diesmal einem anderen, weit schrecklicheren Herrn und Gebieter. Danach sank er in seinen Sessel zurück und schloss die Augen. Gott sei Dank, dass mein Part in dieser Sache damit beendet ist, dachte er.
Bourne fuhr mit dem Aufzug in die oberste Etage hinauf. Mit seiner Magnetkarte ließ sich eine der zweiflügligen Türen aus poliertem Teakholz öffnen, und er betrat eine luxuriös eingerichtete Suite. Vor den Fenstern lag die hundert Jahre alte Parklandschaft als kompakte, dunkle und dicht belaubte Masse. Die Insel war nach Margarete, der Tochter König Belas IV, benannt, die im 13. Jahrhundert hier in einem Dominikanerinnenkloster gelebt hatte, dessen Ruine hell angestrahlt am Ostufer stand. Bourne zog sich bereits aus, als er die Suite durchquerte, und hinterließ auf seinem Weg in das blitzende Luxusbad eine Spur aus Kleidungsstücken. Das Päckchen warf er ungeöffnet aufs Bett.
Er verbrachte zehn beglückende Minuten unter der Dusche, die er so heiß einstellte, wie er es aushalten konnte; dann seifte er sich ein und schrubbte den angesammelten Schmutz und Schweiß von seinem Körper. Dabei tastete er vorsichtig seine Rippen, seine Brustmuskeln ab, um abschätzen zu können, welche Schäden
Chans Angriffe angerichtet hatten. Seine rechte Schulter war sehr druckempfindlich, und er verbrachte weitere zehn Minuten damit, sie behutsam zu dehnen und sanft zu bewegen. Er hatte sie sich fast ausgerenkt, als er die Eisenleiter des Tanklasters gepackt hatte, und sie tat verdammt weh. Vermutlich hatte er eine Bänderzerrung und einen Muskelfaserriss, aber dagegen konnte er im Augenblick nicht mehr tun, als die Schulter möglichst zu schonen.
Nach drei Minuten unter eiskaltem Wasser trat er aus der Dusche und frottierte sich ab. In einem flauschigen Bademantel setzte er sich auf die Bettkante und riss das Päckchen auf. Es enthielt eine Pistole mit zwei vollen Reservemagazinen. Alex, fragte er sich nicht zum ersten Mal, in was warst du um Himmels willen verwickelt?
Er blieb lange sitzen und starrte die Waffe an. Sie wirkte ominös böse, als krieche Finsternis aus ihrem Lauf. Aber dann erkannte Bourne, dass die Finsternis aus den Tiefen seines eigenen Unterbewusstseins heraufstieg. Plötzlich wurde ihm klar, dass seine Realität nicht so aussah, wie er sie sich im Einkaufszentrum Mammut vorgestellt hatte. Sie war nicht nett und ordentlich, nicht rational wie eine mathematische Gleichung. Die reale Welt war chaotisch, Rationalität war nur das System, das die Menschen zufälligen Ereignissen zu oktroyieren versuchten, um sie geordnet erscheinen zu lassen. Sein Wutanfall hatte nicht dem Hoteldirektor gegolten, das erkannte er jetzt ziemlich schockiert, sondern — Chan. Er hatte ihn beschattet, ihm zugesetzt und ihn schließlich reingelegt. Bourne wünschte sich nichts mehr, als dieses Gesicht in den Staub zu drücken, um es aus seiner Erinnerung zu tilgen.
Beim Anblick des Buddhas war vor seinem inneren Auge wieder sein vierjähriger Joshua aufgetaucht. Über Saigon sank der Abend herab, der Himmel war safrangelb und grün-golden. Joshua kam aus dem Haus am Fluss gelaufen, als David Webb aus dem Büro heimkam. Webb schloss den Kleinen in die Arme, schwenkte ihn im Kreis herum und küsste ihn auf die Wangen, obwohl der Junge sich dagegenstemmte. Er ließ sich nie gern von seinem Vater küssen.
Jetzt sah Bourne seinen kleinen Sohn abends im Bett liegen. Zikaden und Baumfrösche ließen ihre Stimmen hören, und die Lichter vorbeifahrender Boote wurden von der Wand gegenüber dem Fenster zurückgeworfen. Joshua hörte zu, als Webb ihm eine Geschichte vorlas. Jeden Samstagmorgen spielte Webb mit Joshua Fangball, wofür er einen Baseball benützte, den er bis aus Amerika mitgebracht hatte. Der Widerschein der Lichter glitt über Joshuas unschuldiges Kindergesicht und ließ es sanft leuchten.
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