»Henrik?«
»Ein Multimilliardär aus Knoxville. Verleger einiger radikaler Law-and-Order-Blätter. Geheimnisvoller Erbe aus dem Clan einer berühmten Industriellenfamilie. Er gilt als Pate des amerikanischen Konservativismus und großzügigster Förderer der Republikaner. Sein Vermögen wird auf zehn Milliarden Dollar geschätzt, und seine Verbindungen reichen bis ganz oben, wahrscheinlich aber auch bis ganz unten, mitten in den Sumpf. Bei genauerem Hinsehen stellen sie plötzlich fest, wer die Anwälte der Clintonhasser bezahlt. Wer Kenneth Starr finanziert. Henrik. Der freundliche alte Herr mit den Knitterfalten um die blauen Augen und dem weißen Märchenonkelhaar. Sein Lebenswerk ist es, Clinton zu vernichten.« Silberman machte eine Pause. Er wirkte erschöpft. »Henrik ist der Chefprediger des Hasses, und er bewegt sich im Zirkel anderer, deren Vermögen ähnlich dimensioniert sind. Die Rüstungsindustrie ist gar nicht gut zu sprechen auf einen Präsidenten, der den Kalten Krieg abschaffen will–«
»Die amerikanische Rüstung dürfte ganz gut daran verdient haben, mein Land zu bombardieren!«
»Und darum wollen Sie Clinton töten? Er hatte keine Lust auf diesen Krieg. Nicht wirklich, und das weiß die Rüstungsindustrie verdammt genau. Auch die Waffenlobby ist sauer, weil Clinton keinen Respekt vor dem Pioniergeist seiner Vorväter hat. Und die Kohle- und Stahlbarone aus Pennsylvania, die den Sozialstaat abschaffen wollen, mit dem er sie drangsaliert, sie alle würden ihn am liebsten umbringen. Nicht zu vergessen die Tabaklobby, die sich übrigens gleich den richtigen Anwalt genommen hat, nämlich Kenneth Starr, der – wir erinnern uns – von Henrik bezahlt wird. Henrik hier, Henrik da! Clinton hat sich mit den fundamentalistischen Werten Amerikas angelegt und, viel schlimmer noch, mit dem Kapital.«
Jana hatte die Waffen sinken lassen. Plötzlich fühlte sie, wie aller Mut von ihr wich.
»Warum sollten diese Leute ein serbisches Kommando vorschieben?«, sagte sie tonlos.
»Ich weiß es nicht«, sagte Silberman.
O’Connor räusperte sich.
»Ich verstehe ja nichts von Politik«, sagte er gedehnt.
»Nicht so genant, Liam«, presste Kuhn hervor. »Machen Sie uns glücklich.«
»Es ist nur eine Theorie, die mir gerade ein bisschen aufdringlich kommt«, sagte O’Connor. »Also, wenn Geld keine Rolle spielt, um Clinton loszuwerden, gibt man es eben aus. Ist er tot, ist er weg, aber wem könnte man es in die Schuhe schieben? Zufälligerweise geht es auf dem Balkan gerade zur Sache. Die Nato hat angedroht zu intervenieren. Wunderbar. Dann waren es eben die Serben. Im Zweifel waren es dann nämlich auch die Russen, was den Interessen der Mörder noch mehr entgegenkäme. Sie können sich öffentlich entrüsten, es gibt wieder Argumente für den Kalten Krieg und für die generelle Notwendigkeit, sich zu schützen, heiße Strafmaßnahmen mit eingeschlossen. Gut für die Waffenlobby, für die Rüstungsindustrie, für die Republikaner. Das Timing ist ideal gewählt, weil Al Gore nicht genügend Zeit bliebe, sich zu profilieren. Er würde in die aufgepflanzten Bajonette der Republikaner rennen – irgendetwas würden sie schon finden, um ihn kleinzukriegen. Also wäre der nächste Präsident ein Republikaner.«
»Man engagiert ein serbisches Kommando«, ergänzte Silberman, »lässt sie den Präsidenten killen, bringt sie hinterher um und präsentiert sie dem Westen auf dem silbernen Tablett. Die Spuren führen nach Serbien.«
»Und alle haben, was sie wollten«, schloss O’Connor. »Die Rüstung einen neuen Kalten Krieg, die Republikaner einen neuen Präsidenten.«
Jana wollte das nicht hören. Angewidert, voller Abscheu und zugleich fasziniert von der Möglichkeit lauschte sie trotzdem.
Die Ahnung, die vorhin in ihr aufgestiegen war.
So würde alles einen Sinn ergeben.
»Das klingt furchtbar«, sagte Wagner.
O’Connor zuckte die Achseln. »Nur eine Theorie.«
»Geben Sie auf, Jana«, sagte Silberman sanft. »Sie haben sich mit den Falschen angelegt. Die Verschwörung der Rechten ist eine Verschwörung der Reichen. Letztlich geht es nur darum, wer der nächste Präsident wird. Dafür müssen die nicht nur Clinton vernichten, sondern auch sein Amt. Sie müssen die einzige nationale Institution schwächen, die der Allgewalt des Kapitals noch Grenzen setzen kann. Stecken Sie Ihre Waffen weg. Lassen Sie uns frei und bringen Sie sich in Sicherheit, bevor noch mehr Unheil geschieht.«
O’Connor trat neben ihn.
»Sie kann uns nicht laufen lassen«, sagte er grimmig. »Ihr amerikanischer Freund da draußen wird seinen Humor eingebüßt haben, er muss handeln. Sie kann nicht raus und er nicht rein, ist es nicht so?«
Jana schüttelte den Kopf.
»Ihr könnt auch nicht raus«, sagte sie. »Mirko steht unter Zeitdruck. Er wird euch töten, notfalls mit seiner eigenen Waffe.«
»Und wenn wir einfach die Polizei rufen?«, schlug Wagner vor. »Wir haben Telefone im Dutzend. Was will er dagegen unternehmen?«
»Das wäre nicht in meinem Interesse«, gab Jana trocken zurück.
»Welch ein Dilemma«, bemerkte O’Connor. »Ein etwas fader Abschluss nach einer an sich schönen und gelungenen Entführung.« Er legte den Zeigefinger auf die Nasenwurzel. Dann sagte er: »Es gibt dennoch eine Möglichkeit, mit der wir alle irgendwie leben können.«
»Welche wäre das?«, fragte Wagner.
»Nun ja.« O’Connor begann auf und ab zu gehen. »Wir haben keinen Grund mehr, uns hier drinnen zu beharken. Das Problem heißt Mirko, und dieses Problem hat hier jeder auf seine Weise, richtig?«
Jana nickte langsam. »Richtig.«
»Du willst entkommen. Wir wollen leben.« O’Connor blieb vor ihr stehen. Jana sah ihm in die Augen und wusste, was er meinte.
»Gut«, sagte sie. »Holen wir uns den Scheißkerl. Gemeinsam.«
Schon dreimal war Guterson auf die Toilette gegangen, ohne sie ein einziges Mal zu benutzen.
Lommerzheim, wie das ominöse Etablissement hieß, in dem van der Ree zufolge Menschen auf Kisten saßen und monströse Koteletts verzehrten, hatte sich selbst ins Aus geschossen. Tatsächlich hatten sie blitzartig Informationen über das Lokal zusammengetragen, das offenbar eine Legende in der Domstadt darstellte, und schließlich den Chef des deutschen Protokollstabs dort anfragen lassen, ob ein Tisch für zwanzig Personen frei sei.
Der Mann am anderen Ende der Leitung war schlecht zu verstehen gewesen. Er hatte grummelige Antworten gegeben, denen zu entnehmen war, dass der Laden voll sei. Daraufhin hatten sie den Zauberspruch gebracht, der normalerweise jedes Eis brach:
»Wir kommen aber mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten.«
Die Antwort erfolgte prompt.
»Und ich bin der Kaiser von China.«
Dann Stille. Die taube, unangenehme Stille im Hörer, nachdem jemand kommentarlos aufgelegt hatte. Guterson war nicht traurig darüber. Die Malzmühle wenigstens hatten Drake und Nesbit schon am Vortag inspizieren lassen und dem Wirt hinterlassen, er werde am folgenden Tag einen stressigen Abend haben. Also hatte sich die Kolonne erneut in Bewegung gesetzt, diesmal reduziert auf die Präsidentenlimousine und einige gepanzerte Vans, voll besetzt mit Agenten des Secret Service und des FBI, gefolgt von den Audi-8- Limousinen des BKA. Da der Zufall in Präsidentenkreisen etwas weniger zufällig funktionierte als anderswo, waren jegliche Vorkehrungen bereits getroffen und die Deutzer Brücke für die Überfahrt gesperrt worden. Auch der Schiffsverkehr hatte für eine kurze Weile stillgestanden. In den kommenden Tagen würde es nicht anders sein. Wann immer Clinton aus protokollarischen oder persönlichen Gründen wünschte, den Rhein zu überqueren, würde sich kein Schiff der Brücke nähern dürfen. Regeln, die Amerika machte.
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