Pater Gorman lachte leise.
»Ich habe reiche Förderer, die mir ein Pferd zu meiner Bequemlichkeit bewilligten, denn ich würde viele Tage brauchen, meine Herde zu betreuen, wenn ich alles zu Fuß besorgen müßte. Aber nun wollen wir nicht mehr von mir reden. Ich sah euch beide in Hildas Abtei, als das Konzil dort tagte.«
»Du warst in Whitby?« fragte Eadulf erstaunt.
Pater Gorman nickte bestätigend.
»Allerdings. Ich sah euch beide, aber ihr werdet euch nicht an mich erinnern. Ich kam am Ende einer Missionsreise mit Colman nach Streoneshalh. Ich war kein Mitglied des Konzils, sondern nur als Zuhörer der Debatten meiner Vorgesetzten über die Vorzüge der Kirchen Colmcilles und Roms dort.«
Eadulf konnte seine Selbstzufriedenheit nicht verbergen.
»Dann warst du also dabei, als wir den Mord an der Äbtissin Étain aufklärten und ...«
»Ich war dabei«, unterbrach ihn Pater Gorman heftig, »als Oswy in seiner Weisheit entschied, daß Rom die wahre Kirche ist und daß die Anhänger Colmcilles sich im Irrtum befinden.«
»Es ist uns bereits klar, daß du den Vorschriften Roms folgst«, bemerkte Fidelma trocken.
»Wer wollte sich gegen Oswys Entscheidung stellen, nachdem alle Argumente vorgebracht waren?« erwiderte der Priester. »Ich kehrte in diese meine Gemeinde zurück und habe mich seitdem bemüht, meine Leute, die Leute von Araglin, auf den rechten Pfad zu leiten.«
»Sicher gibt es doch viele Wege, die zu Gott führen?« unterbrach ihn Fidelma.
»Keineswegs!« eiferte Pater Gorman. »Nur wer dem einen Pfad folgt, kann hoffen, Gott zu finden.«
»Daran hast du keinen Zweifel?«
»Ich habe keinen Zweifel, denn ich stehe fest in meinem Glauben.«
»Dann bist du zu beneiden, Pater Gorman. Um mit solcher Sicherheit zu glauben, mußt du wohl mit Zweifel begonnen haben.«
»Du bist erst frei, wenn du aufhörst zu zweifeln.«
»Ich dachte, selbst Christus hat am Ende gezwei-felt«, meinte Fidelma mit einem wohlwollenden Blick, der ihrer Erwiderung die Schärfe nahm.
Pater Gorman machte eine entrüstete Miene.
»Nur um uns zu zeigen, daß wir unserer Überzeugung treu bleiben müssen.«
»Wirklich? Mein Mentor, Morann von Tara, sagte immer, Überzeugungen seien gefährlichere Gegner der Wahrheit als blanke Lügen.«
Pater Gorman schluckte und wollte etwas erwidern, aber sie hinderte ihn mit erhobener Hand daran. »Ich bin jedoch nicht hergekommen, um mit dir über Theologie zu streiten, Gorman von Cill Uird, wenn ich es auch gern täte, sobald meine Aufgabe hier gelöst ist. Ich bin als Anwältin bei Gericht hergekommen.«
»Wegen des Mordes an Eber«, fügte Eadulf rasch hinzu.
Pater Gorman schien einen Augenblick lang nicht bereit, das Gespräch über Religion aufzugeben, doch dann senkte er den Kopf.
»Dabei kann ich euch kaum helfen. Ich weiß nichts.«
»Überhaupt nichts?«
»Nichts.«
»Aber deine Kirche steht doch nur einen Schritt von Ebers Wohnung entfernt. Ich habe gehört, du schläfst in der Kirche. Von allen Menschen im rath warst du dem Tatort am nächsten. Man sollte annehmen, daß du am ehesten in der Lage warst, etwas zu hören.«
»Ich schlafe in dem Raum neben diesem«, erklärte Pater Gorman und wies auf eine kleine Tür hinter ihnen. »Aber ich kann euch versichern, daß ich nichts von den Morden wußte, bis ich durch den Lärm der Leute vor Ebers Wohnung aus dem Schlaf gerissen wurde.«
»Wann war das?«
»Nach Sonnenaufgang. Die Leute hatten von Ebers Tod erfahren und sammelten sich vor seiner Wohnung. Ihr Stimmengewirr weckte mich, und ich ging hinaus, um zu sehen, was vorgefallen war. Vorher wußte ich nichts davon.«
»Ich dachte, in der römischen Kirche gibt es strenge Regeln für die Zeit zum Aufstehen«, schob Eadulf listig ein.
Pater Gorman betrachtete ihn mit Mißfallen.
»Du weißt wohl auch, Bruder, daß das, was für Rom gut ist, für uns in den nördlichen Ländern nicht taugt. Rom kann bestimmen, daß ein Geistlicher zu einer bestimmten Stunde aufstehen muß. Das geht in Rom, wo es früher hell wird und das zeitige Aufstehen seinen Sinn hat. Aber wozu soll es gut sein, wenn jemand in diesen Breiten in Dunkelheit und Kälte aufsteht, nur weil seine Brüder in Rom sich zu dieser Stunde erheben?«
Fidelma lächelte breit.
»Also findet sich doch etwas Brauchbares in den Regeln der Kirche Colmcilles?«
Pater Gormans Augen verengten sich. »Du magst deinen Scherz genießen, Schwester. Die Tatsache bleibt bestehen, daß die Regeln der römischen Kirche die sind, die von Christus gesegnet wurden - sofern es Theologie und Lehre betrifft. Wir weichen nur davon ab, soweit Geographie und Klima es erfordern.«
»Na schön. Ich will nicht darüber streiten - jedenfalls jetzt nicht. Du standest gleich nach Sonnenaufgang auf und stelltest dann fest, was mit Eber geschehen war. Hattest du die ganze Nacht fest geschlafen?«
»Ich hatte das mitternächtliche Angelusgebet gesprochen und war dann zu Bett gegangen. Mich hatte nichts gestört.«
»Du hast keinen Schrei oder Hilferuf gehört?«
»Das sagte ich schon.«
»Weißt du, wenn ein Mann auf die Art angegriffen wird, wie es Eber widerfuhr, dann scheint mir, daß er wohl um Hilfe rufen würde.«
»Ich habe gehört, daß Eber im Schlaf erstochen wurde. Da blieb ihm wohl kaum Zeit für einen Hilferuf.«
»Kaum Zeit für einen Hilferuf?« wiederholte Fidelma langsam. »Keine Zeit zu schreien, während ein blinder Taubstummer in der Lage war, den Raum zu betreten, ohne jemand zu stören, ein Messer zu nehmen und Eber mehrere tiefe Stiche zu versetzen? Während dieser ganzen Zeit lag Eber in seinem Zimmer mit einer brennenden Lampe neben sich?«
Sie schien mehr zu sich selbst zu sprechen.
»Ich habe nichts gehört«, beharrte Pater Gorman.
»Warst du überrascht, als du erfuhrst, daß es Moen war, den man an Ebers Leiche gefunden hatte, und daß er nach Ansicht der Zeugen den Mord begangen hatte?«
»Überrascht?« Pater Gorman überlegte einen Moment. »Nein, als Überraschung würde ich meine Reaktion nicht bezeichnen. Wenn man ein wildes Tier frei im Haus herumlaufen läßt, muß man damit rechnen, daß es einen anfällt und beißt.«
»Als das hast du Moen angesehen?«
»Als ein wildes Tier? Ja. Ich sah in diesem Kind der Blutschande nichts anderes als ein wildes Tier. Ich ließ dieses Kind der Blutschande nicht in diese meine Kapelle. Er war von Gott verflucht.«
»Meinst du, das sei die rechte christliche Art, mit einem Behinderten umzugehen?« unterbrach ihn Fidelma empört.
»Sollte ich mit Gott rechten wegen Seiner Bestrafung dieser Kreatur? Denn eine Bestrafung ist es, wenn ihm das genommen wird, was uns zu Menschen macht. Hat Christus nicht gesagt: >Des Menschen Sohn wird seine Engel senden; und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Ärgernisse und die da unrecht tun, und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.