»Wer – seid – ihr?«, flüsterte Jana.
Der Mann nahm die Arme langsam wieder runter. Er zitterte am ganzen Körper.
»Sie wissen es doch schon.«
»Sag es.«
»Das Trojanische Pferd. Wir… wir sind das Trojanische Pferd.«
»Ihr?«, sagte Jana fassungslos. »Mirko ist…«
»Nein. Ja. Die Leute, die den Auftrag erteilt haben. Uns und Drake.«
»Drake? Wer ist Drake?«
»Drake. Drakovic. Mirko. Wie… wie immer Sie ihn nennen wollen.«
Sie starrte ihn ungläubig an.
»Aber… ihr seid Amerikaner!«
»Ja.« Er ließ ein kurzes, gepeinigtes Lachen hören. »Sie merken aber auch alles.«
Vom Dach der Halle aus hatte er den gesamten Innenhof im Blickfeld.
Wenn Jana es wagen sollte, sich herauszutrauen, würde sie nicht einmal Zeit finden, es zu bedauern.
Aber Mirko wusste, dass sie nicht kommen würde.
Es wurde Zeit, dass er sich etwas einfallen ließ. In die Halle hereinzugelangen stellte kein Problem dar, es zu überleben, schon. Er konnte die provisorische Blockade des Eingangs ebenso wegsprengen wie die Tür, aber diesmal würde Jana vorbereitet sein.
Mirko grinste ohne Freude. Im Grunde hätte er stolz auf sich sein müssen. Er hatte die Richtige ausgesucht.
Zum wiederholten Male überlegte er, was schief gelaufen war. Sein Fehler war es gewesen, daran gab es nichts zu beschönigen! Der vielleicht einzige und zugleich dümmste Fehler, der ihm je unterlaufen war. Sich darauf zu verlassen, dass Jana nur O’Connor und weiter niemanden gemeint hatte, als sie Gruschkow Besuch ankündigte.
Nie durfte man sicher sein.
Er hatte seine Männer in den Tod geschickt. Es waren gute Männer gewesen, aber es gab andere, die nicht weniger gut waren. Das Problem bestand darin, dass zwar ein Anruf genügte, um kraft seiner Autorität Dutzende weiterer Agenten herzubeordern, die binnen weniger Minuten hier sein würden. Er war der Bereichsleiter Wohnen des Secret Service. Nur dass sie sämtlich einem ehrenvollen Ruf folgen würden, nämlich den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu schützen und nicht, ihn zu ermorden. Niemand außer den Dreien, die er verloren hatte, wusste, dass Karel Zeman Drakovic alias Carl Seamus Drake – einer Anwandlung von Sentimentalität folgend hatte er diesen Namen vor langer Zeit gewählt, als die Amerikaner ihm den Gebrauch eines englisch klingenden empfohlen hatten – identisch war mit einem phantomgleichen Terminator namens Mirko, der auf der schwarzen Liste der CIA stand und etwas anderen amerikanischen Interessen diente.
Er legte sich auf den Rücken und sah hinauf in den dämmrig werdenden Himmel. Dies war ein Industriegebiet. Die Explosion musste für die Gefangenen im Innern der Halle geklungen haben wie ein Donnerschlag, aber hier draußen hatten die Bewegungen der Luft den Schall rasch zerstreut, und die nächsten Wohnhäuser lagen eine ganze Strecke weit entfernt. Gleiches galt für die Schusswechsel. Dennoch durfte er sich nicht darauf verlassen, hier noch lange allein zu bleiben. Es war und blieb ein Dilemma. Allein konnte er gegen Jana wenig unternehmen, solange sie sich nicht zeigte, und jede Art von Verstärkung würde den Geiseln das Leben retten, was genauso schlecht war.
In jedem Fall wäre es das Ende für Carl Seamus Drake und alle seine synonymen Erscheinungen. Bedauerlich im Angesicht des Reichtums, den das Trojanische Pferd ihm offerierte. Selbst jetzt noch, nachdem das Attentat misslungen war, gab es eine gute Chance, den Plänen der Verschwörer Geltung zu verschaffen, wenigstens zu Teilen.
Wenn Jana nicht bald kam, würde er sie herauslocken müssen.
Oder hineingehen. Am Ende doch.
»Wieso die Amerikaner?«
Jana sah den Agenten an, als habe er eine Erklärung für ihr persönliches Scheitern zur Hand. Sie konnte nicht glauben, dass sie für die Amerikaner gearbeitet hatte. Sie hatte die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Mirko sie mit der Nase auf Belgrad gestoßen hatte, weil in Wirklichkeit jemand anderer dahintersteckte. Moskau schien involviert, vielleicht aber auch der Nahe Osten. So viele Regimes hassten die Amerikaner und ihren Präsidenten. Selbst an Kuba hatte sie für kurze Zeit gedacht. Alle die Länder auf Amerikas schwarzer Liste. Und wenn nicht die offiziellen Machthabenden, dann doch einflussreiche und zahlungskräftige Investoren in einer Ökonomie des Terrors, die aus dem Sturm, mit dem sie die Welt überzogen, Nutzen schöpften.
Dann wieder war sie überzeugt gewesen, Mirko habe ihr diese Gedankengänge einzugeben gesucht, weil der Auftrag eben doch aus Belgrad kam! Warum hätte eine andere Nation, die Auftragsterroristen suchte, ein derartiges Fintenspiel veranstalten sollen, diesen verstohlenen Appell an ihren Patriotismus? Vielleicht, weil sie befürchteten, niemanden dafür zu gewinnen, Bill Clinton zu ermorden?
Darum eine Patriotin?
Lächerlich! Indiskutabel! Alle möglichen Leute hätten nichts lieber getan, als den Herrn des Präventivschlags unter die Erde zu
bringen. Die religiösen Fundamentalisten in der ganzen Welt, allein sie rekrutierten ein kaum überschaubares Potential von Attentätern, die in dem Vorhaben eine sakramentöse Handlung erblickt hätten. Jemand von Janas Fähigkeiten war selten in der Szene, aber er hätte sich dennoch auftreiben lassen in den Lagern der algerischen GIA, der libanesischen Hisbollah, selbst in den Reihen ultraorthodoxer jüdischer Siedlerblöcke wurde man fündig.
Sie hatte sich im Kreis gedreht. Jede Spur, die nicht nach Serbien führte, ergab keinen rechten Sinn. Zum Schluss war sie allzu bereit gewesen, der serbischen Variante Vorrang einzuräumen.
Jede Spur, die nicht nach Serbien führte…
Und welchen Sinn ergaben Spuren, die nach Serbien führten? Oder nach Moskau, woher der Laser stammte?
Mirko hatte alles über den Gipfel gewusst. Interna der Amerikaner. So, wie man es von einem Meisterspion erwarten konnte. Jetzt erschien sein Wissen in völlig neuem Licht.
Eine Ahnung dämmerte in ihr hoch. Eine ungeheuerliche Vorstellung.
»Wieso nicht die Amerikaner?«, ächzte Kuhn. »Die Welt ist konzernisiert. Schon gehört, dass die PLO vom Mossad gekauft wurde? Die IRA gehört jetzt zur Disney-Gruppe. Aufwachen, Jana. Frühstück!«
Sie hörte nicht hin. Die Gedanken jagten einander.
»Wer sind Mirkos Hintermänner?«, fuhr sie den Agenten an. »Was verbirgt sich hinter dem Trojanischen Pferd?«
»Im Trojanischen Pferd, Jana«, korrigierte sie Kuhn fröhlich. »Es war hohl. Dich haben sie nicht mit reingenommen, du solltest den Gaul nur vor die Tore ziehen.«
Der Agent schüttelte den Kopf. Er schien langsam an Kraft zu verlieren. Seine Gesichtsfarbe hatte sich von wachsweiß zu grau entwickelt.
»Weiß es nicht«, antwortete er matt. »Wirklich nicht, ich… schwöre. Drake weiß es… Mirko.«
»Mirko war mein Auftraggeber«, schrie Jana ihn an. »Und jetzt versucht er uns alle umzubringen, also soll ich rausgehen und ihn fragen?«
»Mirko… Er…«
»Wer ist Mirko, verdammt? Wer ist dieses Arschloch, dem ich vertraut habe?«
»Dra… Drakovfc.« Die Aussprache des Agenten wurde immer undeutlicher. Er machte längere Pausen, wenn er sprach. »Sein richtiger Name… Serbien geboren… aufgewachsen USA. Mehr weiß… nicht. Heißt, er war… Doppelagent. Für Russen spioniert. Die Fronten gewechselt. Irgendwann, lange her. Er… Sie sagen, er hat der CIA ein paar Geheimnisse verraten… Seine Karriere… CIA, dann… Secret Service.«
»He, Jana, was höre ich da?«, ächzte Kuhn. »Du arbeitest für den Secret Service? Donnerwetter!«
»Sei endlich still!«, fuhr sie ihn an.
»Machen Sie sich nichts draus«, sagte Silberman. Es war das erste Mal, dass er sich vernehmen ließ seit der Schießerei. Unbeholfen humpelte er näher und sah den Agenten an. »Leute wie Mirko täuschen noch ganz andere. Es gibt ein paar brisante Personalentscheidungen in der Geschichte der CIA, und beim Secret Service auch, nicht wahr? Fachleute für Terrorismus, ehemalige Agenten der Gegenseite, Ausländer. Wertvoll. Oft die besseren Amerikaner. Uns selbst können wir ja kaum noch trauen. Anfang der Neunziger wurde der höchste Agent der CIA als Doppelagent entlarvt, und der stammte – glaube ich – aus Chicago. Er hat Reagan und Bush jahrelang weisgemacht, die Sowjetunion sei viel mächtiger, als sie in Wirklichkeit war, und alle sind drauf reingefallen. Wir haben Milliarden investiert in die Protektion gegen ein Reich des Bösen, das eines schönen Tages wie ein morscher Schuppen auseinander fiel.«
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