»Warum nicht?« O’Connor legte die Fingerspitzen aufeinander. »Es berührt mein Arbeitsgebiet.«
»Licht?«
»Nein, Sprache. Ich denke, es ist kein Krieg.«
»Kein Krieg?« Die Dezernentin wirkte verdattert. »Das müssen Sie mir erklären.«
»Oh, dazu bin ich nicht prädestiniert«, sagte O’Connor bescheiden. »Ich verstehe nichts von Politik. Die Nato müsste es erklären.«
»Dass es kein Krieg ist?«
»Jamie Shea spricht immer nur von Luftangriffen. Würde er von Krieg sprechen, müsste er verbindlich die Rechtsgrundlage dieses Krieges erläutern. Offenbar kann er das nicht und tut es nicht, also ist es kein Krieg.«
»Was denn sonst? Da fallen Bomben.«
»Nun, es ist kein Angriffskrieg, richtig? Alle beteiligten Nationen unterhalten Verteidigungsministerien, keine Angriffsministerien, also kann es kein Angriffskrieg sein.«
»Hm«, machte die Dezernentin. »Richtig.«
»Bleibt der Verteidigungskrieg. Wir müssen uns aber nicht verteidigen. Jugoslawien hat ja keinen von uns angegriffen. Richtig?«
»Auch richtig.«
»Ja, aber – wie sollen wir es dann nennen?«
»Wie wär’s mit Intervention?«, meinte Kuhn. »Ich nehme übrigens die Kartoffelsuppe und das Rumpsteak.«
»Ja, so nennen es alle«, sagte O’Connor. »Intervention. Nun, ich bin politisch ein ausgemachter Schafskopf. Pardon, aber was heißt das? So etwas wie eine Polizeiaktion gegen verbrecherische Aktivitäten?«
»Vielleicht.«
»Aber die Nato hat keine Hoheit über Jugoslawien. Als Polizei kann sie da nicht wirksam werden.«
»Sie machen’s aber ganz schön kompliziert.« Der Vorstand förderte ein Kistchen Zigarillos zutage. »Gestatten Sie? Irgendjemand sonst? Was im Kosovo geschieht, ist blanker Terrorismus. Dagegen wollen Sie nicht vorgehen?«
»Doch. Wenn es Terrorismus ist, dann wäre jeder Beteiligte nach jugoslawischer Rechtsauffassung ein Straftäter. Dann müsste er verurteilt werden. Von jugoslawischen Richtern, meine ich. Sehen Sie, hier scheint es einen Konflikt zu geben zwischen rechtlicher und moralischer Legalität. Was mich beunruhigt, ist nicht so sehr, wenn jemand aus moralischen Gründen den Einsatz von Gewalt legitimiert, sondern dass er sich gezwungen sieht, das geltende Recht dafür zu umgehen. Das lässt nur zwei Schlüsse zu. Entweder er ist selbst im Unrecht, oder das geltende Recht ist im Unrecht. Glauben Sie, die Nato hat darüber nachgedacht, bevor sie tat, was möglicherweise richtig ist?«
»Na ja. Wenn Sie es so sehen…«
»Verzeihen Sie.« O’Connor hob die Hände. »Ich wurde gefragt. Ich bin nur ein Physiker, der Bücher schreibt, kein Politiker. Mir teilt sich lediglich mit, dass keiner die Sache Krieg nennen mag, und da frage ich mich halt, wenn die Nato nicht so richtig weiß, was es ist, ob sie dann vielleicht auch nicht so richtig weiß, was sie tut.«
»Heißt das nun, Sie sind dafür oder dagegen?«, sagte die Schauspielerin.
Der Vorstand verdrehte die Augen und trank.
»Ich weiß es eben nicht«, sagte O’Connor, »weil ich immer noch nicht weiß, was es ist.«
»Ein Akt der Gerechtigkeit!«, sagte der IHK-Vertreter mit Entschiedenheit. »Das ist es! Die Entenbrust klingt übrigens ganz ausgezeichnet.«
»Hm.«
»Finden Sie nicht?«
»Doch, ausgezeichnet.« O’Connor schürzte die Lippen. »Wissen Sie, ich finde es gerecht, Übel zu beseitigen. Wie gesagt, ich bin blutiger Laie, und von Kriegsführung – pardon, Interventionismus! – verstehe ich nun gar nichts. Meine innere Logik sagt mir, dass es ergo ungerecht ist, Übel zu verursachen. Also kann ein Akt nur dann gerecht sein, wenn er Übel beseitigt, ohne welche zu verursachen, richtig?«
Die Dezernentin lächelte und schwieg.
»Ich weiß ja jetzt, es ist nur ein Akt, über den wir reden, gottlob kein Krieg«, fuhr O‘Connor gut gelaunt fort. »Und natürlich wusste die Nato ganz genau, dass die entstehenden Probleme die zu beseitigenden nie dominieren würden. Ebenso wie sie wusste, dass sie den Akt über Nacht gewinnen würde, weil sie so kompetent vorgeplant hatte. So gesehen bin ich absolut für den Akt. Cheers, Herrschaften.«
»Vielleicht sollten wir…«, begann Wagner.
»Natürlich ist es Krieg«, bemerkte der Buchhändler unwirsch. »Alles andere wäre ja Spiegelfechterei. Wer so argumentiert, kann überhaupt nie handeln, frei nach dem Motto: Bring deine Frau ruhig um, ich tue nichts dagegen, solange du es in deiner Wohnung machst. Es ist Krieg, zugegeben, aber es ist ein Krieg der Werte. Was meinen Sie, ist die Seezunge gut?«
»Bestimmt.«
»Augenblick.« O’Connor schüttelte den Kopf. »Wir verteidigen also Werte?«
»Genau.«
»Welche?«
»Die Seezunge mit Reis. Quatsch… ähm… na ja, das Leben… das Recht zu leben… das menschliche Leben hat einen Wert. Wenn dieser Wert attackiert wird .«
»Ich bin nicht Ihrer Meinung«, sagte O’Connor. »Mir ist diese Ideologie der Werte suspekt, wenn ich das sagen darf. Werte sind
Bestandsaufnahmen der jeweiligen Kultur, die diese Werte postuliert. Im Westen haben wir westliche Werte, den Western way of life. Unsere Auffassung davon, was Werte sind, müssen wir nicht verteidigen, weil niemand sie angegriffen hat. Ebenso wenig können wir sie einem anderen Land aufzwingen, wenn es diese Werte nicht teilen mag. Glauben Sie im Ernst, die Kosovo-Albaner verkörpern unsere Wertvorstellungen?«
»Natürlich nicht!«
»Welche Werte wollen Sie dann verteidigen?«
»Den Wert des Lebens. Ist das etwa nichts?«
»Augenblick! Sie meinen Menschenrechte. Unveräußerliche Menschenrechte. Werte als solche sind abstrakt, also verteidigen wir schlussendlich wieder Menschen.«
»Wortklauberei. Das ist doch dasselbe!«
»Verzeihen Sie einem alten Schwätzer. Ich bin sicher, dass auch Milosevic ganz und gar der Meinung ist, Werte zu verteidigen. Hitler war das auch. Saddam Hussein ist es. Die Hisbollah meint, Werte zu verteidigen, die IRA, die ETA, die RAF waren der Ansicht. Werte verteidigen ist Unsinn. Wer meint, das zu tun, handelt nicht im Sinne real existierender Werte, sondern ficht seine persönliche Auffassung von Werten durch. Und das muss ganz und gar nicht im Interesse von Menschen geschehen. Sehen Sie, wir können uns nicht einmal auf objektiv gültige und die Situation beschreibende Vokabeln einigen. Niemand in diesem Krieg scheint das zu können, also worüber sollen wir reden? Schlicht und einfach darum sollten wir meiner Ansicht nach vergnüglichere Dinge besprechen, wie zum Beispiel Bücher. Wenn wir schon die Verschleierung der Wirklichkeit behandeln, dann wenigstens ganz auf dem Boden der Fiktion.«
Schweigen machte sich breit.
»Stimmt. Unser Gipfel ist die Literatur«, verkündete Kuhn endlich.
»Ganz richtig.«
»Genau!«
Das Gespräch drohte zu versanden. Ein Kellner eilte zur Rettung herbei und nahm geflissentlich Bestellungen auf. Im Folgenden verlagerte sich der Gesprächsgegenstand auf das Thema Wein, wozu bis auf Kuhn jeder etwas zu sagen wusste. Wagner schloss kleine Wetten mit sich ab, wie lange es dauern würde, bis die Runde ihr Augenmerk den Neuentwicklungen der Automobilindustrie zuwendete.
»Männer verstehen von so vielen Dingen etwas«, raunte sie der Kulturdezernentin zu. »Ich bin jedes Mal sprachlos.«
»Ja, ich sage auch irgendwann nichts mehr.«
O’Connor drehte langsam den Kopf und schickte Wagner einen Blick, der zu sagen schien, warum gehen wir dann nicht in eine hübsche Bar und lassen die anderen weiterschwadronieren? Lauschen irgendeiner geschmackvollen Anekdote am rauchüberwölkten Tresen. Verfallen der Musicbox und ihren Erinnerungen. Lassen die Politikaster schwätzen und sich gegenseitig einen runterholen auf den Kölner Frieden und den Krieg der Werte, während wir leidenschaftlich die Klappe halten.
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