Es war dunkel, als Jennifer den Wagen vor dem Haus der Warners ausrollen ließ. Feiner Schnee rieselte vom Himmel und bestäubte die Bäume. Mary Beth, gekleidet in ein langes, blaues Brokatkleid, öffnete die Haustür, begrüßte Jennifer, nahm ihren Arm und führte sie ins Haus. Ihre Wärme erinnerte Jennifer an den Tag, da sie sich zum erstenmal gesehen hatten.
Mary Beth wirkte sehr glücklich. Sie plauderte über dies und das, damit Jennifer sich wohl fühlte. Sie gingen in die Bibliothek, wo ein Begrüßungsfeuer im Kamin brannte. »Ich habe noch nichts von Adam ge hört«, sagte Mary Beth. »Er ist vielleicht irgendwo festgehalten worden. In der Zwischenzeit können wir beide uns in aller Ruhe unterhalten. Sie haben am Telefon so aufgeregt geklungen.« Mary Beth lehnte sich verschwörerisch vor. »Was ist die große Neuigkeit?« Jennifer blickte die freundliche Frau ihr gegenüber an und platzte heraus: »Ich bekomme ein Kind von Adam.« Mary Beth lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und lächelte. »Na, wenn das nichts ist! Ich übrigens auch!« Jennifer starrte sie an. »Ich - ich verstehe nicht.« Mary Beth lachte. »Es ist eigentlich ganz einfach, meine Liebe. Adam und ich sind verheiratet, wie Sie wissen.« Jennifer sagte langsam: »Aber - aber Sie und Adam lassen sich doch scheiden.«
»Mein gutes Kind, warum, um alles in der Welt, sollte ich mich von Adam scheiden lassen sollen? Ich verehre ihn.« Jennifer fühlte, wie ihr schwindlig wurde. Das Gespräch war so unsinnig.
»Sie - Sie lieben doch jemand anderen. Sie haben selber zu mir gesagt, daß...«
»Ich sagte, ich sei verliebt. Und das bin ich auch. Ich bin in Adam verliebt. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Adam geliebt habe, seit ich ihn zum erstenmal gesehen habe.« Sie konnte ihre Worte nicht ernst meinen. Sie nahm Jennifer auf den Arm, spielte irgendein dummes Spiel mit ihr.
»Hören Sie auf!« sagte Jennifer. »Sie sind wie Bruder und Schwester zueinander. Adam schläft nicht mehr mit...« Mary Beths Stimme schien vor unterdrücktem Gelächter zu klingeln. »Mein armes Kind! Ich bin verwundert, daß eine so intelligente Person wie Sie auf so was hereinfallen...« Sie lehnte sich vor, beinahe betroffen. »Sie haben ihm geglaubt! Das tut mir leid. Das tut mir wirklich leid.« Jennifer kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. »Adam liebt mich. Wir werden heiraten.«
Mary Beth schüttelte den Kopf. Ihre blauen Auge n trafen Jennifers Blick, und der nackte Haß darin ließ Jennifers Herzschlag aussetzen. »Dann wäre Adam ein Bigamist. Ich werde niemals in die Scheidung einwilligen. Wenn ich Adam erlaubte, sich von mir scheiden zu lassen und Sie zu heiraten, würde er die Wahl verlieren. So wie es aussieht, wird er sie gewinnen. Dann werden wir auf das Weiße Haus zusteuern, Adam und ich. In seinem Leben ist kein Platz für jemanden wie Sie. Das war auch nie so. Er glaubt nur, Sie zu lieben. Aber er wird wieder vernünftig werden, wenn er erfährt, daß ich sein Kind trage. Adam wollte immer ein Kind haben.« Jennifer kniff die Augen zusammen und versuchte, der grauenhaften Schmerzen in ihrem Kopf Herr zu werden. »Soll ich Ihnen etwas bringen?« fragte Mary Beth besorgt. Jennifer öffnete die Augen. »Haben Sie ihm schon von dem Kind erzählt?«
»Noch nicht.« Mary Beth lächelte. »Ich dachte, ich erzähle es ihm heute nacht, wenn er nach Hause kommt und wir im Bett sind.«
Jennifer war von Ekel erfüllt. »Sie sind eine Bestie...«
»Das ist alles eine Frage des Standpunkts, nicht wahr,
Schätzchen? Ich bin Adams Frau. Sie sind seine Hure.« Jennifer
stand auf. Sie fühlte sich schwindlig. Ihre Kopfschmerzen hatten
sich zu unerträglichem Hämmern gesteigert. Ihre Ohren dröhnten, und sie hatte Angst, das Bewußtsein zu verlieren. Auf unsicheren Beinen bewegte sie sich zum Eingang.
An der Tür hielt sie inne, lehnte sich dagegen und versuchte, nachzudenken. Adam hatte gesagt, er liebe sie, aber dennoch hatte er mit dieser Frau geschlafen, ihr ein Kind gemacht. Jennifer trat hinaus in die kalte Nachtluft.
Adam war auf der letzten Wahlreise durch den Staat. Er rief Jennifer ein paarmal an, aber er war immer von seiner Begleitung umgeben, und sie konnten nicht reden. Jennifer hatte eine Erklärung für Mary Beths Schwangerschaft gefunden: Mary Beth hatte ihn dazu verführt, mit ihr zu schlafen. Aber Jennifer wollte es aus Adams Mund hören. »In ein paar Tagen bin ich zurück, dann können wir uns unterhalten«, sagte Adam.
Die Wahl war nur noch fünf Tage entfernt. Adam verdiente den Sieg; er war der bessere Mann. Jennifer hatte das Gefühl, daß Mary Beth richtig lag, wenn sie sagte, diese Wahl könne das Sprungbrett zur Präsidentschaft sein. Sie zwang sich, abzuwarten und die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Wenn Adam zum Senator gewählt wurde, würde sie ihn verlieren. Adam würde mit Mary Beth nach Washington ziehen. Auf keinen Fall konnte er sich eine Scheidung leisten. Ein frisch gewählter Senator, der sich von seiner schwangeren Frau scheiden ließ, um seine schwangere Geliebte zu heiraten, lieferte damit einen derart saftigen Skandal, daß er sich alle weiteren Hoffnungen aus dem Kopf schlagen konnte. Aber wenn Adam das Rennen verlor, war er frei. Frei, wieder seinem Anwaltsberuf nachzugehen; frei, Jennifer zu heiraten und sich nicht darum zu kümmern, was irgend jemand darüber denken mochte. Sie würden den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen können. Sie würden ihr Kind haben.
Der Wahltag war kalt und regnerisch. Wegen des großen Interesses am Ausgang des Rennens wurde trotz des schlechten Wetters eine große Wahlbeteiligung erwartet. Am Morgen fragte Ken Bailey: »Gehst du heute zur Urne?«
»Ja.«
»Sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus, was?«
»Allerdings.«
Sie ging am späten Vormittag ins Wahllokal, und als sie die Kabine zur Stimmabgabe betrat, dachte sie trocken: Eine Stimme für Adam Warner ist eine Stimme gegen Jennifer Parker. Sie kreuzte Adams Namen an und verließ die Kabine. Sie konnte es nicht ertragen, zurück ins Büro zu gehen. Den ganzen Nachmittag schlenderte sie durch die Straßen, versuchte, an nichts zu denken und nichts zu fühlen; nicht zu denken oder zu fühlen, daß die nächsten Stunden über den Rest ihres Lebens entschieden.
»Dies ist eine der spannendsten Wahlen der letzten Jahre«, sagte der Fernsehkommentator.
Jennifer saß allein zu Hause und verfolgte die Berichterstattung der NBC. Sie hatte sich ein leichtes Abendessen aus Rührei und Toast bereitet, war aber zu nervös, um etwas herunterzubringen. Sie saß in einem Hauskleid auf der Couch und wurde Zeuge, wie ihr Schicksal für Millionen Menschen übertragen wurde. Jeder Zuschauer hatte seine eigenen Gründe, den Fernsehapparat anzuschalten und einem der Kandidaten Sieg oder Niederlage zu wünschen, aber Jennifer war sicher, daß keiner von ihnen so tief von dem Ergebnis der Wahlen betroffen sein würde wie sie. Wenn Adam gewann, bedeutete dies das Ende ihrer Beziehung... und das Ende des Kindes in ihrem Schoß.
Eine kurze Einstellung brachte Adam auf die Mattscheibe, Mary Beth an seiner Seite. Für gewöhnlich war Jennifer stolz auf ihre Menschenkenntnis, aber Mary Beth, dieses Biest mit der honigsüßen Stimme, hatte sie mit ihrer Mondschein- und-Magnolien-Nummer völlig eingewickelt. Jennifer versuchte die Vorstellung zu verdrängen, daß Adam mit dieser Frau ins Bett ging, ihr sein Kind schenkte.
Edwin Newman sagte: »Hier sind die letzten Ergebnisse des Rennens um den Senatssitz zwischen dem bisherigen Statthalter John Trowbridge und seinem Herausforderer Adam Warner. In Manhattan beträgt die Summe der für John Trowbridge abgegebenen Stimmen 221375. Adam Warner erhielt 214895 der abgegebenen Stimmen. Im Wahlbezirk Queens hat John Trowbridge einen Vorsprung von ungefähr fünf Prozent.
Читать дальше