«Ich weiß nicht…«
«Erzählen Sie’s mir«, sagte Spalko mit samtweicher
Stimme, während seine Hand in dem Latexhandschuh die schweißnasse Stirn seines Opfers tätschelte.»Erzählen Sie’s mir, dann ist alles vorbei, als würden Sie aus einem schlimmen Traum erwachen.«
Molnar verdrehte die Augen nach oben.»Versprechen Sie’s mir?«, fragte er wie ein kleines Kind.
«Haben Sie Vertrauen zu mir, Laszlo. Ich will, was auch Sie wollen — ein Ende Ihrer Qualen.«
Molnar weinte jetzt. Aus seinen Augen quollen große Tränen, die milchig und rosa wurden, als sie über sein Gesicht rollten. Und dann begann er hemmungslos zu schluchzen, wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte.
Spalko sagte nichts. Er wusste, dass sie das kritische Stadium erreicht hatten. Jetzt ging es um alles oder nichts: Molnar würde sich in den Abgrund stürzen, an den Spalko ihn so trickreich geführt hatte, oder er würde sich dazu zwingen, in Schmerzen zu erlöschen.
Molnars Körper zitterte unter dem Sturm aus Emotionen, den das Verhör ausgelöst hatte. Nach einiger Zeit ließ er den Kopf zurücksinken. Sein Gesicht war grau und erschreckend abgehärmt; seine Augen, die weiter von Tränen glänzten, schienen noch tiefer in ihre Höhlen gesunken zu sein. Nichts erinnerte mehr an den lebhaften, leicht beschwipsten Opernliebhaber, den Spalkos Männer im Underground betäubt hatten. Er war wie verwandelt. Er war restlos erschöpft.
«Gott verzeih mir«, flüsterte er heiser.»Dr. Schiffer ist auf Kreta. «Er brabbelte eine Adresse.
«Braver Junge«, sagte Spalko leise. Damit war das Puzzlespiel endlich vollständig. Heute Abend würden seine» Mitarbeiter «und er nach Kreta fliegen, um Felix
Schiffer zu entführen und ihm die Informationen zu entlocken, die sie noch brauchten, um ihren Anschlag auf das Hotel Oskjuhlid durchführen zu können.
Molnar gab einen animalischen kleinen Laut von sich, als Spalko das Folterwerkzeug fallen ließ. Er verdrehte seine blutunterlaufenen Augen und war dicht davor, erneut in Tränen auszubrechen.
Langsam, fast zärtlich setzte Spalko den Becher an Molnars Lippen und beobachtete desinteressiert, wie er gierig den heißen, süßen Kaffee trank.»Endlich erlöst. «Ob er mit Molnar oder sich selbst sprach, blieb unklar.
Nachts glich das Parlamentsgebäude in Budapest einem großen ungarischen Bollwerk gegen die wilden Horden, die in der Vergangenheit über das Land hereingebrochen waren. Dem durchschnittlichen Touristen, der wegen der Größe und Schönheit des Bauwerks von Ehrfurcht ergriffen war, erschien es solide, zeitlos, unantastbar. Aber Jason Bourne, der vor kurzem nach anstrengender Reise von Washington, D.C. über Paris in Budapest angekommen war, erschien es nur als ein fantastischer Bau, der geradewegs aus einem Märchenbuch hätte stammen können: ein Gebilde aus überirdisch weißem Stein und blassgrünem Kupfer, das bei einsetzender Dunkelheit jederzeit einstürzen konnte.
Bourne war in trüber Stimmung, als das Taxi ihn am Moszkva ter in der Nähe der beleuchteten Kuppel des Einkaufszentrums Mammut absetzte, in dem er sich neu einkleiden wollte. Als der französische Militärkurier Pierre Montefort war er bei der Einreise an der ungarischen Pass- und Zollkontrolle durchgewinkt worden. Aber er musste seine Uniform, die Robbinet ihm besorgt hatte, loswerden, bevor er im Hotel Danubius als Alex Conklin auftreten konnte.
Er kaufte eine Cordsamthose, ein Baumwollhemd von Sea Island und einen schwarzen Pullover mit rundem Halsausschnitt, schwarze Stiefel mit dünnen Sohlen und eine Bomberjacke aus schwarzem Leder. Während er durch die Geschäfte und die Ladenpassagen mit dem Gedränge der Kauflustigen streifte, absorbierte er allmählich ihre Energie und fühlte sich erstmals seit Tagen wieder als der Alltagsweit zugehörig. Er erkannte, dass sein jäher Stimmungsumschwung daher rührte, dass er das Rätsel Chan gelöst hatte. Natürlich war er nicht Joshua; er war nur ein genialer Hochstapler. Irgendein unbekanntes Wesen — Chan selbst oder seine Auftraggeber —, hatte es auf ihn abgesehen, wollte ihm einen solchen Schrecken einjagen, dass er sich nicht mehr konzentrieren konnte und die Ermordung von Alex Conklin und Mo Panov für belanglos hielt. Konnten sie ihn nicht beseitigen, konnten sie zumindest erreichen, dass er sich mit der vergeblichen Suche nach seinem Phantomsohn verzettelte. Woher Chan oder seine Auftraggeber überhaupt von Joshua wussten, war eine weitere Frage, auf die er eine Antwort suchte. Aber seit er den anfänglichen Schock nun auf ein rationales Problem reduziert hatte, konnte sein überragender logischer Verstand das Problem in seine Bestandteile zerlegen, woraus dann ein Angriffsplan entstehen würde.
Bourne brauchte Informationen, die nur Chan liefern konnte. Er musste den Spieß umdrehen und Chan in eine Falle locken. Der erste Schritt dazu war, dass er Chan wissen ließ, wo er sich aufhielt. Er bezweifelte nicht, dass Chan, der den Bestimmungsort des Frachtflugzeugs gekannt hatte, jetzt in Paris war. Chan konnte sogar von seinem» Unfalltod «auf der Ai gehört haben. Tatsächlich war er nach allem, war Bourne von ihm wusste, genau so ein Chamäleon wie er selbst. An seiner Stelle hätte Bourne als Erstes versucht, Erkundigungen bei der Surete Nationale einzuziehen.
Zwanzig Minuten später verließ Bourne das Einkaufszentrum, nahm ein Taxi, das eben einen Fahrgast absetzte, und stieg nach kurzer Fahrt auf der Margareteninsel vor dem imposanten Säulenportal des Grandhotels Danubius aus. Ein livrierter Türsteher geleitete ihn hinein.
Bourne war in einem Zustand, als hätte er seit einer Woche nicht mehr geschlafen. Er durchquerte die in poliertem Marmor gehaltene Hotelhalle. Am Empfang stellte er sich als Alexander Conklin vor.
«Ah, Mr. Conklin, wir haben Sie erwartet. Einen Augenblick, wenn ich bitten darf.«
Der Angestellte verschwand im Büro hinter der Rezeption. Als er wenig später zurückkam, brachte er den Hoteldirektor mit.
«Willkommen, willkommen! Mein Name ist Hazas, ich stehe zu Ihrer Verfügung. «Dieser Gentleman war klein, untersetzt und schwarzhaarig; er hatte ein Menjoubärtchen und einen wie mit dem Lineal gezogenen Scheitel. Er streckte Bourne eine Hand hin, die warm und trocken war.»Mr. Conklin, es ist mir ein Vergnügen. «Er machte eine Handbewegung.»Folgen Sie mir bitte!«
Er führte Bourne in sein Büro, in dem er einen Wandsafe öffnete und ein Päckchen etwa von der Größe eines Schuhkartons herausnahm, dessen Empfang er sich von Bourne quittieren ließ. Auf dem Packpapier stand: MR. ALEXANDER CONKLIN. WIRD ABGEHOLT. Das Päckchen war nicht frankiert.
«Es ist hier abgegeben worden«, sagte Hazas auf Bournes Frage.
«Von wem?«, fragte Bourne.
Der Hotel direktor breitete die Hände aus.»Tut mir Leid, das weiß ich nicht.«
Bourne empfand jähen Zorn.»Was soll das heißen? Sie wissen es nicht! Das Hotel führt doch bestimmt Buch über von Boten zugestellte Sendungen?«
«Oh, gewiss, Mr. Conklin. Wie auf allen Gebieten nehmen wir es damit sehr genau. Aber in diesem speziellen Fall — und ich weiß nicht, weshalb — scheint es keinerlei Aufzeichnungen zu geben. «Hazas lächelte hoffnungsvoll, während er hilflos mit den Schultern zuckte.
Nach dreitägigem Überlebenskampf, in dem er einen Schock nach dem anderen hatte überwinden müssen, war Bourne mit seiner Geduld am Ende. Zorn und Frustration ließen blinde Wut aufflammen. Er schloss die Tür mit einem Fußtritt, packte Hazas an seinem steif gestärkten Hemd und knallte ihn mit solcher Gewalt an die Wand, dass die Augen des Hoteldirektors aus den Höhlen zu quellen drohten.
«Mr. Mr. Conklin«, stammelte er,»ich habe wirklich keine.«
«Ich will eine Antwort!«, knurrte Bourne.»Und ich will sie sofort!«
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