»Wie gefällt Ihnen Plan B?«, fragte sie und wechselte damit unmissverständlich das Thema.
»Schwierig, so etwas in der Stadt zu machen«, sagte Mirko. »Die andere Variante gefällt mir besser. Draußen am Flughafen hätten wir im Übrigen auch so etwas wie Plan B, eine zweite Möglichkeit, falls es beim ersten Mal nicht klappen sollte.«
»Dann sind wir einer Meinung.«
»Außerdem ist der Standort hervorragend gewählt. Die Spedition scheint mir ideal.«
»Ich habe sie bis nächste Woche optioniert. Dann müssen wir uns entscheiden.«
»Wir sollten sie kaufen.«
»Einverstanden.«
»Ich leite alles Erforderliche in die Wege. Aber natürlich müssen wir die Innenstadt als möglichen Schauplatz nicht ganz begraben. Ich denke, wir werden das genaue Programm bald kennen. Der Dom wird darin vorkommen, das Rathaus und die Altstadt. Wahrscheinlich auch dieser… wie heißt er noch?«
»Gürzenich«, ergänzte Jana. »Wie schnell kommen Sie an die Informationen?«
»Verhältnismäßig rasch. Ein, zwei Monate.«
»Hm.« Sie sah sich um. Zusammen mit ihnen bevölkerten wahre Heerscharen die Domplatte. Der Weihnachtsmarkt war verschwunden, aber der Zustrom an Besuchern trotzdem ungebremst. »Nein, das bringt nichts. Vergessen wir die Innenstadt. Der Flughafen reicht voll und ganz.«
»Wie Sie meinen. Reden wir also über Einzelheiten.«
»Im Hotel«, sagte Jana.
Sie aßen eine Kleinigkeit in dem Brauhaus, das Jana in der Maske der grauen Signora Baldi besucht hatte. Anschließend wanderten sie zu Fuß zum Kristall. Jana hatte sich auch diesmal wieder hier eingemietet. Sie mochte die Atmosphäre und hatte einen weiteren Tag in Köln eingeplant, einerseits, um vertrauter mit dem Terrain zu werden, zum zweiten, weil ihr die Stadt gefiel und sie ein Restaurant ausprobieren wollte, das stadtauswärts in einem Schloss lag und wegen seiner hervorragenden Küche gerühmt wurde. Während Mirko, dessen Maschine am frühen Morgen in Köln gelandet war, beabsichtigte, noch am selben Abend weiterzufliegen, warteten auf Jana die exquisitesten Genüsse und hoffentlich ein alter Bordeaux.
Inzwischen war Mirko offener zu ihr. Sie wusste, dass er über Umwege nach Belgrad fliegen würde. Was er dort machte und mit wem er sich traf, entzog sich ihrer Kenntnis. Sie hätte ihn fragen können, aber sie bezweifelte, dass er ihr nähere Auskünfte erteilen würde. Jana machte nicht den Fehler, in ihn zu dringen. Beizeiten würde er ihr vielleicht mehr erzählen.
Sie betrat das Hotel allein und ging sofort auf ihr Zimmer. Zehn Minuten verstrichen, dann klopfte es. Sie öffnete und ließ Mirko eintreten.
»Es war niemand an der Rezeption«, sagte er. »Praktisch.«
»Machen Sie es sich gemütlich.« Jana wies auf die kleine Sitzgruppe am Fenster, öffnete eine Aktenmappe und zog einen dünnen Schnellhefter hervor. Sie nahmen Platz. Mirko öffnete den Hefter und sah hinein.
»Gruschkow hat die Einzelheiten bis ins Kleinste ausgearbeitet. Sie haben also die definitive Liste dessen vor sich, was wir brauchen«, kommentierte Jana. »Ich muss hinzufügen, dass wir hier und da einige Optimierungen vornehmen werden, aber das soll nicht Ihre Sorge sein. Hauptsache, wir haben das Equipment beisammen. Der YAG ist die eine Sache, natürlich unser Herzstück. Das andere sind die Spiegel. Sehen Sie, es sind vier. Der Begriff Spiegel ist ein bisschen irreführend, sie sind beidseitig transparent und dielektrisch vielfachbeschichtet. Die Reflexion von Sonnenlicht wird gering sein, wenn die Spiegel einmal ausgefahren sind. Für jemanden, den man nicht unmittelbar mit der Nase drauf stößt, sind sie unsichtbar.«
»Was bedeutet dielektrisch?«
»Es heißt, dass die Spiegel für normales Licht durchlässig sind. Sie reflektieren ausschließlich eine Wellenlänge von 1 ^m. Eigentlich Standard.«
»Verstehe. Was ist hiermit? Adaptive Optik.«
»Eine Spezialanfertigung. Gruschkow sagt, der adaptive Spiegel müsste sich dort auftreiben lassen, wo Sie auch den YAG herbekommen. Möglicherweise nicht in den gewünschten Abmessungen, aber dann sollte es kein Problem sein, das Passende herstellen zu lassen.«
»Wozu ist das nötig?«
»Wegen der Entfernung. Wir benötigen einen adaptiven Spiegel auf diese Distanz. Die Durchmesser der Spiegel bewegen sich zwischen zehn und dreißig Zentimetern, es ist alles exakt beschrieben.« Sie machte eine Pause. »Der kleine Spiegel ist der entscheidende, Mirko. Wir werden ihn zu einem ferngesteuerten Zielobjektiv umarbeiten. Das macht Gruschkow. Er schreibt auch das Programm. Was wir ebenfalls organisieren, sind die Aggregate. Wahrscheinlich koppeln wir zwei aneinander, je zehn bis zwanzig Kilovoltampere dürften reichen. Wir brauchen außerdem einen Untersatz und Schienen, das bekommen wir in Deutschland. Ich kenne jemanden, der uns so was zusammenschweißt. Was in unseren Kräften steht, leisten wir selbst. Dennoch ist es eine ganze Menge, was Sie an den Start bringen müssen. Schaffen Sie das?«
Mirko klappte den Hefter zu und nickte.
»Was den YAG betrifft, das ist so gut wie geklärt. Das Trojanische Pferd verfügt über die nötigen Verbindungen.«
»Wo bekommen Sie ihn her?«
»Aus Russland. Wahrscheinlich aus Weißrussland, möglicherweise aus der Ukraine. Es gibt in beiden Ländern entsprechende Forschungsinstitute. Wir haben außerdem Kontakt zu einer hochrangigen Persönlichkeit des Rings, über die ich auch den Kauf der Spedition abwickeln werde. Ich denke, hinsichtlich der Spiegel dürfte es ebenso wenige Probleme geben wie mit dem YAG. Man ist dort sehr kooperativ, wenn es um Geld geht.«
»Russland«, sinnierte Jana. »Der Ring. Ich hab’s mir beinahe gedacht.«
Mirko lächelte und schwieg.
Der Ring verfügte über beste Kontakte in die Länder des westlichen Europa, vornehmlich in die Schweiz, nach Österreich und vor allem nach Deutschland. Was genau der Ring eigentlich war und wer ihm angehörte, inwiefern man ihn überhaupt der russischen Mafia zurechnen konnte, ließ sich nicht eindeutig sagen. Er war Teil des Netzes, mit dem die roten Bosse, wie die Karrieristen des neuen Russlands genannt wurden, Europa überzogen. Mittlerweile hatten sie ihre Fäden bis in die Vereinigten Staaten gesponnen. Dennoch gab es Länder, mit denen die russische Halbwelt bevorzugt Geschäfte machte. Hunderte Strohfirmen entstanden allmonatlich in England, Österreich und der Schweiz, um russisches Geld zu waschen. In Deutschland hatte der Urknall der Machtentwicklung russischer Tycoons Anfang der neunziger Jahre stattgefunden. Im Moment, da die Bundesregierung begann, der Roten Armee Geld für den Truppenabzug zu zahlen, kassierten die russischen Bosse fleißig ab. Beim Berliner Landeskriminalamt wusste man mittlerweile, mit welchem Geld die Russenmafia ihren fulminanten Start in Deutschland finanziert hatte. Es waren die sechs Milliarden Mark, die Bonn bis 1994 überwiesen hatte. Alles, was seitdem von den Aktivitäten der russischen Halbwelt in Deutschland ruchbar geworden war, hatte in irgendeiner Weise mit diesem Geld zu tun.
Der Kampf war verloren, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Die Verknüpfung deutscher und russischer Interessen fand in der berühmten Grauzone statt, die Kriminologen so viel Kopfzerbrechen machte – war das nun noch Mafia oder schon nicht mehr? Milliarden gewaschener Gewinne des organisierten Verbrechens verwischten die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität, öffneten Türen zu Zimmern, in denen politische und wirtschaftliche Entscheidungen ersten Ranges getroffen wurden, und schufen damit eine neue wirtschaftliche Realität. Illegales Geld gebar legale Strukturen. Deutschland etwa war regelrecht unterwandert von russischem und italienischem Mafiageld, die Verbindungen unentwirrbar geworden. Es gab Szenarien, was geschehen würde, wenn man dieses Geld der deutschen Wirtschaft von einem Tag auf den anderen entzöge. Sie würde zwar nicht gerade zusammenbrechen – aber auf jeden Fall Teile davon.
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