»Ich weiß«, sagte Carter. »Und der Fund wird auch nicht vor dem späten Nachmittag hier sein. Wahrscheinlich nicht vor fünf oder sechs.«
Hank schüttelte den Kopf und schaltete den Fernseher aus. »So lange kann ich nicht bleiben.«
»Das verstehe ich«, sagte Carter. »Professor Russo ist jetzt hier …«
Hank und Joe nickten einander zu.
»… und wir können hier die Stellung halten. Alles, was wir brauchen, sind die Schlüssel für die Türen an der Laderampe.«
Hank stand auf und nahm einen massiven Schlüsselbund von seinem Gürtel. Er musterte diverse Schlüssel, bis er schließlich zwei große Schlüssel losmachte. »Diese hier sind für die Vorhängeschlösser. Sobald Sie die aufgeschlossen haben, drücken Sie den Knopf an der Wand dort drüben …«, er deutete auf einen roten Knopf in einem roten, auf die Wand gemalten Kreis, »… und die Türen öffnen sich. Sobald Sie noch einmal drücken, schließen sie sich wieder.« Er reichte Carter die Schlüssel. »Das war’s.«
»Danke.«
Hank blickte auf. »Sie haben noch gar nichts zu den Lampen gesagt, die ich zurechtgebastelt habe.«
Carter, der schon zuvor im Labor gewesen war, hatte sie bereits bewundert, aber es stimmte, er hatte bisher noch nichts zu Hank gesagt. »Sie sehen gut aus. Genau so etwas haben wir gebraucht.«
Über ihren Köpfen hatte Hank an zwei über Kreuz gespannten dicken Drähten vier helle Scheinwerfer befestigt.
»Sehen Sie sich das an«, sagte Hank stolz, ging zur Wand und drückte auf einen wackelig angebrachten Schalter. Auf der Stelle wurde der halbdunkle Raum mit der hohen Decke in blendend weißes Licht getaucht. Instinktiv bedeckte Carter seine Augen. War das nicht sogar noch mehr Wattleistung, als er ausgehandelt hatte? Als sich seine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, blickte er zu Joe hinüber, der ebenso demonstrativ nicht nach oben blickte.
»Zu viel für Sie?«, fragte Hank. »Sie sagten, Sie wollten eine ganze Menge Licht haben, Professor.«
»Nein, es ist gut«, sagte Carter und nahm sich vor, nächstes Mal eine Baseballkappe mit langem Schirm mitzubringen.
»Also gut, wenn es für Sie okay ist, dann mach ich mal ’nen Abflug.« Hank zog den Stecker des Fernsehers, wickelte die Schnur um das Gerät und hielt dann noch einmal inne. »Soll ich Ihnen den Fernseher hierlassen? Er gehört mir, aber ich kann Ihnen den leihen, wenn Sie wollen.«
Plötzlich schien das Carter eine sehr gute Idee zu sein. »Wirklich?«
»Klar. Ich hole ihn dann morgen früh ab.« Hank zog seinen Parka von der Stuhllehne und ging in Richtung Metallrampe. »Ich hoffe, Sie müssen nicht allzu lange warten«, sagte er und verschwand durch die Tür, die in den Lagerraum führte.
»Ich werde Sonnencreme benutzen müssen, wenn wir hier arbeiten«, sagte Joe.
»Vielleicht können wir ihn dazu bringen, ein oder zwei Scheinwerfer wieder abzuklemmen.«
Joe sah sich nach einem zweiten Stuhl um, entdeckte einen zwischen zwei Holzkisten und zerrte ihn hinüber zum Schreibtisch. »Zeigt das amerikanische Fernsehen Fußball?«
»Nein, nur Football«, sagte Carter, der wusste, dass Russo europäischen Fußball meinte, der hier drüben Soccer hieß. »Aber an einem Sonntagnachmittag im Oktober stehen die Chancen verdammt gut, ein Spiel im American Football zu erwischen.« Carter wickelte das Kabel wieder ab, steckte den Stecker in die Steckdose und schaltete das Gerät ein. In der Sendung, die Hank sich angeschaut hatte, ging es anscheinend um Angeln in Minnesota, aber nachdem er zweimal weitergeschaltet hatte, stieß Carter auf die Übertragung des Spiels zwischen den Chicago Bears und den New York Jets. Seine Heimatstadt gegen seine Wahlheimat. Sie mochten noch einen langen Tag vor sich haben, aber so furchtbar würde es nicht werden.
Etwa jede Stunde einmal rief Carter beim Frachtbüro am Kennedy Airport an, um auf dem neuesten Stand zu bleiben. Nachdem er von einem schnellen Essenseinkauf vom Feinkostladen um die Ecke zurückkam, berichtete Joe ihm, dass das Büro angerufen habe, während er weg war. »Es ist am Boden«, sagte Joe, während Carter die Regentropfen von seiner Jacke wischte. Es hatte zu nieseln begonnen. »In etwa einer Stunde wird es hier sein.«
Carter konnte seine Erregung kaum verbergen, während Joe merkwürdig leidenschaftslos blieb. Er packte sein Roastbeef-Sandwich und die Cola aus, die Carter ihm mitgebracht hatte, und hielt den Blick starr auf den Fernseher gerichtet. Vielleicht lag es daran, dass er schon so lange mit dem Fossil lebte, dachte Carter. Inzwischen hatte es seinen Reiz für ihn verloren.
Entweder das, oder die nervöse Erschöpfung forderte ihren Tribut.
Keiner von ihnen hatte viel zu den Ereignissen der letzten Nacht gesagt, und Carter hatte es absichtlich heruntergespielt. Doch wenn Joe in den letzten paar Wochen so gelebt hatte, konnte Carter nachvollziehen, warum er so müde und verstört wirkte. Und was das Kruzifix über dem Sofa anging … nun, Joe wäre nicht der erste Wissenschaftler, dem Carter begegnete, der insgeheim zu einem Glaubenssystem Zuflucht nahm, das kaum mit der empirischen Natur seiner – ihrer – Berufung in Einklang zu bringen war.
Genau zwei Stunden später kam der Truck am Bio-Gebäude an. Noch ehe der Fahrer geklingelt hatte, hörte Carter, wie der Wagen rückwärts an die Laderampe heranfuhr. Wie ein Kind am Weihnachtsmorgen sprang Carter von seinem Stuhl auf und fummelte mit den Schlüsseln an den Vorhängeschlössern herum. Als er die Schlösser endlich aufbekommen hatte, hatte der Fahrer auch die Klingel erreicht, und ein lautes Scheppern hallte durch den Raum. Joe steckte sich die Finger in die Ohren, während Carter auf den roten Knopf drückte, der den elektrischen Türöffner in Gang setzte. Langsam öffneten sich die großen Tore, mit einem schrillen Winseln, das in die Kakophonie einfiel.
Es war dunkel geworden, und die Ladezone draußen wurde von den hellen roten Rücklichtern des Trucks und dem unheilvollen grellgelben Licht der Straßenlaternen beleuchtet. Ein kalter Wind wehte, blies so kräftig, dass die Straßenlaternen schwankten und unruhige Schatten auf den nassen schwarzen Asphalt warfen. Ein heftiger Regenguss ging schräg nieder, trommelte hart auf das Dach des Trucks und verschwand gurgelnd in den Regenrinnen.
Carter stand am Eingang und wurde erneut vollkommen nass, aber er kümmerte sich nicht darum. Er wollte nur das Fossil sehen. Zwei Arbeiter hatten bereits eine Rampe ausgelegt, die vom Truck auf den Boden führte. Bis jetzt konnte Carter nur einen riesigen dunklen Block im Inneren des Trucks erkennen. Er war in strapazierfähige Plastikplanen verpackt, die mit breiten Streifen hellgelben Klebebandes verklebt waren, und mit mehreren dicken silbrigen Ketten gesichert. Es sah aus, als stünde er leicht erhöht auf einer Art Plattform.
Ein kleiner Mann in brauner Militäruniform sprintete aus der Fahrerkabine des Trucks und rannte ins Gebäude. Er trug eine Mütze mit seinen Rangabzeichen, und sobald er es unter das Dach des improvisierten Labors geschafft hatte, riss er sich die Mütze vom Kopf und klopfte sich das Regenwasser von dem glänzenden schwarzen Schirm.
» Professore Cox?«, sagte er mit starkem Akzent zu Carter.
»Ja, das bin ich.«
Die Augen des Mannes waren klein und dunkel wie Kieselsteine. Sein Blick wanderte im Raum herum, während er sprach. »Ich bin Leutnant DiPalma. Ich bin für die Fracht zuständig. Ich kann die Ladung nur Ihnen geben.«
»Großartig, dann sind wir uns ja einig. Ich nehme sie.«
»So einfach ist das nicht. Zuerst muss ich Ihre Kopie der internationalen Frachtpapiere sehen. Sie haben sie doch bei sich, oder?«
»Ach ja, natürlich.« Carter drehte sich um, um sie zu holen, aber Joe brachte sie ihm bereits vom Schreibtisch. »Dies ist Professor Russo«, sagte Carter, »der Mann, der …«
Читать дальше