In die Spedition. Dort wieder Laura werden. Zwei Probleme lösen: Mahder. Dann Kuhn.
Für eine Nacht zurück ins Hoppers.
Abreisen am nächsten Morgen. Am liebsten hätte sie schon jetzt die Zelte abgebrochen, aber die Polizei würde jeder Unregelmäßigkeit nachgehen. Sie würden sämtliche Hotels checken, um herauszufinden, wer an diesem Abend überstürzt aufgebrochen war.
Sie und Gruschkow würden abreisen, wie es sich gehörte. Nach dem Frühstück. Die Rechnung bezahlen und losfahren. Über die Grenze in die Schweiz. Von dort auf verschlungenen Wegen weiter. Gruschkow in seine Richtung, Jana in die ihre.
Nein, dachte sie, Jana wird nirgendwohin fahren. Jana wird es dann nicht mehr geben.
Wie sollte sie sich nennen?
Wer sollte sie sein?
Wer konnte sie sein?
Sie nahm Silberman an Bord, der andernfalls auf den nächsten Shuttlebus hätte warten müssen. Wagner lenkte den Golf durch den Frachtflughafen bis zum Checkpoint, der den flughafeninternen Teil der Heinrich-Steinmann-Straße vom offiziell befahrbaren trennte. Die Beamten des Checkpoints waren informiert. Sie warfen einen kurzen Blick auf das Nummernschild und ließen den Wagen passieren.
Dahinter begann das Straßengewirr der Riesenbaustelle. Während Wagner versuchte, sich nicht zu verfahren, berichtete O’Connor in kurzen Zügen von den Ereignissen der letzten Stunden.
Silberman hörte mit wissendem Lächeln zu und sagte nichts.
»Bär und dieser Muffel vom PPK haben mir übrigens eingeschärft, den Mund zu halten«, schloss O’Connor. »Das gilt auch für euch. Wie im Krimi.«
»Nix wie. Wir sind in einem Krimi«, bemerkte Wagner.
»Na ja, eigentlich sind wir fast schon wieder draußen.« O’Connor seufzte. »Der arme Kuhn. Das ist jetzt unser Krimi.«
»Wenn das Attentat ohnehin misslungen ist«, sagte Silberman, »lassen sie ihn vielleicht laufen.«
»Wenn es misslungen ist«, sagte O‘Connor.
»Was heißt das?«
»Es könnte irgendwo in Köln ein zweites Spiegelsystem geben. Solange der höchste Punkt nicht gefunden ist, gibt es keinen Grund zur Entwarnung. Bär muss den Laser finden, um den Fall abzuschließen.«
»Du bist der Experte«, sagte Wagner. »Die werden dich nicht das letzte Mal bemüht haben.«
Er sah sie von der Seite an und krauste die Nase.
»Ich hoffe, Frau Wagner, Sie werden mich auch nicht das letzte
Mal bemüht haben.«
Sie lachte leise. Der Wagen näherte sich der Autobahnauffahrt.
»Wie geht’s dir?«, fragte sie. »Schmerzen?«
»Kaum.« O’Connor hielt seine bandagierten Hände vor sich und betrachtete sie beinahe mit Stolz. »Gefallen fürs Vaterland. Wenn deutsche Regisseure in den Staaten die patriotischsten Filme drehen, kann ein Ire ja auch mal dem Präsidenten der Vereinigten Staaten das Leben retten. – Tja. Es hätte ein großer Spaß werden können, wenn nicht Kuhn…« Er stockte und sah zum Fenster hinaus. »Okay, es war kein Spaß. Vergessen wir’s. Da wir alle den Mund halten müssen, kommen wir nicht mal auf die Titelseiten mit unserer Geschichte, also können wir ebenso gut meine Tournee fortsetzen. Ein paar saubere Anzüge habe ich noch.«
»Falls sie dich lassen.«
»Papperlapapp. Ich reise, wohin ich will.«
Wagner schwieg. Da war es wieder, das Gefühl von… nein, nicht Distanziertheit. Angst, er könnte einfach aus ihrem Leben verschwinden. Ein fahrender Zug, aus dem man bei voller Fahrt hinausgeworfen wird. Und zugleich Angst davor, an Bord zu bleiben. Eine Liebe mit O’Connor wäre das Paradies, aber ein Leben?
O’Connor schien ihre Gedanken erraten zu haben.
»Ich fahre natürlich nur unter der Voraussetzung, dass du mitkommst«, fügte er hinzu. Er wedelte hilflos mit seinen Händen und grinste. »Du musst die Seiten wenden, wenn ich lese. Es, ähm… hat rein praktische Gründe.«
»Praktischen Gründen kann ich mich nicht verschließen«, erwiderte sie. Dann schüttelte sie traurig den Kopf. »Aber ich kann nicht. Ich muss hier bleiben, Liam. Bis ich weiß, was mit Kuhn ist.«
Er sah sie ernst an. Dann nickte er.
»Ja. Natürlich.«
Sie fuhren auf die Autobahn. O’Connor drehte sich zu Silberman um und wollte etwas sagen, aber er tat es nicht. Stattdessen blieb sein Mund einige Sekunden lang geöffnet, und er starrte wie paralysiert an dem Korrespondenten vorbei.
»Halt mal an«, sagte er endlich.
Wagner glaubte sich verhört zu haben.
»Ich kann hier nicht anhalten.«
»Mist! Es ist weg.« O’Connor drehte sich wieder nach vorne und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Kannst du noch mal zurückfahren?«
»Was war denn da?«
»Vielleicht irre ich mich. Ich muss es noch mal sehen, okay?«
»Was immer du willst«, sagte Wagner. »Nur gedulde dich zwei Minuten.«
Sie steuerte die nächste Ausfahrt an, wendete und fuhr zurück. Nach kurzer Zeit näherten sie sich wieder dem Kreuz Flughafen.
»Fahr langsamer«, sagte O’Connor.
Er spähte nach draußen.
»Soll ich hier abfahren?«
»Nein. – Da! Das ist es!«
Wagner drosselte das Tempo noch mehr. Silberman hatte sich vorgebeugt. Beide folgten O’Connors ausgestrecktem Zeigefinger. Rechts vor ihnen, etwas abseits der Autobahn, ragte ein einzelner, dünner Mast in den Himmel. Das untere Ende war verdeckt von Bäumen.
»Sieht aus wie ein Strommast«, sagte Silberman.
»Ein sehr hoher Strommast«, bemerkte Wagner.
»Ja.« O’Connor wies aufgeregt nach vorne. »Nimm die nächste Abfahrt. Ich will ja nicht die Pferde scheu machen, aber das Ding könnte hoch genug sein. Komisch, wir müssen darüber hinweggeflogen sein.«
»Ihr habt nach Gebäuden Ausschau gehalten, nicht nach einzelnen Masten.«
»Wir haben nach allem Ausschau gehalten. Trotzdem, immer dasselbe. Was offensichtlich ist, übersieht man. Aber du hast Recht, alles drum herum ist flach. Weißt du, wie du hinkommst?«
»Du stellst einen vor echte Probleme.« Wagner sah den Mast im Rückspiegel kleiner werden. »Ich kenne Köln seit Jahren nur von Besuchen. In dieser Ecke war ich noch nie.«
»Du bist Kika, die Göttliche«, sagte O’Connor im Tonfall des Selbstverständnisses. »Du schaffst auch das.«
»Vielleicht sollten Sie Lavallier anrufen«, schlug Silberman vor.
»Schauen wir erst mal nach. Ich kann mich irren.«
Die nächste Ausfahrt kam nach knapp drei Kilometern, ausgewiesen als Anschlussstelle Porz-Wahn. Wagner bog zweimal rechts ab, bis sie parallel zur Autobahn zurückfuhren. Eine Weile durchquerten sie freies Feld, dann tauchten rechts und links Häuser auf.
»Porz-Urbach«, las sie auf dem Ortsschild. »Und jetzt?«
»Er war ganz dicht am Autobahnkreuz. Wir müssen in den Ort hineinfahren.«
»Wenn’s weiter nichts ist.«
Es war eine Siedlung. Nur Ein- und Mehrfamilienhäuser, eine Kirche, ein kleiner Friedhof, kaum Geschäfte und Kneipen.
»Wohngegend«, stellte Silberman fest, während sie sich im Zickzackkurs durch die Straßen bewegten. Mehrere Male wurden sie von Einbahnstraßen zur Umkehr gezwungen. Kaum jemand war unterwegs. Dann plötzlich, ohne es recht zu merken, hatten sie die Autobahn unterquert.
»Zurück«, sagte O’Connor.
»Aye, Captain.«
»Rechts.«
Sie bogen in eine schmale Straße ein, die nach wenigen hundert Metern abknickte. Flachbauten erstreckten sich dort, offenbar ein
Industriegebiet. Ein mehrere Meter hohes Gitter umgab ein größeres Areal.
Mitten heraus wuchs der Mast.
Sie fuhren bis dicht vor die Absperrung und stiegen aus. Ein Schild wies verschiedene Unternehmen sowie die Gas- und Elektrizitätswerke aus. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. O’Connor strich mit den Fingern über das Gitter und zog die Stirn in Falten.
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