»Er meint, daß diese Stücke Brennholz, wie du es nennst, in Wirklichkeit >Stäbe der Dichter< sind. So nennt man alte Bücher. Schau genau hin. Dann siehst du, daß auf ihnen etwas in der alten Ogham-Schrift eingeritzt ist.«
Duban betrachtete sie interessiert. Er hatte sichtlich keine Ahnung von dieser alten Form der Schrift.
»War Teafa denn eine Gelehrte?« fragte Eadulf.
Der Krieger schüttelte verwundert den Kopf.
»Das hat sie nie von sich behauptet, aber ich glaube, sie wußte in den Künsten und in der Dichtung gut Bescheid. Wahrscheinlich kannte sie auch die alte Schrift, deshalb überrascht es mich nicht, daß sie diese Stäbe hier hatte.«
»Immerhin«, meinte Fidelma, »habe ich außerhalb der Abtei-Bibliotheken noch keine so schöne Sammlung gesehen.«
Eadulf schnürte das Bündel sorgfältig wieder zu und legte es an seinen Platz, während Fidelma in den Hauptraum zurückging. Sie blickte in den zweiten Schlafraum. Teafas Zimmer war reicher und besser eingerichtet. Es zeugte von vergangenem Wohlstand, über den die Tochter und Schwester eines Fürsten zweifellos verfügte. Da Fidelma die Kerze nun nicht mehr brauchte, blies sie sie rasch aus. Sie wandte sich an Duban.
»Als du Cron den Tod Ebers gemeldet hattest und sie dich zu Teafa geschickt hatte, um Moen zu beruhigen, bist du da direkt hierhergegangen?«
»Ja. Ich kam an die Tür und fand sie ein Stück geöffnet.«
»Geöffnet?«
»Sie stand einen Spalt weit offen - genug, um mich spüren zu lassen, daß etwas nicht in Ordnung war.«
»Warum? Eine leicht offenstehende Tür muß doch nichts Schlimmes bedeuten?«
»Teafa nahm es sehr genau damit, Türen zu schließen.«
»Um Moen drinnen zu halten?« vermutete Eadulf.
»Eigentlich nicht. Moen durfte nach draußen, aber damit er die Grenzen seines Bereichs erkennen konnte, blieben die Türen immer geschlossen, damit er nicht unabsichtlich hindurchging.«
»Ich verstehe. Sprich weiter. Die Tür stand einen Spalt weit offen.«
»In der Hütte war es dunkel. Ich rief nach Teafa, bekam aber keine Antwort. Also stieß ich die Tür auf und blieb einen Moment auf der Schwelle stehen. Inzwischen wurde es ein wenig heller - es war die Zeit der Morgendämmerung. In dem schwachen Licht sah ich etwas am Boden liegen, was ich für ein Bündel Kleider hielt. Als ich genauer hinschaute, erkannte ich, daß es eine Leiche war. Die Leiche Tea-fas.«
»Zeig mir, wo genau sie lag.«
Duban wies auf eine Stelle vor dem Herd, dessen Asche nun grau und kalt war. Fidelma hatte den scharfen Geruch nach verbranntem Holz sofort bemerkt, als sie die Hütte betrat.
»Ich sah mich um, fand eine Kerze und konnte sie anzünden. Es war übrigens dieselbe Kerze, die wir eben benutzten. Die Leiche war die Teafas. Ihre Kleider waren voller Blut. Sie hatte mehrere tiefe Stiche in der Brust, nahe dem Herzen.«
Fidelma beugte sich zum Boden nieder und erkannte dunkle Flecke, die vom Blut herrührten. Zugleich bemerkte sie eine kleine verbrannte Stelle dicht daneben auf dem Boden und stellte fest, daß von ihr ein schärferer Geruch ausging als von der erkalteten Feuerstelle. Nahebei war ein anderer Fleck, kein Blutfleck. Sie legte einen Finger auf die noch feuchte Stelle und roch daran. Es war Öl.
»Lag hier etwas?« fragte sie.
»Eine zerbrochene Öllampe«, erinnerte sich Duban nach einigem Überlegen. »Die hat man wohl weggeräumt.«
»Hattest du den Eindruck, daß Teafa sie in der Hand hielt, als sie niedergestochen wurde?«
»Darüber habe ich nicht weiter nachgedacht. Aber jetzt, wo du es sagst, sieht es so aus, als habe sie die Lampe in der Hand gehabt und fallen lassen, als sie erstochen wurde. Dadurch entstand ein kleines Feuer auf dem Boden, daß sich Gott sei Dank nicht ausbreitete und von selbst erlosch.«
Fidelma betrachtete nachdenklich die verbrannte Stelle.
»Es hätte ausgereicht, die ganze Hütte niederzubrennen, wenn man es nicht gelöscht hätte. Hier ist noch unverbranntes Öl.« Sie hielt ihm den Finger mit dem beweiskräftigen Ölfleck an der Spitze hin. »Wodurch könnte es gelöscht worden sein?«
»Nun, es war jedenfalls aus, als ich hier hereinkam«, meinte Duban achselzuckend.
Fidelma wollte sich schon aufrichten, als sie einen nicht verbrannten Stock im Kamin entdeckte. Er hatte nichts Besonderes an sich außer ein paar Einkerbungen. Es war ein ungefähr drei Zoll langes Stück Haselrute. Sie nahm es aus der Asche und untersuchte es sorgfältig.
»Was ist das?« wollte Eadulf wissen.
»Ein Ogham-Stab, der fast völlig verbrannt ist.«
Irgend etwas hatte dieses Stück Haselrute vor dem Verbrennen bewahrt, vielleicht die Art, wie es aus dem Feuer gefallen war. Einige Buchstaben waren erhalten, aber sie ergaben keinen Sinn. Zwischen den verbrannten Enden konnte sie »... er will ...« entziffern. Doch das war alles. Warum wollte Teafa diesen bestimmten Stab vernichten? Nachdenklich steckte Fidelma das Stück Haselrute in ihr marsupium, ihren Tragebeutel, und erhob sich.
Sie warf einen abschließenden Blick durch die Hütte. Wie Ebers Wohnung war auch sie aufgeräumt. Nichts war in Unordnung hinterlassen worden. Um einen Raubmord handelte es sich offensichtlich nicht.
»Duban, du hast angedeutet, daß Ebers Frau Teafa nicht sehr wohlgesonnen war. Hatte Teafa ein enges Verhältnis zu ihrem Bruder?«
»Zu Eber?« Duban antwortete ausweichend. »Sie war seine Schwester, und wir leben hier in einer kleinen Gemeinschaft.«
»Gab es keine Feindseligkeit, keine Reibungen, so wie mit Ebers Frau Cranat?«
Duban breitete die Hände aus, als beuge er sich einem stärkeren Willen.
»Es gab . ich kann es nicht gut erklären . eine Distanz zwischen Bruder und Schwester. Ich habe eine Schwester, die ich sehr mag. Sie ist verheiratet und hat Kinder, aber ich esse oft mit ihrer Familie und nehme ihre Kinder mit auf die Jagd. Teafa hatte nie eine enge Beziehung zu Eber. Es könnte gut sein, daß es wegen ihrer Adoption Moens zu einer Entfremdung zwischen ihnen kam, aber das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«
»Ich glaube, es wird Zeit, daß ich mit dieser Lady Cranat spreche«, murmelte Fidelma.
»Wie war das Verhältnis zwischen Teafa und Ebers Tochter Cron?« schaltete sich Eadulf ein.
»Sie verkehrten höflich miteinander und wechselten keine schroffen Worte. Das war so ungefähr alles.«
»Übrigens, wie wurde denn Moen allgemein in dieser Gemeinschaft behandelt?« wollte Fidelma wissen.
»Die meisten Leute behandelten ihn mit Nachsicht und Mitleid. Sie kannten ihn, seit Teafa ihn in die Gemeinschaft gebracht hatte. Lady Teafa wurde von den Leuten hochgeachtet. Eber fand auch Zeit für den Jungen. Cranat aber nicht, sie duldete ihn nicht in ihrer Nähe. Auch Pater Gorman verbot dem Jungen, seine Kapelle zu betreten. Cron schien er gleichgültig zu sein.«
»In einer angelsächsischen Gemeinschaft hätte man ihn gleich nach der Geburt getötet.« Eadulf konnte sich diese Bemerkung nicht verkneifen.
»Eine feine christliche Einstellung, nicht wahr?«
Eadulf errötete, und Fidelma bereute, was sie gesagt hatte, denn sie hegte keinen Zweifel, daß Eadulf selbst diese Einstellung fremd war.
»Menschen mit körperlichen Behinderungen können nicht in ein Amt gewählt werden, können nicht König oder Fürst werden, doch sie sind Mitglieder der Gemeinschaft«, erklärte sie Eadulf geduldig. »Sie genießen alle anderen Rechte, nur ihre Verantwortung vor dem Gesetz ist entsprechend ihrer Behinderung eingeschränkt. Ein Epileptiker zum Beispiel gilt als voll verantwortlich, wenn er geistig gesund ist. Aber ein Taubstummer kann nicht zur Verantwortung gezogen werden, sondern der Kläger muß sich an seinen gesetzlichen Vormund wenden.«
»Folglich nahm Moen also keine untergeordnete Stellung ein?« wunderte sich Eadulf.
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