«Hm», sagte Miss Marple, «das erinnert mich an den kleinen Tommy Bond. Ein sehr sensibler Junge mit Minderwertigkeitskomplexen. Die Lehrerin würde ständig auf ihm herumhacken, hat er gesagt und einen Frosch in die Uhr gesetzt, der ihr dann ins Gesicht gehüpft ist. So war’s bei Ihnen auch, nur dass Leichen natürlich etwas anderes sind als Frösche.»
Basil stöhnte von neuem. «Am Morgen war ich wieder nüchtern, und mir ist klar geworden, was ich getan hatte. Da hab ich’s mit der Angst gekriegt. Die Polizei kam, ein Chief Constable, auch so ein verdammt hochnäsiger Bursche. Ich hatte Angst vor ihm, und um es nicht zu zeigen, war ich ganz furchtbar unhöflich zu ihm. Und mittendrin kam Dinah.»
Dinah sah aus dem Fenster. «Jetzt kommt auch jemand», sagte sie. «Zwei Männer.»
«Die Polizei wahrscheinlich», meinte Miss Marple.
Basil Blake erhob sich. Plötzlich wirkte er ruhig und entschlossen und lächelte sogar.
«Dann bin ich wohl jetzt dran, was?», sagte er. «Na schön, Dinah, Schatz, verlier jetzt nicht den Kopf. Geh zum alten Sims, unserem Familienanwalt, und zu Mutter und sag ihr, dass wir verheiratet sind. Sie wird dir schon nicht den Kopf abreißen. Und mach dir keine Sorgen, Liebling. Ich war’s nicht. Das kommt schon wieder in Ordnung.»
Es klopfte an der Haustür. Basil rief «Herein!», und Inspektor Slack trat in Begleitung eines anderen Mannes ein.
«Mr. Basil Blake?», fragte er.
«Ja.»
«Ich habe hier einen Haftbefehl gegen Sie wegen Verdachts des Mordes an Ruby Keene in der Nacht vom einundzwanzigsten auf den zweiundzwanzigsten September. Ich weise Sie darauf hin, dass alles, was Sie sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden kann. Folgen Sie mir jetzt bitte. Sie haben jederzeit das Recht, sich mit Ihrem Anwalt in Verbindung zu setzen.»
Basil nickte. Er sah Dinah an, ohne sie zu berühren. «Bis bald, Dinah», sagte er.
Kaltschnäuziger Bursche, dachte Inspektor Slack. Er quittierte Miss Marples Anwesenheit mit einer knappen Verbeugung und einem «Guten Morgen» und dachte bei sich: Aha, die alte Schlaubergerin mischt wieder mit! Gut, dass wir den Kaminvorleger haben. Und den Parkwächter bei den Studios, der uns gesagt hat, dass Blake nicht um zwölf, sondern um elf weg ist. Glaube nicht, dass diese Freunde von ihm einen Meineid leisten wollten. Die waren voll, Blake hat ihnen am nächsten Tag eingebläut, dass er um zwölf gegangen sei, und sie haben’s geglaubt. Na, dem haben wir einen Strich durch die Rechnung gemacht! Geistesgestört vermutlich! Klapsmühle statt Galgen. Erst wird er die kleine Reeves erwürgt und in den Steinbruch geschafft haben, dann ist er zu Fuß nach Danemouth zurück, hat seinen eigenen Wagen aus einer Seitenstraße geholt, ist zu dieser Gesellschaft und später noch mal nach Danemouth, hat Ruby Keene nach Hause mitgenommen, hat sie erwürgt und in Bantrys Bibliothek geschafft. Dann hat er’s wegen dem Auto im Steinbruch mit der Angst zu tun gekriegt, ist hin, hat es in Brand gesteckt und ist wieder hierher. Ein Irrer – Sex und Blutdurst. War wohl in einer manischen Phase oder wie sich das nennt. Die Kleine hier hat Glück gehabt, dass sie noch mal davongekommen ist.
Wieder allein mit Miss Marple, sagte Dinah Blake: «Ich weiß zwar nicht, wer Sie sind, aber merken Sie sich eins: Basil war’s nicht.»
«Das weiß ich. Und ich weiß auch, wer es war. Aber es wird nicht einfach zu beweisen sein. Vielleicht könnte uns etwas helfen, was Sie eben gesagt haben. Das hat mich auf eine Idee gebracht – auf die Verknüpfung, nach der ich die ganze Zeit gesucht habe. Was war’s noch gleich?»
I
«Ich bin wieder da, Arthur!», rief Mrs. Bantry, als handelte es sich um eine königliche Proklamation, und öffnete mit Schwung die Tür zum Arbeitszimmer ihres Mannes.
Colonel Bantry sprang auf, küsste seine Frau und sagte voller Wärme: «Na wunderbar!»
Die Worte waren unanfechtbar, die Geste gut gelungen, doch eine liebevolle, langjährige Ehefrau wie Mrs. Bantry ließ sich nicht täuschen. «Was ist los?», fragte sie sofort.
«Nichts, nichts, Dolly, was soll denn los sein?»
«Ach, ich weiß auch nicht», sagte Mrs. Bantry vage. «Das ist alles so seltsam, findest du nicht?»
Sie warf ihren Mantel ab, während sie sprach, und Colonel Bantry hob ihn sorgsam auf und legte ihn über die Sofalehne.
Alles schien wie gewohnt und war doch irgendwie fremd. Es kam Mrs. Bantry vor, als sei ihr Mann geschrumpft. Er wirkte dünner, gebeugter. Tränensäcke hingen unter seinen Augen, und die Augen selbst wichen ihrem Blick aus.
«Und – war’s schön in Danemouth?», fragte er, noch immer betont munter.
«Herrlich! Du hättest mitkommen sollen, Arthur.»
«Konnte nicht weg, meine Liebe. Hatte zu viel zu tun.»
«Trotzdem, ein Tapetenwechsel hätte dir gut getan. Und die Jeffersons magst du doch auch.»
«Ja, doch, netter Mann. Armer Kerl. Traurige Geschichte.»
«Was hast du denn in der Zwischenzeit gemacht?»
«Ach, nicht viel. War auf dem Gut draußen. Hab Anderson ein neues Dach zugesagt – das alte ist nicht mehr zu flicken.»
«Und wie war’s bei der Sitzung des Grafschaftsrats?»
«Ach, äh, da war ich gar nicht.»
«Nicht? Aber du solltest doch den Vorsitz führen!»
«Ja, also, da gab es wohl ein Missverständnis. Wurde gefragt, ob ich was dagegen habe, wenn Thompson den Vorsitz übernimmt.»
«Aha.»
Sie streifte einen Handschuh ab und warf ihn mit Bedacht in den Papierkorb. Ihr Mann wollte ihn wieder herausholen, doch sie hielt ihn zurück und sagte scharf: «Lass nur. Ich kann Handschuhe nicht ausstehen.»
Colonel Bantry sah sie unbehaglich an.
«Warst du am Donnerstag zum Dinner bei den Duffys?», fragte sie streng.
«Ach, das! Das ist verschoben worden. Die Köchin war krank.»
«Wie dumm. Und warst du gestern bei den Naylors?»
«Ich hab sie angerufen und gesagt, ich fühl mich nicht ganz wohl und sie möchten mich entschuldigen. Sie waren ganz verständnisvoll.»
«Tatsächlich?», fragte Mrs. Bantry grimmig.
Sie setzte sich an den Schreibtisch, griff ganz in Gedanken nach einer Gartenschere und schnitt der Reihe nach die Finger ihres zweiten Handschuhs ab.
«Was machst du denn da, Dolly?»
«Meine Wut abreagieren!» Sie stand auf. «Wo wollen wir nach dem Abendessen sitzen, Arthur? In der Bibliothek?»
«Ach, äh, lieber nicht, oder? Ist doch sehr nett hier – oder im Wohnzimmer.»
«Ich würde sagen, wir setzen uns in die Bibliothek.»
Ihr ruhiger Blick begegnete seinem. Colonel Bantry richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Ein Funke blitzte in seinen Augen auf.
«Du hast Recht, meine Liebe. Wir setzen uns in die Bibliothek!»
II
Mrs. Bantry legte mit einem ärgerlichen Seufzer den Hörer auf. Zweimal hatte sie angerufen, und beide Male war die Antwort dieselbe gewesen: Miss Marple sei nicht da.
Von Natur aus ungeduldig, gab sich Mrs. Bantry nicht so schnell geschlagen. In rascher Folge rief sie den Pfarrer, Mrs. Price Ridley, Miss Hartnell, Miss Wetherby und – als letzte Hoffnung – den Fischhändler an, der dank seiner günstigen geografischen Lage stets wusste, wo sich die Dorfbewohner aufhielten.
Es tue ihm Leid, sagte er, aber er habe Miss Marple heute Vormittag noch gar nicht gesehen. Sie habe nicht ihren üblichen Rundgang gemacht.
«Wo kann die Frau nur sein?», fragte Mrs. Bantry laut und unwillig.
Ein ehrerbietiges Hüsteln ertönte hinter ihr, und der diskrete Lorrimer murmelte: «Sie suchen Miss Marple, Madam? Sie kommt soeben auf das Haus zu.»
Mrs. Bantry eilte zur Haustür, riss sie auf und begrüßte Miss Marple atemlos. «Ich hab dich überall gesucht! Wo warst du denn?» Sie sah über die Schulter zurück. Lorrimer hatte sich diskret zurückgezogen. «Das ist alles so schrecklich! Die Leute fangen an, Arthur zu schneiden. Er wirkt um Jahre gealtert. Wir müssen etwas tun, Jane! Du musst was tun!»
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