Poirot fuhr fort: »Wir sind vor allem an einer Person interessiert, die vor drei Monaten in Ramat war. Nur ihr war es möglich zu wissen, was der Griff des Tennisschlägers enthielt. Jemand muss Bob Rawlinson an Ort und Stelle beobachtet haben… Wer von Ihnen ist vor drei Monaten in Ramat gewesen? Miss Chadwick, Miss Johnson, Miss Rowan und Miss Blake waren hier.«
Er hob die Hand und zeigte mit dem Finger auf Miss Rich.
»Miss Rich dagegen war während des letzten Schulhalbjahrs nicht hier, nicht wahr?«
»Ich? Nein. Ich war krank«, erklärte Eileen Rich hastig.
»Das haben wir erst zufällig vor ein paar Tagen erfahren«, erwiderte Poirot. »Beim Verhör hatten Sie nur ausgesagt, dass Sie seit anderthalb Jahren in Meadowbank seien, ohne Ihre vorübergehende Abwesenheit zu erwähnen. Es ist durchaus möglich, dass Sie in Ramat gewesen sind, und ich glaube sogar, Sie waren dort. Seien Sie vorsichtig, Miss Rich, denn wir brauchen nur Ihren Pass zu überprüfen.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann blickte Eileen Rich auf.
»Ja, ich war in Ramat«, erwiderte sie ruhig. »Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?«
»Warum waren Sie dort, Miss Rich?«
»Weil ich krank war und weil man mir geraten hatte, einen Auslandsurlaub zu nehmen, den Miss Bulstrode mir gewährte.«
»Das stimmt«, sagte Miss Bulstrode. »Miss Rich schickte mir ein Attest ihres Arztes, der eine längere Erholung verordnet hatte.«
»Und so fuhren Sie nach Ramat?«, fragte Poirot.
»Ja«, erwiderte Eileen Rich mit zitternder Stimme. »Es gab billige Ferienreisen für Lehrerinnen, und ich brauchte Ruhe und Sonne. Und so verbrachte ich zwei Monate in Ramat… Warum auch nicht?«
»Sie haben niemals erwähnt, dass Sie zurzeit der Revolution in Ramat waren.«
»Warum sollte ich? Was hat das mit Meadowbank zu tun? Ich habe niemanden ermordet… ich bin keine Mörderin!«
»Man hat Sie wiedererkannt«, sagte Poirot. »Die kleine Jennifer war ihrer Sache allerdings nicht ganz sicher, denn die Person, der Sie so ähnlich sehen, war dick, nicht mager… Was haben Sie dazu zu sagen, Miss Rich?« Poirot fixierte sie. Sie warf trotzig den Kopf zurück, aber sie hielt seinem Blick stand.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, rief sie erregt. »Sie wollen behaupten, dass diese Morde nicht von einem Spitzel oder von einem Geheimagenten verübt worden sind, sondern von jemandem, der zufällig mit angesehen hat, dass die Juwelen in einem Tennisschläger versteckt wurden. Jemand, der begriff, dass Jennifer auf dem Weg nach Meadowbank war, jemand, der ihr folgte, um sich die Juwelen anzueignen. Aber das ist nicht wahr! Ich schwöre Ihnen – es ist nicht wahr!«
»Doch. Ich glaube, dass es so gewesen ist«, erwiderte Poirot. »Jemand hat zufällig mit angesehen, wie die Edelsteine versteckt wurden, und war von diesem Augenblick an fest entschlossen, sie sich selbst zu verschaffen.«
»Es ist nicht wahr! Ich habe nichts gesehen…«
Poirot warf Kelsey einen Blick zu.
Kelsey nickte, ging zur Tür, öffnete sie, und… Mrs Upjohn betrat das Zimmer.
»Wie geht es Ihnen, Miss Bulstrode?«, fragte Mrs Upjohn ziemlich verlegen. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich so unordentlich aussehe, aber ich komme geradewegs aus Ankara…«
»Das macht nichts«, sagte Poirot. »Wir wollten Sie etwas fragen.«
»Es handelt sich um den Tag, an dem Sie Ihre Tochter nach Meadowbank brachten, Mrs Upjohn«, sagte Kelsey. »Sie waren in Miss Bulstrodes Wohnzimmer und sahen zum Fenster hinaus – zu dem Fenster, von dem aus man die Einfahrt überblicken kann –, und Sie stießen einen Laut des Erstaunens aus, als hätten Sie plötzlich jemanden erkannt. Stimmt das?«
»Am Tag des Schuljahrbeginns? In Miss Bulstrodes Wohnzimmer?« Mrs Upjohn blickte den Kommissar erstaunt an. »O ja, jetzt fällt es mir ein, ich sah damals ein bekanntes Gesicht…«
»Warum waren Sie darüber so erstaunt?«
»Weil… weil ich sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte.«
»Seit Ende des Krieges, nicht wahr? Seit Sie den Geheimdienst verlassen hatten?«
»Ja, und obwohl sie viel älter aussah, habe ich sie sofort erkannt. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, was sie hier zu suchen hatte.«
»Ich möchte Sie bitten, sich in diesem Zimmer umzusehen und mir zu sagen, ob diese Person anwesend ist, Mrs Upjohn.«
»Natürlich ist sie hier«, erwiderte Mrs Upjohn. »Ich sah sie, als ich hereinkam. Dort sitzt sie.«
Sie streckte ihren Zeigefinger aus. Kommissar Kelsey und Adam handelten schnell – aber nicht schnell genug. Ann Shapland war aufgesprungen. Sie hielt einen kleinen, gefährlich aussehenden Revolver in der Hand, der auf Mrs Upjohn gerichtet war. Miss Bulstrode erfasste die Situation sofort, aber Miss Chadwick kam ihr zuvor. Mit zwei schnellen Schritten drängte sie sich zwischen Ann Shapland, Mrs Upjohn und Miss Bulstrode.
»Nein, das dürfen Sie nicht!«, schrie Chaddy und warf sich in dem Augenblick schützend auf Miss Bulstrode, als der Schuss krachte.
Miss Chadwick schwankte, bevor sie zu Boden sank. Miss Johnson lief zu ihr hinüber. Adam und Kelsey hielten Ann Shapland fest, die sich wie eine Wildkatze zu wehren versuchte. Es gelang ihnen mit vereinten Kräften, ihr die Waffe zu entwinden.
»Schon damals hatte sie den Ruf einer Killerin«, sagte Mrs Upjohn atemlos. »Sie war eine der gefährlichsten Spioninnen. Ihr Deckname war Angelica.«
»Gemeine Lügnerin!«, kreischte Ann Shapland.
»Sie lügt nicht. Sie sind eine gefährliche Person«, sagte Hercule Poirot. »Sie haben von jeher ein gefährliches Leben geführt. Bis heute ist es Ihnen allerdings geglückt, Ihre Identität zu verbergen. Alle Stellungen, die Sie innehatten, waren einwandfrei, und Sie haben Ihre Arbeit zur Zufriedenheit Ihrer Vorgesetzten ausgeführt. Aber Sie haben alle diese Stellungen nur angenommen, um sich Informationen zu verschaffen. Sie waren bei einer Ölgesellschaft beschäftigt, bei einem Archäologen, der in einem bestimmten Teil der Welt zu tun hatte, und bei einer Schauspielerin, deren Freund ein wichtiger Politiker war. Seit Ihrem siebzehnten Lebensjahr sind Sie Geheimagentin gewesen, und zwar haben Sie für die verschiedensten Leute gearbeitet. Sie haben Ihre Dienste denen zur Verfügung gestellt, die am meisten zahlen konnten. Sie haben die Mehrzahl der Aufträge unter Ihrem richtigen Namen angenommen und durchgeführt; in einigen besonderen Fällen mussten Sie sich in eine andere Person verwandeln. In solchen Zeiten behaupteten Sie, nachhause zu Ihrer kranken Mutter zu müssen. Ich habe den starken Verdacht, dass die alte, verwirrte Dame, die ich neulich in dem Dörfchen besuchte, wo sie mit einer Krankenschwester lebt, nicht Ihre Mutter ist, Miss Shapland. Sie haben sie lediglich als einen Vorwand benutzt, wenn es Ihnen in den Kram passte. Während der drei Monate, die Sie angeblich mit Ihrer Mutter verbrachten, waren Sie in Ramat, aber nicht als Miss Shapland, sondern als Angelica de Toredo, eine spanische Tänzerin, die in einem Kabarett auftrat. Sie wohnten im selben Hotel wie Mrs Sutcliffe, und zwar im Nebenzimmer. Durch Zufall konnten Sie mit ansehen, wie Bob Rawlinson die Juwelen in den Griff des Tennisschlägers tat. Da an jenem Tag alle Engländer aus Ramat evakuiert wurden, konnten Sie den Tennisschläger nicht mehr an sich bringen, aber Sie hatten die Adresse auf den Kofferschildern gelesen… Es fiel Ihnen nicht schwer, hier den Posten einer Sekretärin zu erhalten. Ich habe herausgefunden, dass Sie Miss Bulstrodes ehemaliger Sekretärin eine beträchtliche Summe bezahlten, damit sie den Posten eines angeblichen Nervenzusammenbruchs wegen aufgab. Sie behaupteten ihr gegenüber, eine Journalistin zu sein, die eine Artikelserie über Mädcheninternate schreiben sollte…
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