»Sehr interessant«, murmelte Poirot.
»Es wurde angeregt, daß ich herüberfahren und diesen Herrn interviewen sollte. Es handelt sich um einen verhältnismäßig jungen Mann namens Halliday. Er ist führend auf diesem Gebiet, und meine Aufgabe war, aus ihm herauszuholen, ob sich die Erfindung tatsächlich verwirklichen lasse.«
»Und läßt sie sich verwirklichen?« fragte ich interessiert. »Das ist gerade das, was ich nicht erfahren konnte. Ich habe Mr. Halliday nicht gesehen, und ich werde auch wohl nicht dazu kommen, so wie die Dinge liegen.«
»Kurz gefaßt«, unterbrach Japp ungeduldig, »Halliday ist verschwunden.«
»Wann?«
»Vor zwei Monaten.«
»Ist sein Verschwinden amtlich gemeldet worden?«
»Natürlich wurde es gemeldet. Seine Gattin kam in großer Aufregung zu uns. Wir taten, was wir konnten, aber ich wußte, daß alles zwecklos sein würde.«
»Warum?«
»Es ist immer das gleiche, wenn jemand nach jener Richtung hin verschwindet«, sagte Japp mit einem Augenzwinkern. »Nach welcher Richtung?«
»Paris.«
»So? Verschwand Halliday nach Paris?«
»Ja, er reiste dorthin, um eine wissenschaftliche Arbeit zum Abschluß zu bringen, so sagte er jedenfalls. Natürlich mußte er etwas Derartiges sagen. Aber Sie wissen es wohl selbst, was es bedeutet, wenn ein Mann dort drüben verschwindet. Entweder ist er unter die Pariser Apachen gefallen - und das würde das Ende bedeuten - oder er ist freiwillig von der Bildfläche verschwunden, und das ist die größere Wahrscheinlichkeit. Die Anziehungskraft des Pariser Nachtlebens - Sie wissen ja. Halliday und seine Gattin hatten eine Meinungsverschiedenheit, bevor er abreiste, und dieser Umstand erklärt vieles.«
»Ich bezweifle es«, meinte Poirot gelassen. Der Amerikaner sah ihn neugierig an.
»Sagen Sie, Monsieur Poirot«, fragte er mit schleppender Stimme, »was hat es auf sich mit den Großen Vier?«
»Die Großen Vier«, sagte Poirot, »sind eine internationale Organisation, deren Leitung ein Chinese hat. Er ist bekannt als Nummer eins. Nummer zwei ist ein Amerikaner, Nummer drei eine Französin, Nummer vier, der Zerstörer, ist ein Engländer.«
»Eine Französin, was?« Der Amerikaner pfiff leise vor sich hin. »Und Halliday verschwand in Frankreich. Vielleicht ist sie darin verwickelt. Wie heißt sie?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß bis jetzt noch gar nichts über sie.«
»Aber dann ist das wohl eine ziemlich schwierige Aufgabe«, warf der andere ein.
Poirot nickte, während er dabei die Gläser auf dem Tablett in einer Reihe ausrichtete. Wie immer kam auch jetzt seine Ordnungsliebe an den Tag.
»Was bedeutet es, daß jene Boote versenkt wurden? Arbeiten die Großen Vier in fremdem Auftrag?«
»Die Großen Vier verfolgen nur ihr eigenes Interesse, Monsieur Kent. Ihr Ziel ist die Weltbeherrschung.« Der Amerikaner brach in ein Lachen aus, hielt jedoch sofort inne, als er Poirots ernstes Gesicht sah.
»Sie lachen, Monsieur«, sagte Poirot in warnendem Ton. »Sie kombinieren nicht und lassen Ihre kleinen grauen Zellen gar nicht arbeiten. Wer sind die Menschen, die eine von Ihren Einheiten einfach der Vernichtung preisgaben, um ihre Macht zu erproben? Denn dieses, Monsieur, war in Wirklichkeit ein Versuch zur Anwendung ihrer neuen magnetischen Waffe.«
»Nun hören Sie aber auf«, unterbrach Japp gutmütig. »Ich habe oft von Super-Verbrechern gelesen, aber ich bin noch niemals auf sie gestoßen. Well, Sie haben Captain Kents Schilderung gehört; kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
»Ja, lieber Freund, seien Sie so freundlich und geben Sie mir die Adresse von Mrs. Halliday, zusammen mit ein paar Worten zu meiner Einführung bei ihr.«
So waren wir denn am folgenden Tag auf dem Weg nach »ChetwyndLodge« im Dorfe Chobham in der Grafschaft Surrey.
Mrs. Halliday, eine hochgewachsene, blonde Dame, lebhaft und nervös, empfing uns sogleich. Sie hatte ihr kleines Töchterchen, ein hübsches fünfjähriges Kind, bei sich. Poirot erklärte ihr den Zweck unseres Besuches. »Oh, Monsieur Poirot, ich bin ja so froh und dankbar. Natürlich habe ich von Ihnen gehört. Sie sind sicherlich anders als die Leute von Scotland Yard, die mich nicht einmal richtig anhören und auch nicht den Versuch machen, meine Lage zu verstehen. Und die französische Polizei ist genauso schlimm, womöglich noch schlimmer. Alle sind davon überzeugt, daß mein Mann mit einer anderen Frau durchgebrannt ist, aber das ist bestimmt nicht der Fall. Er dachte nur immer an seine Arbeit, und dies war der häufigste Grund für unsere unbedeutenden Plänkeleien. Die Arbeit bedeutete ihm weit mehr als seine eigene Frau.«
»Die Engländer sind sich darin alle gleich«, sagte Poirot tröstend. »Und wenn es nicht die Arbeit ist, dann sind es Spiel und Sport. Alle diese Dinge nehmen sie au grand serieux. Nun, Madame, rekonstruieren Sie bitte in allen Einzelheiten und der Reihe nach, so wie Sie dazu imstande sind, die genauen Begleitumstände des Verschwindens Ihres Gatten.«
»Mein Mann reiste am Donnerstag, dem 20. Juli, nach Paris. Er hatte dort eine geschäftliche Verabredung mit verschiedenen Leuten, unter anderem mit Madame Olivier.« Poirot nickte bei der Erwähnung der berühmten französischen Chemikerin, welche sogar Madame Curie mit ihren aufsehenerregenden Entdeckungen übertroffen hatte. Sie hatte hohe Auszeichnungen durch die französische Regierung erhalten und war eine der prominentesten Persönlichkeiten der Welt. »Er kam in den Abendstunden dort an und begab sich sogleich zum >Hotel Castiglione< in der Rue de Castiglione. Am folgenden Morgen plante er eine Zusammenkunft mit Professor Bourgoneau, welche auch stattgefunden hat. Sein Benehmen war normal und völlig unbefangen. Sie hatten eine sehr interessante Unterredung, und es wurde verabredet, daß mein Mann am folgenden Morgen an einigen Experimenten in des Professors Laboratorium teilnehmen sollte. Er hatte im >Cafe Royal< allein zu Mittag gegessen, unternahm einen Spaziergang in den Bois und besuchte dann Madame Olivier in ihrem Haus in Passy. Auch dort war sein Benehmen vollkommen normal, und er verließ das Haus gegen sechs Uhr abends. Wo er zu Abend gegessen hat, ist nicht bekannt, wahrscheinlich in irgendeinem Restaurant.
Er kehrte gegen elf Uhr abends zum Hotel zurück und ging sogleich auf sein Zimmer, nachdem er gefragt hatte, ob für ihn Post eingegangen sei. Am folgenden Morgen verließ er das Hotel und ist nicht wieder gesehen worden.«
»Um welche Zeit verließ er das Hotel? Zu der Zeit, da er in Professor Bourgoneaus Laboratorium erwartet wurde?«
»Das wissen wir nicht, denn niemand hat ihn das Hotel verlassen sehen. Auch hat er kein Frühstück zu sich genommen, was darauf hinzudeuten scheint, daß er sehr früh fortgegangen ist.«
»Könnte er vielleicht gleich wieder ausgegangen sein, nachdem er nachts heimgekommen war?«
»Das glaube ich nicht. Sein Bett war benutzt, und der Nachtportier hätte jeden bemerken müssen, der um diese Zeit das Hotel verließ.«
»Das ist vollkommen richtig, Madame. Wir können somit als sicher annehmen, daß er das Hotel frühmorgens verließ, und eine andere Möglichkeit vollkommen ausschließen. Es ist hiernach auch nicht anzunehmen, daß er zur Nachtzeit irgendwelchen Pariser Apachen in die Hände gefallen ist. Fehlte etwas von seinem Gepäck?«
Mrs. Halliday zögerte sichtlich bei dieser Frage, jedoch sagte sie schließlich:
»Nein, er muß nur einen kleinen Koffer mitgenommen haben.«
»Hm«, sagte Poirot nachdenklich, »ich möchte gerne wissen, wo er den Abend verbracht hat. Wenn wir das herausbringen könnten, wären wir ein gutes Stück weiter. Wen hat er an diesem Abend getroffen, da liegt das Geheimnis. Madame, ich teile durchaus nicht den Standpunkt der Polizei, bei der es immer heißt: cherchez la femme, jedoch liegt es auf der Hand, daß irgend etwas Ihren Gatten zur Nachtstunde veranlaßte, seine Pläne zu ändern. Sie sagten, daß er bei seiner Rückkehr nach eingegangener Post gefragt hat. Hat er etwas erhalten?«
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