«Ich habe Alex zuletzt vor etwa einem halben Jahr hier in Paris getroffen. Wir waren miteinander essen. Mein Eindruck war, dass er in Gedanken ganz woanders war. Aber du kennst Alex ja — immer schweigsam wie ein Grab. «Robbinet seufzte.»Sein Tod ist ein schrecklicher Verlust für uns alle.«
Bourne verließ den Beltway über die Ausfahrt 123 und fuhr zu Tysons Corner weiter.»Sagt NX 20 dir irgendetwas?«
«Mehr hast du nicht? NX 20?«
Er fuhr zur Parkterrasse C von Tysons Corner.»Mehr oder weniger. Ich möchte, dass du Erkundigungen wegen eines Mannes anstellst: Dr. Felix Schiffer. «Er buchstabierte den Namen.»Er arbeitet bei der DARPA.«
«Ah, damit lässt sich etwas anfangen. Mal sehen, was ich für dich tun kann.«
Bourne gab ihm seine Handynummer, während er aus dem Wagen stieg.»Pass auf, Jacques, ich bin nach Budapest unterwegs, aber ziemlich abgebrannt.«
«Kein Problem«, versicherte Robbinet ihm.»Bleibt’s bei der bisherigen Vereinbarung?«
Bourne hatte keine Ahnung, wie sie ausgesehen hatte. Er konnte nur zustimmen.
«Bon. Wie viel?«
Er fuhr am Aviarium vorbei mit der Rolltreppe nach oben.»Zwanzigtausend müssten reichen. Ich wohne als Alex Conklin im Grandhotel Danubius. Lass das Päckchen an der Rezeption für mich abgeben, damit ich’s bei der Ankunft bekomme.«
«Mais oui, Jason. Das veranlasse ich sofort. Kann ich dir sonst irgendwie behilflich sein?«
«Im Augenblick nicht. «Bourne sah Deron vor einem
Laden stehen, der sich Dry Ice nannte.»Danke für alles, Jacques.«
«Denk daran: Vorsicht, mon ami «, sagte Robbinet, bevor er das Gespräch beendete.»Wo Chan mitspielt, ist alles möglich.«
Deron hatte Bourne kommen sehen und ging langsam weiter, damit Bourne ihn einholen konnte. Er war ein schmächtiger Mann mit kaffeebraunem Teint, markantem Gesicht mit hohen Backenknochen und blitzenden Augen, aus denen ein scharfer Intellekt leuchtete. In seinem leichten Sommermantel, unter dem er einen gut geschnittenen Anzug trug, und mit einem glänzenden bordeauxroten Aktenkoffer in der Hand war er jeder Zoll ein Geschäftsmann. Er lächelte, als sie nebeneinander durch das Einkaufszentrum gingen.
«Freut mich, dich mal wieder zu treffen, Jason.«
«Nur schade, dass die Umstände so unerfreulich sind.«
Deron lachte.»Teufel, ich treffe dich leider nur in Krisensituationen!«
Während sie miteinander redeten, beurteilte Bourne Sichtachsen, registrierte Fluchtwege, kontrollierte Gesichter.
Deron öffnete seinen Aktenkoffer und gab Bourne einen gepolsterten Umschlag.»Pass und Kontaktlinsen.«
«Danke. «Bourne steckte den Umschlag ein.»Ich sorge dafür, dass du das Geld in spätestens einer Woche bekommst.«
«Klar doch. «Deron winkte mit einer langfingrigen Künstlerhand ab.»Du hast Kredit bei mir. «Er zog Bourne in eine Ecke, in der sie unbeobachtet waren, und drückte ihm noch etwas in die Hand.»Kritische Situationen erfordern extreme Maßnahmen.«
Bourne wog die kleine Pistole prüfend in der Hand.»Woraus besteht sie? Sie ist so leicht.«
«Kunststoff und Keramikmaterial. Daran habe ich ein paar Monate gearbeitet«, sagte Deron sichtbar stolz.»Für größere Entfernungen wertlos, aber aus der Nähe absolut brauchbar.«
«Außerdem ist sie bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen unsichtbar.«
Deron nickte.»Und Munition. «Er gab Bourne eine kleine Pappschachtel.»Keramikgeschosse mit Kunststoffspitze als Ausgleich für das kleine Kaliber. Ein weiterer Pluspunkt sind die Schlitze hier am Lauf: Sie verringern den Schussknall. Ein Schuss ist nicht lauter, als wenn du dir mit einer Faust in die Hand schlägst.«
Bourne runzelte die Stirn.»Setzt das nicht die Durchschlagskraft herab?«
Deron lachte.»Ballistik von gestern, mein Lieber. Glaub mir, wenn du damit jemanden umlegst, bleibt er liegen.«
«Deron, du bist ein echtes Multitalent.«
«He, das muss man heutzutage sein. «Der Fälscher seufzte schwer.»Alte Meister zu kopieren hat zweifellos seine Reize. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel ich durchs Studium ihrer Malweise dazugelernt habe. Aber die Welt, die du mir erschlossen hast — eine Welt, von der hier außer uns beiden kein Mensch etwas weiß —, nun, die nenne ich aufregend. «Ein kühler Wind, der Regen bringen würde, war aufgekommen, und Deron klappte seinen Mantelkragen hoch.»Ich gestehe, dass ich früher davon geträumt habe, einige meiner eher ungewöhnlichen Produkte Leuten wie dir zu verkaufen. «Er schüttelte den Kopf.»Aber das ist vorbei. Was ich heutzutage nebenbei tue, mache ich zum Spaß.«
Bourne sah einen Mann vor einem Schaufenster Halt machen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er blieb dort stehen und schien die ausgestellten Schuhe zu betrachten. Das Dumme war nur, dass es Damenschuhe waren. Bourne machte Deron ein Zeichen, und sie wandten sich nach links, entfernten sich von dem Schuhgeschäft. Im nächsten Augenblick nutzte Bourne eine andere Schaufensterscheibe als Spiegel, um die Fläche hinter sich abzusuchen. Der Mann in dem Trenchcoat war nirgends zu sehen.
Er wog die Pistole prüfend in der Hand, sie kam ihm federleicht vor.»Wie viel?«, fragte er.
Deron zuckte mit den Schultern.»Sie ist ein Prototyp. Sagen wir einfach, dass du den Preis danach festlegst, wie sehr sie dir nützt. Ich weiß, dass du fair sein wirst.«
Nachdem Ethan Hearn in Budapest angekommen war, hatte er einige Zeit gebraucht, um sich an die Tatsache zu gewöhnen, dass die Ungarn an alles, was sie taten, ebenso pragmatisch wie rational herangingen. Daher lag die Bar Underground im Stadtteil Pest im Keller des Hauses 30 Terez Köruta unter einem Filmtheater. Auch ihre Lage unter einem Kino verdankte sie dieser ungarischen Geisteshaltung, denn Underground war eine Hommage an den bekannten ungarischen Filmemacher Emir Kusturica und seinen gleichnamigen Film. Aus Hearns Sicht war die Bar postmodern im hässlichsten Sinn des Wortes. Zwischen den nackten Stahlträgern der Deckenkonstruktion hingen riesige Ventilatoren, die die rauchgeschwängerte Luft auf die trinkenden und tanzenden Gäste hinabbliesen. Was Hearn im Underground jedoch am wenigsten gefiel, war die Musik: eine laute, kakopho-ne Mischung aus zornigem Garagenrock und verschwitztem Funk.
Seltsamerweise schien die Musik Laszlo Molar nicht zu stören. Er machte vielmehr den Eindruck, als wolle er möglichst lange in der Gesellschaft dieser Hüften schwenkenden Menschen bleiben — als widerstrebe es ihm, nach Hause zu fahren. In seiner Art lag etwas Zerbrechliches, fand Hearn, in seinem spröden Lachen, in der Art, wie seine Augen den Raum absuchten, ohne jemals etwas oder jemanden länger zu fixieren, als lauere dicht unter seiner Haut ein dunkles, quälendes Geheimnis. Durch seinen Beruf hatte Hearn viel Umgang mit reichen Leuten. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, ob übermäßig großer Reichtum die menschliche Psyche schädigen konnte. Vielleicht war das der Grund dafür, dass er selbst nie nach Reichtümern gestrebt hatte.
Molnar bestand darauf, ihn zu einem Drink einzuladen: einem scheußlich süßen Cocktail namens Causeway Spray, der aus Whisky, Gingerale, Triple Sec und Zitronensaft gemixt wurde. Sie fanden einen kleinen Ecktisch, an dem es so dunkel war, dass Hearn kaum die Getränkekarte lesen konnte, und diskutierten weiter über die Oper, was in dieser Umgebung absurd wirkte.
Nach dem zweiten Drink wurde Hearn auf Spalko aufmerksam, der in dem bläulichen Dunst im rückwärtigen Teil des Clubs stand. Als sein Boss ihn zu sich heranwinkte, entschuldigte Hearn sich für einen Augenblick. In Spalkos Nähe lungerten zwei Männer herum. Sie schienen nicht ins Underground zu gehören, dachte Hearn, aber andererseits traf das auch auf Laszlo Molnar und ihn zu. Spalko führte ihn durch einen düsteren Gang, an dessen Decke kleine Spots wie Sterne leuchteten.
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