Nummer 15 – jawohl. Er stieß das Gartentor auf und ging die drei Stufen hinauf, die zur Haustür führten. Er bemerkte die sauberen weißen Vorhänge an den Fenstern und den blankgeputzten Messingtürklopfer. Ein bescheidenes kleines Haus, in einer bescheidenen Straße, in einem ärmlichen Teil von London – aber ordentlich und gepflegt.
Die Tür wurde von einer hübschen, etwa fünfundzwanzigjährigen blonden Frau geöffnet.
»Mr Robinson?«, fragte sie mit einem freundlichen Lächeln. »Bitte treten Sie ein.«
Sie führte ihn in ein kleines Wohnzimmer mit geblümten Kretonnevorhängen, einem Klavier und einem Fernsehgerät. Sie trug einen dunklen Rock und einen grauen Pullover.
»Möchten Sie eine Tasse Tee? Das Wasser muss gleich kochen.«
»Nein, danke. Ich trinke niemals Tee, und ich kann mich nicht lange aufhalten. Ich bringe Ihnen nur das, was ich Ihnen bereits brieflich angekündigt habe.«
»Von Ali?«
»Ja.«
»Glauben Sie, dass… ich meine, besteht noch eine Hoffnung? Ist er wirklich tot?«
»Ich furchte, ja«, erwiderte Mr Robinson sanft.
»Ich habe immer gewusst, dass ich ihn nicht wiedersehen würde, nachdem er damals zurück musste. Natürlich dachte ich nicht an eine Revolution oder… oder dass er umkommen könnte. Aber es war mir klar, dass er sich in Ramat mit einer Frau aus seinen Kreisen verheiraten würde.«
Mr Robinson legte ein kleines Päckchen auf den Tisch. »Bitte, öffnen Sie es«, bat er.
Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie den Bindfaden entknotete und das Päckchen auspackte.
Funkelnde Brillanten, glitzernde Rubine und leuchtende Smaragde verwandelten den trüben kleinen Raum in Aladins Wunderhöhle…
Sie hielt den Atem an. Mr Robinson beobachtete sie. Er hatte schon viele Frauen gebannt auf Edelsteine blicken sehen…
»Ist das… ist das alles echt?«, fragte sie atemlos.
»Ja, diese Steine sind echt.«
»Aber die müssen doch ein Vermögen wert sein…«
Mr Robinson nickte.
»Wenn Sie diese Juwelen verkaufen wollen, werden Sie wohl mindestens eine halbe Million Pfund dafür bekommen.«
»Nein… nein, das kann doch nicht wahr sein!«
Sie ließ die Steine einen Augenblick durch ihre Finger gleiten, dann packte sie sie mit entschlossener Miene wieder ein.
»Ich habe Angst, sie sind mir unheimlich«, sagte sie. »Was soll ich damit anfangen?«
Die Tür flog auf, und ein kleiner Junge stürmte ins Zimmer.
»Billy hat mir einen fabelhaften Panzerwagen geschenkt, Mum. Sieh nur…«
Er unterbrach sich und sah Mr Robinson erstaunt an.
Der Junge hatte große dunkle Augen und eine olivfarbene Haut.
»Geh in die Küche, Allen«, sagte seine Mutter. »Deine Milch steht auf dem Tisch. Du kannst dir auch ein Stück Honigkuchen nehmen.«
»Oh, fein.«
Er warf die Tür hinter sich zu.
»Er heißt also Allen«, sagte Mr Robinson.
Sie errötete.
»Es war der Name, der am meisten wie ›Ali‹ klang. Ich konnte ihn nicht gut Ali nennen… wegen der Nachbarn… und überhaupt…«
Ihr Gesicht nahm plötzlich einen besorgten Ausdruck an. »Was habe ich jetzt zu tun?«, fragte sie.
»Zunächst möchte ich Ihre Heiratsurkunde sehen, um ganz sicher zu sein, dass Sie auch die Person sind, für die Sie sich ausgeben.«
Sie sah ihn einen Augenblick erstaunt an, dann ging sie zu einem kleinen Schreibtisch, öffnete eine Schublade und entnahm ihr einen Briefumschlag.
Mr Robinson prüfte das Dokument eingehend.
»Standesamt Edmonstown… Ali Yusuf, Student… Alice Calder, ledig … ja, es ist alles in Ordnung.«
»Ja, natürlich – alles ist legal, obwohl das nicht sehr viel bedeutet… Niemand hat herausgefunden, wer er war. Es gibt hier so viele Studenten aus dem Nahen Osten… Er hat mir offen gesagt, dass er als Mohammedaner mehrere Frauen heiraten darf. Wir haben das alles ganz sachlich besprochen, als ich ein Kind erwartete. Wir haben nur geheiratet, damit Allen offiziell einen Vater hat. Mehr konnte Ali nicht für mich tun, obgleich er mich wirklich geliebt hat.«
»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Mr Robinson. Dann fuhr er lebhaft fort: »Falls Sie mir diese Angelegenheit übergeben wollen, bin ich bereit, die Juwelen für Sie zu verkaufen. Außerdem werde ich Ihnen die Adresse eines wirklich guten, zuverlässigen Anwalts geben. Er wird Ihnen höchstwahrscheinlich raten, das Geld in mündelsicheren Papieren anzulegen.
Sie würden gut daran tun, sich von ihm auch über die zukünftige Erziehung Ihres Sohnes und Ihre neue Lebensweise beraten zu lassen. Geld allein macht nicht glücklich, das habe ich nur zu oft erlebt. Aber Sie haben Charakter. Sie und Ihr Sohn werden hoffentlich mehr Glück haben als sein armer Vater.«
Er machte eine Pause.
»Einverstanden?«, fragte er.
»Ja. Hier – nehmen Sie sie.« Sie schob ihm das Päckchen zu, dann sagte sie unvermittelt: »Ich möchte dem Mädchen, das sie gefunden hat, gern einen der Steine schenken. Welche Farbe… ich meine, was für ein Stein würde ihr wohl gefallen?«
Mr Robinson überlegte.
»Vielleicht ein funkelnder Smaragd? Sie wird sich bestimmt sehr darüber freuen… eine gute Idee!«
»Ich stelle Ihnen meine Dienste natürlich nicht umsonst zur Verfügung«, sagte Mr Robinson. »Ich bin nicht billig, aber ich werde Sie nicht betrügen.«
Sie sah ihn prüfend an.
»Davon bin ich überzeugt. Ich brauche wirklich dringend einen Berater, denn von geschäftlichen Dingen verstehe ich nichts.«
»Sie sind eine sehr vernünftige Frau, wenn ich das sagen darf. So, dann werde ich die Steine also mitnehmen; aber möchten Sie nicht wenigstens einen zum Andenken behalten?«
»Nein, ich möchte nicht einen einzigen behalten«, erwiderte Alice errötend. »Vielleicht finden Sie es sonderbar, dass ich mir nicht einen Rubin oder einen Smaragd zur Erinnerung aufheben will. Aber sehen Sie, obwohl er Mohammedaner war, habe ich ihm manchmal aus der Bibel vorgelesen, und einmal lasen wir von der Frau, die mehr wert war als alle Diamanten und Rubine… Und deshalb möchte ich lieber keine Edelsteine haben. Verstehen Sie?«
Eine ungewöhnliche Frau, dachte Mr Robinson, als er über den Gartenpfad zu seinem Rolls zurückging.
Wirklich, eine ungewöhnliche Frau…